27.06.2013
30. Filmfest München 2013

»Das ist Snowden«

Zal Batmanglij
Zal Batmanglij Anfang Juli 2013 in München – Blickrichtung: to The East
(Foto: Purr)

Zal Batmanglij über sein Leben »On the Road«, seine iranischen Wurzeln, Sarah Polley, die Zusammenarbeit mit Brit Marling und die verblüffende Art und Weise, wie sein jüngster Film The East von der Realität des Prism-Skandals um Edward Snowden eingeholt wurde

Zal Batman­glij wurde 1980 als Kind irani­scher Eltern in Frank­reich geboren und wuchs in Washington D.C. auf. Seine Mutter ist die Koch­buch­au­torin Najmieh Batman­glij, sein jüngerer Bruder Rostam Gitarrist bei Vampire Weekend; beide Brüder bekennen sich offen zu ihrer Homo­se­xua­lität. Batman­glij studierte Anthro­po­logie und Englisch an der George­town Univer­sity, wo er Mike Cahill kennen­lernte und zusammen mit ihm einen preis­ge­krönten Kurzfilm reali­sierte; Brit Marling bot sowohl Cahill als auch Batman­glij auf diesen Film hin eine Zusam­men­ar­beit an, die bis heute Bestand hat. Batman­glij war Stipen­diat am American Film Institute. Sein über­ra­gendes Debüt Sound of My Voice wurde 2011 erfolg­reich auf dem Sundance Film Festival gezeigt; 2012 nahm ihn Variety in ihre Liste von „10 Directors to Watch 2012“ auf.

Das Gespräch führte Axel Timo Purr.

artechock: Ist dies Ihr erster Besuch in Deutsch­land?

Zal Batman­glij: Nein, ich war vor 24 Jahren schon mal hier. Und zwar genau in diesem Hotel, dem Baye­ri­schen Hof. Als ich acht Jahre alt war, zusammen mit meinen Eltern. Ich erinnere mich an rein gar nichts. Bis auf eins. Den Hotel­ba­de­mantel, diesen riesigen Bade­mantel, der mich regel­recht verschlungen hat.

artechock: Dann haben Sie ja durchaus Erfahrung mit Deutsch­land und als Kind irani­scher Eltern mit einem zeit­wei­ligen Leben in Frank­reich auch ein Gespür für Europa – könnte Ihr neuer Film The East auch hier ange­sie­delt sein?

Batman­glij: Auf jeden Fall. Poli­ti­scher Akti­vismus und anar­chis­ti­sche Ideen sind in Europa eine große Sache. In Spanien, in England und natürlich auch in Deutsch­land. Nach Vorstel­lungen von The East wurde ich zum Beispiel immer wieder gefragt, ob ich Die fetten Jahre sind vorbei gesehen hätte. Der wohl ähnlich ist, den ich aber nie gesehen habe. Und viel­leicht ist das Thema meines Film sogar stärker in Europa als in Amerika verankert, diese ausufernde Firmen­kri­mi­na­lität, auch wenn es hier diese seltsame Vorstel­lung gibt, dass es das viel mehr in Amerika gibt. Ich muss ich nur in einen Laden gehen und mir die Lebens­mittel ansehen – unglaub­lich viel ist mit genetisch verän­derten Zutaten ange­rei­chert, alles natürlich „sauber“ dekla­riert.

artechock: Ich denke, in beiden Kultur­räumen ist immerhin die Chance da, auf Alter­na­tiven zurück­zu­greifen, doch zumindest ein Unter­schied scheint mir relevant – die privaten Geheim­dienst­or­ga­ni­sa­tionen, die es so in Europa noch nicht gibt. Basieren diese Teile ebenso wie die „Hobo“-Passagen auf persön­li­chen Erfah­rungen – ihrer zwei Monate, die Sie mit Brit Marling, ihrer Dreh­buch­au­torin und Haupt­dar­stel­lerin, auf der Straße und in Zügen als radikale Non-Consumer- Akti­visten verbrachten?

