26.09.2020
68. Festival de Cine de San Sebastián 2020

Die Verhält­nisse, die sind nicht so

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Einer der besten Filme des Festivals: Zhou Ziyangs Wuhai
(Foto: Press Service SSIFF 2020)

Zwischen Corona und Raubtierkapitalismus: Festivals im Sturm – Notizen aus San Sebastián, Folge 4

Von Rüdiger Suchsland

»Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen/
an Land um dicke Dämme zu zerdrü­cken/
die meisten Menschen haben einen Schnupfen/
und Eisen­bahnen fallen von den Brücken.«

Jacob van Hoddis »Weltende«

Heute tobt ein Sturm in San Sebastián, wie ich ihn in all den Jahren noch nicht erlebt habe. Bis zu sechs Meter hohe Wellen klatschen gegen die Felsen, was toll aussieht, die meisten Fußgän­ger­wege an den Küsten sind gesperrt, und kurz vor 13 Uhr knallte ein Schie­fer­dach­ziegel etwa ein Meter neben mir auf den Boden, als ich mich gerade in einem Haus­ein­gang unter­ge­stellt hatte. Soll man ja auch nicht machen. Dies wäre mal ein unge­wöhn­li­cher Kriti­kertod gewesen – so ähnlich muss es gewesen sein, als Ödon von Horvath im Sturm von einem Baum erschlagen wurde. Man denkt an nichts Böses, sondern nur »doofer Sturm«. Und Patsch!

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Film­fes­ti­vals sind Risi­ko­ge­biete, nicht erst in Corona-Zeiten. Und das ist auch gut so. Ich fahre auf Festivals, weil (nicht obwohl) ich nicht weiß, was mir hier alles passieren kann. Denn auf Festivals riskiert man gar nicht so selten sein Seelen­heil und seine geistige Gesund­heit, die Filme können einen zu einem anderen Menschen machen, oder verrückt. Oder beides. Immerhin mit den Aerosolen ist es im Sturmwind vorbei. Aber es gibt viele Dinge, die sind in der einen oder anderen Form gefähr­li­cher als die Pandemie: Dach­ziegel, Fahr­rad­fahren im Sturm oder Filme.

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Heute Morgen erreichte uns folgende Festi­val­mit­tei­lung:
On Wednesday evening, Sept. 23, at the Principe 9 movie theater, at the screening of „Atarrabi et Mikelats“ from the Zinemira section, an unplea­sant incident occurred.
The director of the film, Eugène Green, was asked up to five times by the Festival staff to put on the mask and to put it on correctly. Finally, due to his lack of coope­ra­tion, the Festival manage­ment asked him to leave the theater. Two Basque Police agents informed him that an admi­nis­tra­tive complaint will be processed, for which he could receive a fine.
The Festival has suspended the accre­di­ta­tion of Eugène Green, who has lost his status as a guest of the Festival, for his lack of respect for the measures agreed with the health autho­ri­ties and for the Festival staff and for putting the health of the spec­ta­tors and the film crew at risk during and after the screening.
The Q&A continued with actors Lukas Hiriart and Saia Hiriart.

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»What an imbecil!« ist hier das Urteil. Die provo­ka­tive Geste von Green ist natürlich albern. Man kann sagen, dass sie seinen im Prinzip etwas arro­ganten Filmen entspricht, wobei diese Filme ja ganz schön sind. Und es ist natürlich schade, dass ein Film­re­gis­seur sich so decou­vriert, dass er auch nicht begreift, dass es auch bei diesem Film­fes­tival bestimmt viele Leute gibt, die die Corona-Maßnahmen mindes­tens genauso blöd finden, wie er selber, dass man dies aber machen muss, um das Festival zu erhalten, weil »die Macht«, »das System« in diesem Fall stärker sind, als der Autoren­fil­me­ma­cher, der gegen es kämpft.

Das ist genau der Punkt: Jeder macht hier den Scheiß mit. Nicht immer aus Über­zeu­gung, manchmal sogar trotz Skepsis gegen die Maßnahmen, und obwohl man insbe­son­dere die ganzen Corona-Gläubigen, die 150-prozen­tigen Maßnah­men­be­folger innerlich verab­scheut.

Keine Frage: Vieles spricht dafür, dass diese »Hygie­ne­maß­nahmen« und die teuren Dauer­tests an den Grenzen heillos über­trieben sind. In anderen Ländern, Belgien zum Beispiel, wird der öffent­liche Masken­zwang gerade abge­schafft. Man kann und muss viel­leicht kriti­sieren, dass unsere Gesell­schaft eben nicht nur in Gesund­heits­dingen, sondern auch im Zusam­men­hang mit der Kunst ihre Risi­ko­be­reit­schaft verliert. Risi­ko­be­reit­schaft ist das eigent­liche Thema hier. Denn wie eine Gesell­schaft ist, das beweist sich sowohl in alltäg­li­chen Dingen, wie in der Kunst. Es beweist sich daran, welche Filme öffent­lich gefördert werden und nicht gefördert werden, und es beweist sich auch im Umgang mit seiner Pandemie.

Ein Film­fes­tival wäre für dieses Risiko-Thema eine hervor­ra­gende Bühne. Für Corona-Debatten ist es das nicht. Und so wirkt Green hier nur wie ein geal­terter Hippie, der seinen Dauer­pro­test­gestus nicht unter Kontrolle hat.

