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„Ist das nicht verrückt?“

  31.07.2008
 
 
Jennifer Lynch über Hollywood, ihren neuen Film Surveillance und ihren berühmten Vater David

Unter Kontrolle?
 
 
 
 

Jennifer Lynch wurde 1968 in Philadelphia geboren. Ihr Vater ist der berühmte Regisseur David Lynch, ihre Mutter die Malerin Peggy Lynch. In Vaters Fußstapfen trat sie 1993 mit dem umstrittenen Erotik-Horrorfilm Boxing Helena. Jetzt kommt ihr zweiter Film, Surveillance (UNTER KONTROLLE) ins Kino, ein überraschungsreicher Suspense-Thriller über Polizeiwillkür.

artechock: Ihr erster und bisher einziger Film BOXING HELENA ist 1993 ziemlich spektakulär gefloppt. Was haben Sie in den letzten 15 Jahren eigentlich gemacht?

Lynch: Ich habe einen Roman geschrieben. Ich habe ein Kind bekommen und meine Tochter alleine großgezogen. Sie ist jetzt zwölf. Ich habe auch verschiedene Drehbücher geschrieben und an anderen mitgearbeitet. Ich hatte zudem schlimme Rückenprobleme, die von einem Autounfall herrührten, den ich mit 19 hatte. Deswegen hatte ich nacheinander drei schwere Operationen an der Wirbelsäule. Und es hat schließlich einige Zeit gedauert diesen Film fertig zu stellen. Das alles hat sich auf 15 Jahre summiert.

Es war ja zunächst schwierig, SURVEILLANCE zu finanzieren...

Lynch: Oh ja, das war es. Weil ich mitbestimmen wollte, und mich weigerte, dem Studio die ganze Entscheidungsmacht - vor allem im Schneideraum - zu überlassen.
Das ist eine Geschichte, die viel darüber verrät, wie Hollywood funktioniert: Das fertige Drehbuch wanderte fast elf Monate über die Schreibtische der Studiobosse. Keiner wollte es machen - jedenfalls nicht zu meinen Bedingungen. Dann rief mich eines Tages mein Vater an und fragte: "Würde es helfen, wenn ich meinen Namen mit darauf setze?" Und in 48 Stunden hatte ich zwei gute Angebote und das Drehbuch war verkauft! Ist das nicht verrückt?

Ich hatte mit meinem Vater vereinbart, dass er, falls ihm der fertige Film dann nicht gefiel, seinen Namen auch zurückziehen dürfe. Das war nur fair. Als er den Film gesehen hatte, sagte er nur: "Ich will, dass der Name größer geschrieben wird." Das war ein schönes Kompliment.

Wie würden Sie "Surveillance" beschreiben? Das ist ja jedenfalls nicht gerade eine "Romantic Comedy"?

Lynch: Das ist eine "Romantic Comedy"! Das ist meine Version einer eine "Romantic Comedy". Er ist seltsam, aber auf wunderbare Weise seltsam.

Manche haben den Film mit Filmen ihres Vaters und deren Atmosphäre, deren Schauplätzen verglichen...

Lynch: Ja, das ist in mancher Hinsicht nahe liegend, aber für mich natürlich auch ziemlich öde. Natürlich ist man davon geprägt, wenn man so einen Vater hat. Aber ich bin auch die Tochter meiner Mutter, und ehrlich gesagt: Wenn Sie deren Gemälde anschauen, sehen Sie davon auch einiges in meinen Filmen wieder. Auch das inspiriert mich. Ich werde die Art, wie ich bestimmte Dinge betrachte, jedenfalls nicht deswegen ändern, weil es manche an die Filme meines Vaters erinnern könnte. Das wäre noch blöder, als einfach weiterhin zu versuchen, ich selbst zu sein.

Das einzige, was mich an dem Vergleich allerdings wirklich ärgert ist, wenn manche Leute daraus einen Vorwurf machen: Als würde ich den Namen benutzen, um mich zu vermarkten. Oder um zu sagen, dass ich schlechter bin. Oder das beide Lynch‘ schlecht sind: "Oh, sie ist genau, wie ihr Vater."

Aber ganz klar: Ich bin sehr durch das Werk meines Vaters beeinflusst. Aber auch durch Kurosawa. Auch durch Hitchcock. Nur ist der nicht mein Vater. [Lacht]
Es ist natürlich auch eine außergewöhnliche Situation: Alle Welt hat eine Vorstellung von meinem Vater, nicht aber von den anderen. Es wäre ziemlich interessant, wenn jeder Filmemacher am Anfang seines Werks erstmal seine Eltern vorstellen müsste. Der Vergleich drängt sich eben auf, weil man den gleichen Beruf hat.

