05.01.2017

Register ziehen wie noch nie: Hollywood 1952-1956

This is Cinerama
Atemberaubendes Kino: This Is Cinerama. Werbeplakat von Alexander Leydenfrost

Das Filmmuseum München zeigt in der Retrospektive »Kino wie noch nie« Hollywoods »bigger than life«-Klassiker

Von Ulrich Mannes

In den frühen 50er Jahren litt die Film­wirt­schaft nach Meinung vieler zeit­genös­si­scher Kultur­kri­tiker unter einer schweren Psychose, ausgelöst vom Siegeszug des Fern­se­hens. Als Heil­mittel verschrieb sich die Branche einige pompöse Rezep­turen, die da hießen: Stereo­phonie, Stereo­skopie, Cine­maS­cope, Cinerama, Todd-AO, VistaVison usw. Der Besuch eines Licht­spiel­hauses sollte wieder zum multi­sinn­li­chen Erlebnis werden, wie schon im neun­zehnten Jahr­hun­dert, als das Kino eine Jahr­markt­sat­trak­tion war und den Zuschauer »mit ausge­brei­teten Armen umfasste«. Diese neuen, auf alten Spek­ta­keln basie­renden Techniken wurden von der Film­kritik eher mit Skepsis aufge­nommen, da sie den Zuschauer mittels Lein­wand­krüm­mung, 3D-Illusion und Mehr­ka­nalton ins Geschehen gleichsam hinein­ziehen, und ihn als distan­zie­renden Betrachter erheblich einschränken. Wenn sich sowas wie Distanz­ver­lust beim Zuschauer schon nicht vermeiden lasse, dann sollte das höchstens die Drama­turgie eines Films auslösen, aber niemals optische und akus­ti­sche »Gimmicks«, hieß es. Und der Raumfilm, wie man den 3D-Film damals gerne nannte, war erst recht nicht satis­fak­ti­ons­fähig, da er über das »Vulgär­sta­dium der Natur­si­mu­la­tion und Verblüf­fung« nicht hinauskam. Gleich­wohl ist die Premiere des Promo­ti­on­films This Is Cinerama (verant­wortet vom King Kong-Regisseur Merian C. Cooper) am 30. September 1952 im extra dafür präpa­rierten New Yorker Broadway Theatre als Sensation gefeiert worden. Der Film, der mit drei gleich­zeitig laufenden 35mm-Projek­toren gezeigt werden musste, konnte seine aufwen­digen Produk­ti­ons­kosten nach einer zwei­jäh­rigen Laufzeit wieder einspielen, so dass weitere Produk­tionen auf den Markt kamen, die später sogar in eigenen Cinerama-Kinos zu sehen waren.

Das Cinerama-Verfahren blieb aber tatsäch­lich aufs »Kino der Attrak­tionen« beschränkt. Welche Entwick­lungen das Format durch­ge­macht und welchen Einfluß es auf das heutige Kino dennoch genommen hat, zeigt die Doku­men­ta­tion Cinerama Adventure, die am morgigen Freitag zum Auftakt der Filmreihe »Kino wie noch nie: Hollywood 1952-1956« in Anwe­sen­heit des Regis­seurs David Stroh­maier im Münchner Film­mu­seum zu sehen ist. Das Programm bietet bis Ende Februar an sechs Woche­n­enden einen reprä­sen­ta­tiven Quer­schnitt durch all die Inno­va­tionen der 50er Jahre. Und nicht wenige dieser Filme haben sich, entgegen mancher Prophe­zeiung, zu Klas­si­kern gemausert. Das gilt selbst für den ersten Cine­ma­scope-Film, The Robe von Henry Koster, ein Bibelfilm, der die Möglich­keiten des neuen Formats noch nicht ganz optimal ausgenützt hat und obendrein laut katho­li­schem »Film­dienst« »für das Empfinden deutscher Christen zu monströs« geworden ist. Aber es dauerte nicht lange bis die Filme­ma­cher das Scope-Format viel­seitig zu nutzen wussten – für jedes Genre. Das gilt auf jeden Fall für die erste Cine­ma­scope-Komödie How to Marry a Millio­naire (mit einem musi­ka­li­schen Vorspiel, das von einem Sinfonie-Orchester auf der Breitwand darge­boten wird), aber auch für Violent Sunday, ein Heist-Movie von Richard Fleischer, der in seiner weiteren Karriere noch viel mit den Bild­for­maten expe­ri­men­tiert hat. Ganz bestimmt gilt es für A Star Is Born von George Cukor, und natürlich auch für The Girl Can’t Help It von Frank Tashlin, der den Scope-Rahmen durch seine Comic-Einlagen gleichsam sprengt. Ein anderes inno­va­tives Format kommt auch nicht zu kurz: das von der Paramount entwi­ckelte VistaVi­sion, das durch ein spezi­elles Aufnahme- und Kopier­ver­fahren besonders fein­kör­nige 35mm-Bilder auf die Leinwand bringen konnte und auf dem sich John Ford (The Searchers) und Alfred Hitchcock (To Catch a Thief) auspro­bieren durften.

Im Begleit­text zur Retro­spek­tive versi­chert Film­mu­se­ums­leiter Stefan Drößler, dass die insgesamt siebzehn restau­rierten Klassiker (zu denen natürlich auch 3D- und 70mm-Filme gehören) in der digitalen Version die damaligen Tonsys­teme, Bild­for­mate und Farb­ver­fahren authen­ti­scher wieder­geben könnten, als es mit »ausgeb­li­chenen Film­ko­pien, (…) vers­tüm­melten, beschnit­tenen und oft schlecht kopierten Fassungen« möglich gewesen wäre. Zugleich räumt er ein, dass diese Simu­la­tion nicht ganz perfekt gelingen kann, da sie in Bezug auf die Situation der Auffüh­rung (d.i. der Kinosaal) nicht mehr möglich ist. Aber bestimmt ist das auch nur eine Frage der Zeit, bis das luxuriöse Ambiente eines 50er Jahre 1000-Plätze-Kinosaals ergänzend simuliert werden kann.

Kino wie noch nie: Hollywood 1952-1956
6.1. bis 19.2.2017. Film­mu­seum München, St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München.