Argentinien/Spanien 2015 · 110 min. · FSK: ab 16 Regie: Pablo Trapero Drehbuch: Pablo Trapero, Esteban Student, Julian Loyola Kamera: Julián Apezteguía Darsteller: Guillermo Francella, Peter Lanzani, Lili Popovich, Gastón Cocchiarale, Giselle Motta u.a. |
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Geschichten von Vater und Sohn… |
»Money comes and goes, life doesn’t.«– El Clan
»Schreib etwas richtig Nettes«, sagt der ältere Herr: »Ich liebe dich Papa, und mir tut jeder Moment leid, an dem ich dir das nicht gesagt habe.« Der das sagt, ist selbst Vater von fünf Kindern, und er tut alles für seine Familie. Oder für sich, so genau würde er das kaum unterscheiden. Gerade hat er einen Freund seines Sohnes gekidnapped, und im eigenen Haus, in einem eigens dafür ausgebauten Badezimmer, angekettet, um von dessen reichen Eltern viel Geld zu erpressen – natürlich für seine Familie. Aber er weiß auch jetzt schon, dass er den Entführten nie freilassen, sondern irgendwo in der Pampa erschießen und liegenlassen wird.
25 bis 30 Jahre ist es jetzt her, dass in Lateinamerika die Diktaturen allmählich ihren Geist aufgaben. Es war ein mühsamer und zäher Prozess: Chiles brutaler Diktator Augusto Pinochet wurde per Referendum abgewählt – vor drei Jahren machte der Chilene Pablo Larraín darüber einen zwar kurzweiligen Film, aber inhaltlich enttäuschenden Film: No!, in dem Weltstar Gabriel García Bernal den Leiter der Anti-Pinochet-Kampagne spielte, und der viele Lateinamerikaner gegen sich aufbrachte – tat der politisch etwas unzuverlässige Larraín doch so, als seien Lüge und Werbung die besten Mittel, um eine Diktatur zu besiegen.
Argentinien trat sich schwerer als sein westlicher Nachbar: Erst die Niederlage im Falkland-Krieg gegen England bereitete in der Folge der brutalen Militärdiktatur ein Ende, die 30.000 Menschen auf dem Gewissen hatte. Von deren Folgen handelt jetzt der Spielfilm El Clan vom Argentinier Pablo Trapero – einem der interessantesten und vielseitigsten Gegenwartsregisseure des Kontinents. Sein Film beginnt mit Archivaufnahmen, in denen die Militärs ihren Rückzug erklären, und mit einer Rede des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Raúl Alfonsín. Dann erzählt El Clan eine auf Tatsachen beruhende unglaubliche Geschichte: Mindestens drei Jahre lang entführte eine ganze Familie – Mann, Frau, drei erwachsene Kinder – reiche Argentinier, erpresste ihre Familien und ermordete die Geiseln.
»Lazing on a sunny afternoon«, singen die Kinks im Radio, eine Handvoll Jungs spielen Rugby, Mädchen feuern an und bewundern sie, danach gibt es Schnittchen und Drinks. Ein nostalgischer Flair liegt über allem, das Leben scheint leicht.
Argentinien in den 80er Jahren: Die Diktatur hat abgedankt, Amerika ist in, man trägt Polohemden, Ray Ban, und interessiert sich fürs Surfen, jedenfalls in diesen Kreisen.
Denn es ist der hungrige obere Mittelstand, das, was bei
Soziologen Wirtschaftsbürgertum heißt, oder Bourgoisie, um sie vom Bildungsbürgertum zu unterscheiden. Besonders gebildet ist hier keiner, aber man hält auf sich. Es ist auch das faschistoide Milieu der Leute, die noch kurz zuvor die Militärs unterstützten, wie früher andere autoritäre Regimes, nicht nur Peron. Auch jetzt, wo das Land demokratisch geworden ist, ist es schick, zu lästern: »Wie lang wird sich eine Demokratie schon halten? Zwei Jahre vielleicht?«
El Clan ist nicht in erster Linie ein Kriminalfilm, sondern es ist das mitunter sarkastisch-komische, meist aber bittere Portrait eines Milieus, das durch die Gewalt und die faschistischen Werte der Diktatur geprägt wurde, und, als der Vater, der beim Geheimdienst für »Gastfreundschaft« zuständig war, sprich fürs Bereitstellen von Räumen, Kellern, Garagen, in denen heimlich gefoltert und gemordet wurde, gewissermaßen ein neues Geschäftsmodell brauchte, und die Methoden der Militärs ins Private überträgt, um schnelles Geld zu machen. Eine Analogie zu anderen New Economies darf man darin durchaus sehen. Es ist ein abgründiger, in seiner cleveren Inszenierung auch unterhaltender, starker Film, in dessen Zentrum der überaus böse Vatertyrann steht, glänzend gespielt von Guillermo Francella, einem beliebten argentinischen Komödien-Star, der hier zum ersten Mal einen düsteren Charakter spielt. Die Familie wohnt in einem Eckhaus in San Isidoro in Buenos Aires, oben und im Hinterhaus ist die Wohnung, unten vorne der Shop, dazwischen ein Hof. Dort steht der Mitsubishi-Bus, mit dem die Opfer entführt werden.
Der fängt etwas besser an, als er aufhört, er hat ein paar Längen und kleine Hänger im letzten Drittel. Aber alles in allem ist er hervorragend.
»Into each life some rain must fall/ But too much is falling in mine/ Into each heart some tears must fall/ But some day the sun will shine/ Some folks can lose the blues in their hearts...«, kommt aus dem Off und nach vielen Innenansichten des Familienlebens und der Mentalität der Familie werden sie dann doch gefasst. »Papa hat dies für
uns gemacht, erinnere dich daran«, sagt die Mutter zum Sohn, der Vater dagegen »Du bist ein Verräter, ein Undankbarer. Du bist alles geworden nur wegen mir.« – Der Sohn dagegen: »Du hast mein Leben ruiniert.«
So funktioniert El Clan als ein Gesellschaftsportrait und bizarres Sittenbild vieler Gesellschaften Lateinamerikas. Eine perfekte, harmlose Fassade und dahinter die verbrecherische Wirklichkeit.
Diese Doppelbödigkeit der Geschichte um den moralischen Niedergang einer Gesellschaftsschicht wird auch in der Kameraarbeit und in der Montage meisterhaft umgesetzt.
Eine wichtige Rolle spielt die Musik, die zeitgenössische Popmusik, aber auch populäre Melodien aus den 1960er-Jahren mit der brutalen Gewaltanwendung kontrastiert. Trapero, einer der wichtigsten argentinischen Regisseure, der sich nie von Trends und Moden, auch nicht zuletzt der der argentinischen Neuen Welle hat vereinnahmen lassen, setzt die Musik als Element der Kontextbildung ein, als Retro-Nostalgie, aber auch als kontrapunktisches, fast verfremdendes Element.
In seinem Kern ist diese bitterböse Verbrecherkomödie, die virtuos die Genres mischt, eine Vater-Sohn-Tragödie: Die tyrannischen Vätergestalten sind bis heute das größte Übel der Gesellschaften Lateinamerikas.