18.09.2014

Wem gehört das Kino?

FID 2014
Agustin Pereira in Peter Lilienthals Der Aufstand

Mit ihrem Jubiläumsprogramm feiert die Filmstadt München 30 Jahre selbstbestimmtes Schauen

Von Natascha Gerold

Zum Glück entspra­chen die Schre­ckens­vi­sionen, die George Orwell in seinem bekann­testen Roman »1984« von der Welt zeichnete, nicht (oder zumindest in weiten Teilen nicht) der Wirk­lich­keit in diesem Jahr. Einfach waren die Zeiten dennoch nicht: auf inter­na­tio­naler Ebene etwa, wo der Kalte Krieg die UdSSR zum Boykott der Olym­pi­schen Spiele in Los Angeles und den Präsi­denten Reagan zu geschmack­losen Scherz-Kriegs­er­klä­rungen moti­vierte, oder auf natio­naler Ebene, wo die im Rahmen der Flick-Affäre zutage tretende Korrum­pier­bar­keit von Poli­ti­kern den Glauben an demo­kra­tisch gewählte Volks­ver­treter erschüt­terte.

Jede Menge Anlass zur Empörung und Besorgnis also. Auch in München, wo die kultur­po­li­ti­schen Entwick­lungen Gruppen von Filme­ma­chern, -lieb­ha­bern und Medi­en­päd­agogen schon seit Langem umtrieb, weshalb sie sich 1979 zur »Initia­tive Filmstadt München« zusam­men­ge­schlossen hatten. Damit entspra­chen sie dem Zeitgeist der 1970er Jahre, als die Vorstel­lung vom mündigen Bürger, der sich für seine Belange dezentral in Stadt­teil­gruppen einsetzte, immer öfter Wirk­lich­keit wurde. Wem gehört das Kino, wer darf Medien machen? Fragen, die im Grün­dungs­jahr des Vereins Filmstadt München, der 1984 aus der Initia­tive hervor­ging, brisanter waren denn je ange­sichts mangelnder Unter­s­tüt­zung alter­na­tiver Film­kultur seitens der Stadt sowie des Starts des kommer­zi­ellen Rund­funk­sys­tems in Deutsch­land. Raum für anderes Kino und anderes Sehen sollte es geben fürs heimische Publikum – auch für die Werke aus Grie­chen­land, Italien und der Türkei, den Herkunfts­län­dern der in München lebenden ehema­ligen »Gast­ar­beiter«.

Nach wie vor geht es bei der Filmstadt München, der Verbin­dung örtlicher Filmi­nitia­tiven und -vereine, um Meinungs­viel­falt, Diskus­sion und das Zeigen unter­schied­li­cher Erfah­rungs­welten. So gibt die Rückschau, bestehend aus Doku­mentar- und Kurz­filmen von Münchner Filme­ma­chern aus vier Jahr­zehnten, weniger Anlass zur Nostalgie, vielmehr bieten die im Film­mu­seum gezeigten Werke die Möglich­keit, immer wieder Bezüge zur Gegenwart herzu­stellen: Der Eröff­nungs­film Der Aufstand (22. September, 19 Uhr, in Anwe­sen­heit des Regis­seurs) von Peter Lili­en­thal, der 1980 versuchte, die sandi­nis­ti­sche Revo­lu­tion in Nicaragua anhand des Schick­sals eines Soldaten und seiner Familie doku­men­ta­risch zu veran­schau­li­chen, lässt einen unwei­ger­lich an Krisen- und Kriegs­schau­plätze in der Ukraine oder Gaza denken, wo der Grat zwischen ausge­wo­gener Bericht­erstat­tung und Meinungs­mache oft schmal ist. Eine Fami­li­en­ge­schichte, geprägt von steten sozio­kul­tu­rellen Verän­de­rungen – In Ich bin Tochter meiner Mutter (23. September, 18.30 Uhr, die Regis­seurin ist anwesend) von 1996 setzt sich Seyhan Derin mit den Biogra­phien ihrer Groß­mutter und ihrer Mutter ausein­ander. Welche Bedeutung die Erfah­rungen dieser beiden Gene­ra­tionen für die in der Türkei geborene und in Deutsch­land aufge­wach­sene Filme­ma­cherin haben, schildert sie in ihrem höchst­per­sön­li­chen Porträt auf eindrucks­volle Weise.

Familie und Musik – beides sind iden­ti­täts­stif­tende Lebens­be­reiche. Und auch wenn die Well-Brüder künst­le­risch seit Längerem getrennte Wege gehen, ist Plattln in Umtata – Mit Der Bier­mösl­b­losn In Afrika (24. September, 18.30 Uhr, in Anwe­sen­heit des Regis­seurs und der Brüder Well) immer noch mehr als ein höchst vergnüg­li­cher Reise-Musikfilm, in dem die Multi­ta­lente aus Bayern jenseits von Sicher­heits­an­lagen auf nicht minder­be­gabte Einhei­mi­sche treffen, die Gemein­sam­keiten von südafri­ka­ni­schem Gumboot-Tanz und Schuh­plattler entdecken und sich mit Apartheid, Sklaverei und ihren Auswir­kungen ausein­an­der­setzen.

Der Donners­tag­abend (25. September, 19 Uhr, viele der Regis­seure sind anwesend) gehört den Kurz­filmen – die zur Filmstadt München gehö­renden Vereine Bunter Hund, UNDERDOX sowie flimmern&rauschen des Medi­en­zen­trums München zeigen kein »Best-of« der vergan­genen Jahre, sondern präsen­tieren eine abwechs­lungs­reiche Band­breite, die zeigt, was diese filmische Gattung so reizvoll macht: von symbo­lisch aufge­la­denen Bildern, mit denen Claire Angelini in Jeune, Révo­lu­tion! Aufkeimen und Ende der tune­si­schen Jasmin­re­vo­lu­tion beschreibt über den böse-humorigen Anima­ti­ons­film 23V von Vincent Wild, der uns in die abartigen Betriebs­ge­heim­nisse eines Global Players einweiht bis zur Mock­u­m­en­tary Hütchen­spiel, einem Projekt von Chiasma Film, wo Dreh­ar­beiten zu einem Psycho-Kräf­te­messen zwischen Haupt­dar­steller und Regisseur ausarten, das selbst das Duo Herzog-Kinski in den Schatten stellt.