The Big Lebowski

USA 1997 · 117 min. · FSK: ab 12
Regie: Joel Coen
Drehbuch: ,
Kamera: Roger Deakins
Darsteller: Jeff Bridges, John Goodman, Steve Buscemi, Julianne Moore, David Huddleston u.a.

»What makes a man?«

Charmant und athle­tisch wie Douglas Fairbanks, cool und smart wie Bogey, aufrecht und hart wie John Wayne, muskel­be­packt und zäh wie Stallone: das Kino beant­wortet sie immer auf’s Neue – die Frage, was es heißt, ein richtiger Mann zu sein.
Die Ängste, Wünsche, Sehn­süchte einer jeden Gene­ra­tion werden auf die Leinwand proje­ziert, nehmen Gestalt an, werden zu Leit­bil­dern, deren flackernder Wider­schein das Publikum verführt. So wie die Helden möchte man(n) sein; so wie die Helden muß man(n) sein. Als in North by Northwest zu sehen war, daß Cary Grant kein Unterhemd trägt, wäre die ameri­ka­ni­sche Triko­tagen-Branche beinahe in den Ruin gegangen.

Jeff »The Dude« Lebowsik (Jeff Bridges) ist ein wahrer Mann unserer Zeit. Er erwartet nicht viel vom Leben außer seiner Arbeits­lo­sen­un­ter­s­tüt­zung, genügend Alkohol und ausge­dehnten Bowling-Abenden mit seinen beiden Freunden, dem ebenso gesprächigen wie begriffs­stut­zigen Donny (Steve Buscemi) und dem mili­ta­ris­ti­schen Möch­te­gern-»G.I.Joe« Walter (John Goodman). Um so über­raschter ist er, als zwei Typen in sein Appart­ment einbre­chen, ihn zusam­men­schlagen, Lösegeld für seine Frau verlangen und ihrer Forderung Nachdruck verleihen, in dem sie auf seinen Teppich pissen. Ganz klar: Ein Fall von verwech­selter Identität – wo der Dude doch nicht mal verhei­ratet ist. Ebenso klar für Walter: »This aggres­sion will not stand!« (Jawoll, es ist die Zeit des ameri­ka­ni­schen Golf­kriegs.) Laut Tele­fon­buch gibt’s in Los Angeles nur noch einen anderen Jeff Lebowski – the »Big« Lebowski, mehr­fa­cher Millionär – und der soll dem Dude nun seinen schönen Teppich ersetzen. Womit für den »Little« Lebowski die Verwick­lung in den Entfüh­rungs­fall beginnt, die ihm bald die mehr oder minder unlieb­same Bekannt­schaft mit deutschen Nihi­listen, femi­nis­ti­schen Male­rinnen und alternden Porno­pro­du­zenten beschert.

Als es die Frontier noch gab, war alles einfacher: die männliche Iden­ti­täts­krise löste man im »wilden« Raum des Westens. Aber irgend­wann war man am Ozean angelangt und konnte der rituellen Zivi­li­sa­ti­ons­flucht vollends nur noch im Mythos fröhnen. Dann kam der Zweite Weltkrieg und brachte auch die Bilder­welt durch­ein­ander; die Stadt wurde zur düsteren Wildnis, und die private eyes des film noir irrten durch gefähr­li­ches mora­li­sches Dickicht. Nur im Kriegs­film war die echte Männer­welt vorläufig wieder in Ordnung – bis spätes­tens Vietnam auch dem ein Ende bereitete.

