08.06.2023

Das Augenzwinkern der Avantgarde

Michael Snow
Michael Snow im Filmmuseum München am 23.5.2014
(Foto: Jakob Gross)

Zu seiner »Halbzeit« erinnert das Münchner Filmfestival UNDERDOX an den Besuch eines der eminentesten Protagonisten des amerikanischen Experimentalfilms: Michael Snow

Von Dunja Bialas

Können Avant­gar­de­filme auch komisch sein? Wer Peter Kubelka, Peter Tscher­kassky oder Michael Snow kennt, der weiß, dass die Antwort natürlich »ja« ist. Nichts aber verströmt so viel Schrecken wie das Label »Expe­ri­men­tal­film«. Anstren­gend sei das, sagt man, nur was für Jazzer – und die sind manchmal tatsäch­lich erschre­ckend ernst und nerdig. Allesamt Kenner, allesamt Männer, einge­schwo­rener Kreis, nur was für Insider.

Das inter­na­tio­nale Film­fes­tival UNDERDOX will seit nun fast 18 Jahren mit diesem Schrecken vor dem Expe­ri­men­tal­film aufräumen. Deshalb hat es vor vielen Jahren ange­fangen, die wichtigen Prot­ago­nisten der Szene nach München einzu­laden: Die Öster­rei­cher Peter Kubelka und Peter Tscher­kassky, den wahn­wit­zigen Briten John Smith, und Miranda Pennell mit ihren choreo­gra­phierten Wirtshaus-Schlä­ge­reien. Die deutsche Filme­ma­cherin Corinna Schnitt mit wild­ge­wor­denen Haus­tieren in einem bürger­li­chen Wohn­zimmer. Ganz besonders aber über­rascht hat Michael Snow, als er 2014 für vier Tage zur UNDERDOX-Halbzeit nach München kam und dort sein Werk persön­lich dem Publikum vorstellte. Selbst wenn es der Bild- und Sprach­witz in seinen Filmen schon erahnen ließ – in So Is This (1982) laufen beispiels­weise über 60 Minuten lang nur Wörter über die Leinwand, hinter­sin­nige Sprach­spiele und Wort­ver­dre­hungen, in noncha­lanter Tief­grün­dig­keit.

Snow, 1928 in Toronto geboren, wo er auch Anfang des Jahres mit 94 Jahren verstorben ist, hat größ­ten­teils in New York gewirkt, wohin er in den Sech­zi­ger­jahren mit seiner Frau, der Künst­lerin Joyce Wieland, ging. Joyce wurde als Silhou­ette für sein Frühwerk emble­ma­tisch, sie ist die »Walking Woman«, der er seine seriellen Arbeiten als bildender Künstler widmete. Die auch immer wieder als Rand­no­tizen, geheime Hinweise in seinem filmi­schen Werk zurück­kehren. In New York ging er in der Film-Makers’ Cine­ma­theque (später: Anthology Film Archives) ein und aus, dort traf er auf Jonas Mekas, Peter Kubelka, Stan Brakhage, den Kompo­nisten Steve Reich. Während seines München-Besuchs räumte er mit der Legende auf: auch in New York waren die Vorstel­lungen am zentralen Ort der American Avant­garde meist von einer über­schau­baren Szene besucht, das große Publikum fand sich nicht ein. Und er staunte in falscher Beschei­den­heit über den Ansturm, den sein Besuch damals im Münchner Film­mu­seum ausgelöst hat.

Jetzt, zur Halbzeit am heutigen Donnerstag, erinnert UNDERDOX noch einmal an seinen Besuch. Viel Nostalgie ist nicht dabei, eher die Freude, ihn erlebt zu haben, dass er der Einladung gefolgt war, mit weit über Achtzig mit dem Flugzeug aus Toronto kam: Snow is in the air. Nochmals ist Wavelength von 1967 auf 16mm zu sehen, sein ikoni­scher Film, der mit seinem unter­schwel­ligen Film-noir-Plot (man könnte an Anto­nionis Blow Up denken) ganz früh die Tonlage seiner Filme setzte. Eigent­lich ist Wavelength ein Kame­ra­film. Über 45 Minuten lang zoomt die Linse langsam an eine Postkarte heran, die sich in einem Zimmer auf der gegenü­ber­lie­genden Wand befindet. Dazu Plot­geräu­sche aus dem Off. Eine Erkundung über das Sehen und Hören, über die Konzen­tra­tion und die Choreo­gra­phie der kine­ma­to­gra­phi­schen Apparatur.

Dazu dient als Ergänzung ein weiterer Kame­ra­film, ein Roadmovie: Seated Figures von 1988, ebenfalls von 16mm gezeigt, erst 2021 wurde der Film im Centre Pompidou aufge­führt – und schließ­lich gibt es noch Sshtoorrty von 2005 (35mm).

Michael Snow hat nach der Hochphase des Avant­gar­de­films, zu der auch seine Teilnahme im belgi­schen EXPRMNTL Festival in Knokke-le-Zout gehört – Vera Chytilova und Edgar Reitz gehörten der Jury an, die ihm den Grand Prix verlieh – vor allem für den Kunst­be­reich gear­beitet. Das serielle Prinzip seiner Foto­gra­fien entnahm er dem Jazz, er war ein begna­deter Musiker, der angeblich in seiner Anfangs­zeit nachts als Bar-Pianist arbeitete, um sich seine Kunst zu finan­zieren. Und da ist er wieder, der Jazz. Bei Michael Snow aber trans­for­miert er sich zu einem Augen­zwin­kern.

Die Autorin ist Co-Leiterin von UNDERDOX.

+ + +

UNDERDOX Halbzeit: Michael Snow – in memoriam
Donnerstag, 08.06.2023, 19 Uhr
Film­mu­seum München
Eintritt: 4 Euro