Aber man könnte sich ja auch schlimmere Vergleiche vorstellen...

Lynch: Oh ja, es könnte schlimmer sein.

Ist das Arbeiten für Sie auch schwieriger, weil Sie eine Frau sind? Es gibt ja, verglichen mit Europa, in den USA nicht gerade viele Regisseurinnen?

Lynch: Ich bin sicher, dass es weiterhin Vorurteile und zusätzliche Probleme gibt. Andererseits kenne ich es ja nur so. Ich weiß nicht, wie es ist, wenn man als Mann Regie führt und mit den Studios verhandelt... Ich habe natürlich manche Männer beobachtet. Es scheint viel einfacher zu sein. Man muss sich als Frau künstlich hart geben.

Ihre Hauptdarstellerin ist Julia Ormond. Was zeichnet sie aus?

Lynch: Ihre eigene Stimme. Was Julia Ormond vielen Darstellern voraushat: Sie benutzt sich selbst nicht nur als Gefäß für ihre verschiedenen Rollen und als Kostümhalter. Sondern sie bringt sich selbst ein, sie hat eine Meinung, ist eine echte Persönlichkeit. Sie könnte selber Regie führen.

Hinter jeder ihrer Gesten und Bewegungen steckt eine Überlegung, eine Geschichte. Nehmen sie allein die Art und Weise, wie sie eine Pistole hält. Das kann man auf tausend verschiedene Weisen machen. Bei ihr ist so etwas nie willkürlich. Es geht bei guter Schauspielkunst übrigens nicht um "Intentionen", "Motivationen" und "Beweggründe" - das ist Schauspielschul-Bullshit. Sondern es geht darum einen Charakter zu leben, es zu sein. Zu wissen, wo die Figur herkommt.

Das gilt in gewissem Sinn aber genauso für die Regie. Das wunderbare am Regieführen ist ja dies: Geben Sie fünf Regisseuren das exakt gleiche Drehbuch zum verfilmen, und sie erhalten am Ende fünf ganz verschiedene Filme. Dies wäre einmal ein interessantes Experiment.

SURVEILLANCE zeichnet ein Horror-Bild der Polizei, handelt von Polizei-Willkür, Sadismus...

Lynch: Auf einer Skala zwischen eins und zehn sind diese Polizisten auf Stufe elf, das ist ganz klar. Aber das ist das Schöne und das Absurde am Kino. Da kann man das machen. Ich wußte, meine Polizisten mussten sich extrem benehmen, damit der Film funktionieren würde. Sie durften nicht nur ein bisschen böse sein, sondern richtig boshaft. Totale Maniacs!

Ich habe aber den fertigen Film einem guten Freund gezeigt, der Polizist ist. Nach dem Ende hat er nur gesagt: "Ich habe mit genau solchen Leuten gearbeitet." Ich habe mich nicht getraut, genauer nachzufragen, weil mich das nur nervös macht.

Wenn sie sich langweilen, machen auch Polizisten Unsinn. Und entwickeln sich in eine Weise, die ihnen und ihren Mitmenschen nicht gut tut. Wenn man allein im Auto sitzt mit einem Kollegen und einer umgeschnallten Waffe, irgendwo im Nirgendwo, wo nie etwas passiert, dann fühlt man sich nutzlos. Und machtlos. Und der einzige Grund, warum Menschen Polizisten werden, ist meiner Meinung nach, weil sie sich mächtig fühlen möchten, und nützlich, weil sie etwas bewirken wollen, gut oder schlecht.

Ihr Film ist aber auch sehr witzig. Wie wichtig ist die Rolle von Humor und Ironie?

Lynch: Ja, Sie haben es kapiert, danke! Ich denke, wenn man nicht ab und zu für Entspannung sorgt, hält es kein Zuschauer aus. Es ist wichtig, Spannung anzulassen, um den Reiz der Geschichte zu erhöhen. Ich will, dass die Zuschauer lachen, und sich dann über ihr Lachen selber wundern. Das ist interessant, das ist eine Erfahrung, die ich im Kino selber machen will.

Sie haben schon ein neues Projekt. Worum geht‘s?

Lynch: Der neue Film handelt von einer indischen Legende: Es ist ein Musical, Liebesgeschichte, Komödie, Actionfilm. Bollywood. Klingt verrückt, oder?


Mit Jennifer Lynch sprach Rüdiger Suchsland.

 

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