Die Gebrüder Coen haben sich in ihrem neuesten Genie­streich all jenen Genres ange­nommen, in denen klas­si­scher­weise am reinsten das Problem des Mannseins verhan­delt wird. Die Folie für The Big Lebowski ist zwei­fels­frei The Big Sleep, aber neben film noir finden Western und Kriegs­film gebührend Beachtung, und selbst Pornos und Busby Berkley-Musicals gehören mit zur Mixtur. Fast ein kleines Panorama des Hollywood-Kinos der Vierziger Jahre; nur verlegt von der Zeit des Zweiten Welt­kriegs in die des Golf­kriegs.
Eine Zeit, in der selbst die Star-Autoren der Fernseh-Western­se­rien (letzte Bastion des unge­bro­chenen Mythos) nur noch in der eisernen Lunge dahin­röcheln; eine Zeit, in der nichts mehr so funk­tio­niert, wie man es gewohnt ist. Der »Dude« stolpert verwirrt durch ein sich immer absurder verkom­pli­zie­rendes Netz an Fährten, die die Coens genüßlich allesamt ins Leere laufen lassen; einer der unsou­ver­änsten Helden der Kino­ge­schichte, stets allen anderen einen Schritt hinterher. In regel­mäßigen Abständen wird er unsanft außer Gefecht gesetzt – was die Coens nutzen, um wunder­bare, surreale Traum­se­quenzen zu insze­nieren (herr­lichste Höhe­punkte in einem an herr­li­chen Höhe­punkten nicht armen Film).
Das Verhältnis des Dudes zu Sex und Gewalt, jenen Feldern der Ehre für jeden echten ameri­ka­ni­schen Helden, ist von reich­li­cher Hilf­lo­sig­keit geprägt.
Als es ihm beinahe ans Gemächte geht und seine Wider­sa­cher seine Männ­lich­keit ganz anato­misch konkret bedrohen (welcher Moment wäre für einen wahren Helden des Hollywood-Kinos trau­ma­ti­scher!), muß er sich von seinen Freunden ganz ehrlich fragen lassen, wozu er diesen Körper­teil denn so dringend brauche. Denn Frauen zu erobern, das versuchen die Männer in The Big Lebowski nicht einmal mehr. Sie haben ja Bier und Bowling.
Und wenn es dann schließ­lich eine Leiche gibt, dann geschieht das so ganz anders als erwartet: Dann schlägt der Tod nicht nach den Regeln des Genres zu, dann geht es nicht um Kino-Gewalt, sondern um das sinnlose, absurde, plötz­liche und scho­ckie­rende Sterben eines Menschen.
Heroisch zele­briert wird von den Bildern nur eins: Bowling. Da ziehn die Coens dann all jene filmi­schen Register, die übli­cher­weise für die Darstel­lung von Sex oder Gewalt – oder die Verrich­tung sonstiger Helden­taten – reser­viert sind.

Bei aller Demontage und Boshaf­tig­keit offen­baren die Coens jedoch auch wieder jene Qualität, die sie gegenüber dem blanken Zynismus manch ihrer Kollegen auszeichnet: ihre Mensch­lich­keit. Zwar trägt The Big Lebowski diese nicht so deutlich zur Schau wie Fargo (und ist auch nicht ein so sympa­thi­scher Film wie dieser), aber auch hier werden selbst die absur­desten Charak­tere nie denun­ziert; schwingt in ihrer tiefen Lächer­lich­keit stets ein Moment der Größe; findet sich anstelle von Verur­tei­lung eine staunende Bewun­de­rung und Neugier ange­sichts der Palette mensch­li­cher Möglich­keiten.
Dazu gesellt sich, wie ebenfalls üblich, über­bor­dender, spie­le­ri­scher Einfalls­reichtum; ein enorm genaues Ohr für den Jargon (weshalb von der Synchron­fas­sung noch mehr als üblich abzuraten ist); Gespür für bizarre Details und diebische Freude über das Ausstreuen falscher Fährten für alle akade­mi­schen Inter­preten.
Und vor allem ist The Big Lebowski, wie jeder Film der Gebrüder Coen, ein nicht nur viel­schich­tiges und intel­li­gentes, sondern auch höchst unter­halt­sames Vergnügen.

The Big Lebowski stammt von den Brüdern Coen, die mit Filmen wie Fargo, Barton Fink und The Hudsucker Proxy treue Anhänger erobert haben.
Wer den Humor der Brüder kennt, weiß daß dieser meilen­weit entfernt ist von den gewohnten Komödien aus Hollywood. Statt dessen erwarten die Kino­be­su­cher bei den Coens schräge Charak­tere, skurrile Situa­tionen und verwir­rende, aber durch­dachte Hand­lungs­de­tails. Und genau diese Erwar­tungen erfüllt der Film.

Die 1991 (zur Zeit des Golf­kriegs) ange­sie­delte, in Los Angeles spielende Story von The Big Lebowski ist eigent­lich einfach, wird aber durch die Beschränkt­heit der beiden Haupt­fi­guren Jeff und Walter zusehends kompli­zierter:

Der arbeits­lose Jeff The Dude Lebowski (Jeff Bridges) ist ebenso harmlos wie gutmütig, aber auch entsetz­lich träge. Er kommt mit den leis­tungs­ori­en­tierten Neunziger Jahren nicht zurecht, innerlich lebt er noch in den relaxten Sieb­zi­gern. Seine Vorliebe gilt Creedence Clear­water Revival, den Gesängen der Buckel­wale, dem Bowling und seinem Cocktail White Russian, (der auch gleich­zeitig sein Haupt­nah­rungs­mittel darstellt).

