GB/F/D/Malaysia/Thailand 2015 · 122 min. · FSK: ab 0 Regie: Apichatpong Weerasethakul Drehbuch: Apichatpong Weerasethakul Kamera: Diego Garcia Schnitt: Lee Chatametikool Darsteller: Jenjira Pongpas, Banlop Lomnoi, Jarinpattra Rueangram, Petcharat Chaiburi u.a. |
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Wächter der schlafenden Soldaten: Leuchtröhren verschaffen angenehme Träume |
mannshohe Totale auf einen nächtlichen Schlafsaal. Die karge Einrichtung verweist auf ein provisorisches Krankenlager. An den Wänden zu beiden Seiten Betten mit unter Atemmasken Schlafenden. An jedem Lager steht eine Leuchte, eine LED-Röhre, ein mannshoher Leuchtkörper. Fast unmerklich wechseln sie ihre Farben, von einem warmen Orange, über ein Blau, zu einem klinischen Grün.
Der Farbwechsel verleiht der Szenerie etwas Meditatives und zugleich Gespenstisches. Die Leuchten sollen den Schlafenden, die fast durchgehend schlafen, angenehme Träume bescheren. Sie alle sind Soldaten, die unter einer mysteriösen Schlafkrankheit leiden. Manchmal wacht einer unverhofft auf, schläft ebenso plötzlich wieder ein, selbst wenn er sogar aufgestanden ist, um im Speisesaal zu essen.
Nur zwei Frauen haben eine Erklärung für die geheimnisvolle Krankheit der Krieger. Unter dem Schulgebäude, in dem sich die Krankenstation befindet, lebten die Geister der Soldaten der Könige vergangener Reiche, die in ihrem Schattenreich weiterhin ihre Schlachten kämpfen würden. Diese Soldaten-Geister würden den lebenden Soldaten oben all ihre Energie abziehen und sie auf diese Weise in einen niemals endenden Dauerschlaf versetzen. – Die Frauen, die das wissen, sind jedoch selbst zum Leben erwachte Statuen aus einem nahen Tempel.
Eine seltsame Szenerie in Cemetery of Splendour, dem neuesten Werk des Thailänders Apichatpong Weerasethakul. Seit ein paar Jahren beginnt man ihn in Europa zu kennen. Das Filmfestival in Cannes bescherte ihm 2010 für Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives die Goldene Palme. Der Titel deutet es an: Die Darstellung alternativer Realitäten gehört zu den Konstanten des Buddhisten »Joe« Weerasethakul. Sind in seinen anderen Filmen Träume und verwandte Bewusstseinszustände noch als solche erkennbar, verschmelzen in Cemetery of Splendour Traumrealität, Geisterglaube, Vergangenheit und Gegenwart ununterscheidbar, zu einer größeren mystischen Wirklichkeit.
Um die schlafenden Soldaten kümmern sich zwei Frauen. Die ältere, Jenjira (Jenjira Pongpas Widner), massiert ihre Beine, kümmert sich auch sonst um das körperliche Wohlergehen der Kämpfer im K.O.. Die jüngere, Keng (Jarinpattra Rueangram), ist ihrerseits ein Medium, das die Gedanken und Träume der Schlafenden lesen kann. Sie ist die Kommunikationbrücke zu den ratlosen Angehörigen, die sich jedoch weniger für deren spirituelles Erleben interessieren, eher für die weltlichen Dinge, wie die nächsten Lottozahlen oder mit welcher Frau sie heimlich fremdgehen.
Weerasethakul verwebt diese verschiedenen Ebenen mit großer Leichtigkeit und Mühelosigkeit. Als sich unter dem Krankenkittel eines schlafenden Soldaten unübersehbar eine Erektion abbildet, bemerkt Jenjira, dass es schön sei zu wissen, dass dieser Mann offensichtlich einen angenehmen Traum hat. Keng drückt das Glied mit der Hand sanft nach unten und stellt anschließend überrascht fest, wie schnell der Penis unter dem Stoff sich wieder abzeichnet. – Dies und ähnliches sind liebenswerte Details, die Cemetery of Splendour etwas zutiefst Menschliches verleihen.
Weerasethakul lässt im übrigen die Dinge meist konsequent im Dunkeln. So bleibt völlig offen, was die wahre Natur der Schlafkrankheit der Soldaten ist. Ein Bagger gräbt auf dem Grundstück der zum Krankenhaus umgebauten Schule den Boden um. Sucht er nach dem verborgenen Schlachtfeld der Geister-Soldaten? Immer wieder richtet die Kamera den Blick auf das üppige Grün der Umgebung. Dort befindet sich auch ein See, in dem geheimnisvolle Schaufelräder das Wasser im Kreis drehen.
»Panta rhei«, alles fließt. Verschiedene Wirklichkeiten erscheinen und tragen ihren Sinn in sich selbst.