Batman­glij: Nun ja, wir haben das damals nicht als Feld­for­schung für unseren Film gestartet. Wir haben das gemacht, weil wir neugierig auf diese Art von Leben waren.

artechock: Und war es tatsäch­lich so, wie sie es in The East darstellen?

Batman­glij: Es war viel besser. Im Film benutzen wir es eigent­lich nur als Kulisse, im wirk­li­chen Leben hat es uns richtig verändert.

artechock: Dieser fast poli­ti­sche Hobo-Akti­vismus hat in Amerika eine lange Tradtion. In den 1930ern initiiert durch die Dürre und künst­le­risch aufge­ar­beitet durch Woody Guthries Balladen, in den 1950ern durch Jack Kerouac völlig neu definiert. Und dann natürlich Bob Dylan. Ist man sich heute »On the Road« dieser Tradi­tionen noch bewusst?

Batman­glij: Natürlich borgt sich jede Bewegung Dinge aus der Vergan­gen­heit und ist sich dieser Vergan­gen­heit bewusst. Aber viel ist einfach auch sehr anders. Es gibt Mobil­te­le­fone, es gibt das Internet. Wir sind also nicht nur in Güter­zügen mitge­fahren, sondern auch oft über Mitfahr­ge­le­gen­heiten auf Craigs­list weiter­ge­kommen. Es ist also anders. Gleich­zeitig kleiden sich die Leute ein bisschen wie damals und stehen auch politisch in der alten Tradition: es sind Anar­chisten, Veganer, Triba­listen, die sich ganz bewusst mit der Vergan­gen­heit verorten, natürlich immer auch, weil sie die gegen­wär­tige Kons­um­kultur verachten.

artechock: Von diesen realen Erfah­rungen kommend – wie haben Sie das Script mit Brit Marling entwi­ckelt?

Batman­glij: Wir mussten diese unglaub­lich mächtigen Erfah­rungen irgendwie in den Griff kriegen. Wir waren einfach völlig mitge­nommen und zugleich auch verstört von dem, was damals schon über die privaten Geheim­dienste gemunkelt wurde. Aber das war alles recht vage, Bestä­ti­gung für unsere Geschichte habe wir erst vor ein paar Wochen bekommen, als es mit Snowden losging. Ich meine, wir wussten damals, dass bereits 40 Prozent aller Geheim­dienst­tä­tig­keit an private Unter­nehmen outges­ourced wurde. Wir wussten das, es gab Statis­tiken, wir haben es nicht erfunden. Aber Wissen ist einfach etwas ganz anderes, als es dann real im Fernsehen und über die Presse bestätigt zu bekommen. Aber es fügte sich alles ganz wie selbst­ver­s­tänd­lich zusammen, so das mir Britt Manlings Charakter eines „Whist­le­b­low­sers“ nicht übermäßig fiktional vorkam.

artechock: Mit Snowden ist ihr Film ja in wirklich verblüf­fendem Ausmaß von der Realiät eingeholt worden.

Batman­glij: Absolut. Wir beenden den Film damit, wie Sarah einen Video dreht: »Mein Name ist Jane Owen. Ich habe für Hiller Brod gear­beitet.« Das ist Snowden. Man hätte auch anders enden können. Haneke-ähnlich, pixel­artig und dann das Ende. Fast schöner wäre es gewesen, wenn Snowden unseren Film ganz kopiert hätte. Statt alles bekannt zu machen, alle Agenten auf seiner Liste besucht hätte. Aber so wie es ist, reicht es ja schon. Snowden sagt im Interview: »I had access to the list of all operative in the world«. Das ist so ziemlich genau der Wortlaut in unserem Film. Völlig bizarr. Unheim­lich.

artechock: Wie funk­tio­niert dann das eigent­li­chen Scripten im Team mit Brit Marling?