Das alltäg­liche easy living endet jedoch für Jeff Lebowski abrupt, als er mit einem Millionär gleichen namens verwech­selt wird und dadurch unver­dient Prügel von den Geld­ein­trei­bern eines Porno­pro­du­zenten bezieht. Zudem wird dabei sein Teppich zerstört. Froh darüber, mit heiler Haut davon gekommen zu sein, will er alles auf sich beruhen lassen, doch sein Freund Walter (John Goodman) überredet ihn dazu, den Millionär ausfindig zu machen, um sich den Schaden von ihm ersetzen zu lassen. Das hätte er besser nicht versuchen sollen, denn nun kommt eine Lawine von Ereig­nissen ins Rollen, die seine bisherige Ruhe, seinen beschei­denen Wohlstand und letztlich sein Leben ernsthaft bedrohen.

Der Millionär, der große Lebowski, empfängt zwar den arbeits­losen Jeff Lebowski in seiner Villa, doch anstelle des erhofften Scha­den­er­satzes erntet Jeff zunächst nur zynische Vorwürfe über sein Dasein als Verlierer. Beim Verlassen des Anwesens begegnet er Bunny, der verfüh­re­ri­schen, jungen Frau des großen Lebowski und fortan über­schlagen sich die Ereig­nisse. Bunny, die Frau des großen Lebowski wird (bzw. gilt als) entführt und ausge­rechnet Jeff stellt sich als Kurier zur Verfügung, weil er meint, auf diese Weise viel Geld ohne Aufwand verdienen zu können. Bei der geplanten Geldüber­gabe verschwindet der Löse­geld­koffer ohne die Adres­saten zu erreichen und auch alles andere läuft schief, so daß das Unheil seinen Lauf nimmt. Denn nun hat Jeff, der doch nur seine Ruhe will, mehrere zur Unruhe neigende Parteien gegen sich aufge­bracht: den Geldgeber, die Polizei, drei schlag­kräf­tige Deutsche und den Poli­zei­chef namens Kohl.
Auf der weiteren verzwei­felten Suche nach dem verschwun­denen Lösegeld erhält er mora­li­sche Unter­s­tüt­zung durch seinen Freund Walter, der aller­dings ein chole­risch veran­lagter Waffen­narr ist, und von Donny, einem relaxten Ex-Surfer. Immer mehr Personen nehmen Einfluß auf das Leben Jeffs, der ständig neuen mitleid­er­re­genden Demü­ti­gungen und Verwechs­lungen ausge­setzt ist, ohne sich zu wehren. Die Handlung wird zusehends verwor­rener, teilweise sogar arg ungereimt, und zu lang geratene Traum­se­quenzen sorgen für unnötige Längen.

Den Coen-Brüdern ist mit The Big Lebowski zwar kein wirklich span­nender Film gelungen, aber doch eine sehr amüsante Komödie mit liebevoll und gekonnt charak­te­ri­sierten Spinnern. Angenehm ist, daß – ganz im Gegensatz zu ihrem Erfolgs­film Fargo – Gewalt in diesem Film selten präsent ist, der ironische Humor aber um so häufiger. Die Schlicht­heit mancher früheren Filme ist verloren gegangen und hat aufwen­diger Insze­nie­rung Platz gemacht, so daß man sich bei vielen Szenen des Films fragt, ob dieser große Aufwand an Animation oder Choreo­gra­phie nun nötig war. Sehr gelungen ist zwei­fellos der Einsatz von Musik, der teilweise arg ironisch, teilweise sehr über­ra­schend, in jedem Fall aber stimmig ist.

Die schau­spie­le­ri­sche Leistung der beiden Haupt­dar­steller ist sicher schon das Eintritts­geld wert. Bridges und Goodman spielen ihre (für ihre bishe­rigen Erfolge) eher unty­pi­schen Rollen höchst glaub­würdig und mit sicht­barer Lust.

Deshalb ist der Film sehens­wert, am besten natürlich in der ameri­ka­ni­schen Origi­nal­ver­sion!