Batman­glij: Zuerst erzählen wir uns gegen­seitig die Geschichte, so wie wir beide uns jetzt gegenüber sitzen. Wir haben ein bisschen Sex, trinken Wasser, erzählen uns die Geschichte. Wir schreiben nicht über Monate, wir bleiben bei diesem Erzählen, fangen dann nach vier Monaten an, Szenen zu spielen, nehmen sie mit unseren Smart­phones auf. Und erst danach schreiben wir in ungefähr vier Wochen alles auf.

artechock: Gilt das auch für Sound of My Voice?

Batman­glij: Sehr ähnlich, nur schneller.

artechock: Auch bezüglich der persön­li­chen Erfah­rungen, die der Geschichte zu Grunde liegen?

Batman­glij: Wir haben zwar keine Zeitrei­sende getroffen, aber im Grunde natürlich schon. Als wir zum ersten Mal nach L.A. kamen, waren da diese ganzen Gruppen. Yogi-Gruppen, spiri­tu­elle Gruppen und wir waren ziemlich faszi­niert davon.

artechock: Beide Filme sind sich sehr ähnlich. In beiden wird eine Gruppe von aussen infil­triert. Beide Filme sind akribisch genaue, fast hyper­rea­lis­ti­sche Grup­pen­ana­lysen. In beiden Filmen wählen Sie ein viel­deu­tiges Ende und verzichten auf einen radi­ka­leren Zugang zum Thema, so etwas wie einer Handels­an­wei­sung.

Batman­glij: Wir haben das versucht, den radikalen Weg. Dass in The East beide am Ende weggehen, so eine Art Märchen­ende. Das gilt auch für Sound of My Voice und viel­leicht ist es unsere Schwäche als Filme­ma­cher, dass wir es so nicht gemacht haben. Aber ich denke eigent­lich, dass das Ende von Sound of My Voice durchaus radikal ist: es ist klar, was passiert, aber es ist nicht klar, was es bedeutet. Das liegt beim Zuschauer.

artechock: In gewisser Weise gebe ich Ihnen Recht. Man darf und kann sich einer Sache nie sicher sein, wie sicher sie auch erscheint. Einen letzten Moment von Zweifel sollte man sich immer bewahren, auch wenn es um die Möglich­keit von Zeitreisen geht.

Batman­glij: Oder um Glauben, jede Art von Glauben. Blinden Glauben vor allem. Und ist Sound of My Voice am Ende radikal, so ist The East elegant. Nicht nur mit Snowden auf der Bild­fläche und sich vorzu­stellen, dass er jetzt in Moskau die Agenten auf seiner Liste kontak­tiert und damit wirklich radikal die NSA von innen heraus angeht. Nein, ich meine mit elegant auch Sarahs finales Bekenntnis zu sich selbst, trotz der Versu­chung als Einzel­gän­gerin endlich einer Gruppe anzu­gehören sich letztlich doch für sich selbst und die eigene Moral zu entscheiden.

artechock: Sie arbeiten mit Brit Marling zusammen. Denken Sie manchmal auch wieder daran mit Mike Cahill zusam­men­zu­ar­beiten?

Batman­glij: Mike Cahill ist mein bester Freund. Wir haben unsere ersten Filme zusammen gemacht, unsere Kurzfilme, wodurch wir dann Britt kennen­ge­lernt haben. Sie hat zur gleichen Zeit einen Film mit Mike geschrieben und einen mit mir, 2008/2009.

artechock: Another Earth und Sound of My Voice?

Batman­glij: Ja. Seitdem hat sie zwar einen weiteren Film mit mir, jedoch keinen mehr mit Mike geschrieben, doch bei ihm gespielt. Und irgendwie hätte ich auch Lust wieder mit ihm zu arbeiten, aber es ist kompli­zierter geworden. Wir sind beide Regis­seure. Ich hätte nichts dagegen, ich mag Mike. Aber wenn man älter ist, wird es schwerer zusamm­zu­ar­beiten. Wenn man jünger ist, bedeuten die Dinge nicht so viel, heute ist alles mit Bedeutung aufge­laden. Einen Film wie Sound of My Voice werde ich wohl nie wieder machen. Damals wusste ich nicht, ob irgendwer diesen Film, den ich gerade mache, jemals sehen würde, das war eine völlig andere Heran­ge­hens­weise. Heute weiss ich, egal ob meine nächsten Filme ein Flopp werden, dass zumindest ein paar Leute sie sich ansehen werden und das verändert alles. Dein Denken ist von grundauf verändert mit diesem Wissen.

artechock: Ihre Erziehung ist multi­kul­tu­rell: als Kind irani­scher Eltern in Südfran­frank­reich geboren, in den USA groß geworden. Hat der iranische Film Sie beein­flusst, sprechen Sie Farsi?

Batman­glij: Ja, mehr schlecht als recht. Es ist mehr eine Sache der Gene. Ich fühle mich irgendwie dazu­gehörig. Wenn ich einen Film wie Nader und Simin sehe, dann ist es, als ob der Film zu mir spricht. Es ist wie bei Leuten, die bei der Geburt getrennt werden – Zwillinge, Vater und Sohn, Mutter und Tochter – und die sich dann nach 30 Jahren wieder­sehen. Ein Art von intui­tivem Erkennen. Haben Sie den letzten Film von Sarah Polley gesehen, Stories We Tell?

artechock: Oh ja – großartig!

Batman­glij: Fantas­tisch, mein Highlight dieses Jahres. Ich werde auf jeden Fall versuchen, sie für einen meiner nächsten Filme zu verpflichten. [Lacht] Erinnern Sie sich, wie sie das erste Mal ihren biolo­gi­schen Vater trifft, dieser irre Moment, als es einfach nur Klick macht. Das ganze intel­lek­tu­elle, reflek­tive ihrer Person, alles ist plötzlich erklärt. Es ist wie ein Spiegel, in den sie guckt. Ein Spiegel, der aber nicht nur die Personen, sondern auch ihr Umfeld reflek­tiert. Und das ist auch fremd. Genauso geht es mir mit dem irani­schen Kino. Ich lerne dabei etwas über den Iran, in dem ich nie gewesen bin, ich lerne etwas über mich selbst, weil ich DNA mit der Geschichte meiner irani­schen Eltern teile und gleich­zeitig frage ich mich, was das eigent­lich alles ist, diese Lang­sam­keit zum Beispiel.

artechock: Und der fran­zö­si­sche Einfluss? Wiegt er schwerer als der iranische oder ihre ameri­ka­ni­sche Film­so­zia­li­sa­tion?

Batman­glij: Neben meiner Geburt und ein paar Jahren Kindheit habe ich später einige Zeit mit meinem Hund in Südfrank­reich verbracht. Und natürlich Filme gesehen, die mich geprägt haben, aber im Grunde ist es die ameri­ka­ni­sche Sozia­li­sa­tion, die mich am stärksten beein­flusst hat. Und das nicht nur auf der filmi­schen Ebene. Es ist einfach die außer­ge­wöhn­lichste meiner Iden­ti­täten. Ich erinnere mich an eine Hochzeit, wo ich neben einem briti­schen Paar saß und die mich fragten: »Du fühlst Dich doch nicht wirklich als Ameri­kaner, oder?« Ich sagte: »Doch und zwar 100 prozentig!« Sie konnten das überhaupt nicht nach­voll­ziehen, dass ich so etwas während dieser düsteren Jahre unter Bush auch nur ansatz­weise vertreten konnte. Aber das ist das Schöne an Amerika. Ameri­kaner gibt es in allen Formen und Größen. Und so ist die Kultur, so sind die Filme. The East wäre nicht denkbar ohne den Einfluss von Filmen wie Die Unbe­stech­li­chen oder Pakulas Die Akte. Und diesen Einfluss weiß ich zu schätzen.