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Vor jedem Festi­val­film läuft hier in San Sebastián dieser kleine feine Anima­ti­ons­film, der auf die wich­tigsten »Corona-Regeln« hinweist.

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Am Donnerstag kam bereits die Nachricht, dass Lili Hinstin als Locarno-Chefin de facto gefeuert wurde. Das ist für mich alles andere als über­ra­schend gewesen, denn Hinstins erste Ausgabe im vergan­genen Jahr war alles andere als über­zeu­gend; Hinstin schien von Anfang an verdammt. Man kann mit reinem Kunst-Snobismus kein Film­fes­tival machen.
Wir hatten damals auf Artechock über »die Mandarins von Locarno« geschrieben: »eine überaus durch­wach­sene Bilanz im ersten Jahr der neuen Direk­torin Lili Hinstin ... Das liegt auch daran, dass die neue künst­le­ri­sche Leiterin, die in Paris prächtig vernetzt ist, und lieber als in der Tessiner Provinz in der Quinzaine von Cannes den Direk­to­ren­posten bekommen hätte, ein bisschen sehr viel der üblichen Verdäch­tigen und des elitären Festival-Jet-Sets an den Lago Maggiore gebracht hat ... im Gesamt­bild wirkt das alles schon sehr einseitig. Es fehlt die Diver­sität, die doch gerade von Hinstin in anderem Zusam­men­hang so betont wird. ... stilis­tisch ist es die Norm des Anti-Normalen, der Affekt gegen die Konven­tionen, die sich hier durch­setzen, obwohl sie längst keinen mehr über­ra­schen. ... Ein über­wie­gend anti-narra­tives, medi­ta­tives, lako­ni­sches, mit sehr langen Einstel­lungen arbei­tendes Kino. Das ist nicht weniger konven­tio­nell, als das Block­buster- und Main­stream-Kino, nur anders. Es gibt nämlich auch einen ›Kunst-Main­stream‹, der einen Teil der aktuellen Kino­land­schaft insgesamt prägt.«

Wenn man in anderen Fällen sehr zu Recht den Hang zum Inhal­tismus kriti­siert, zu Filmen, die nur gefeiert werden, weil sie ohne Rücksicht auf Ästhetik irgend­welche Inhalte oder Themen auf die Leinwand bringen, die man für wertvoll hält, dann muss man hinzu­fügen: Die andere Seite dieses Inhal­tismus, die diesem komplett entspricht, ist der Forma­lismus, die Verab­so­lu­tie­rung der Form.
Die Eindi­men­sio­na­lität des Main­stream-Kinos wird nur gespie­gelt durch die Eindi­men­sio­na­lität des Kunst­sek­tors.
Wenn das »Dazwi­schen« fehlt, schadet das dem Kino.

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Die dazu­gehö­rige Pres­se­mit­tei­lung war aller­dings brutal und für Hinstin demü­ti­gend in ihrem Verzicht auf Diplo­matie und der unver­stellten Feind­schaft gegenüber der schei­denden Direk­torin:

»The Locarno Film Festival and Lili Hinstin terminate their colla­bo­ra­tion«

The Locarno Film Festival, under the Presi­dency of Marco Solari, and the Artistic Director Lili Hinstin decided today by mutual agreement to end their working rela­ti­on­ship.
Having acknow­ledged their diverging strategic views, the Locarno Film Festival and Lili Hinstin have decided by mutual consent to follow separate ways.
The Locarno Film Festival would like to express its gratitude to Lili Hinstin for her intense work in the artistic field over the past two years and wishes her all the best for the future.
The Executive Board, and subse­quently the Board of Directors, will soon meet to discuss succes­sion related matters.

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Jetzt stellt sich natürlich die Frage nach der Nachfolge. Seit ich nach Locarno fahre – erstmal 2006 und seitdem immer –, war nur ein einziger Schweizer im Chef­sessel für die kurze Periode von 3 Jahren: Frederic Maire, der heute die Ciné­ma­thèque Suisse in Lausanne leitet. Ein integrer Mann, der sich aber sichtbar in der Position nicht besonders wohl fühlte, nachher mit gesund­heit­li­chen Problemen zu kämpfen hatte. Es gab zweimal Franzosen: einmal den viel­leicht nicht super-sympa­thi­schen, aber als Festi­val­leiter bril­lanten Olivier Père, heute eine der wich­tigsten Personen bei Arte. Nach wie vor wird Père nach­ge­sagt, dass er darauf wartet, viel­leicht doch noch irgend­wann als Nach­folger von Thierry Fremaux in Cannes berufen zu werden. Ich persön­lich glaube nicht daran – obwohl ich es mir wünschen würde – denn in Frank­reich funk­tio­nieren die Dinge alteu­ropäi­scher, also hier­ar­chi­scher und über Vater-Sohn Nach­folgen, nicht etwa wie in Deutsch­land über den Vatermord. Lili Hinstin war ebenfalls Französin, angeblich wurde sie seiner­zeit von Olivier Père empfohlen.
Und dazwi­schen wurde Carlo Chatrian über­ra­schend Nach­folger von Olivier Père. Damals eine mehr als über­ra­schende Wahl. Chatrian leitete Locarno gut, und konnte das Niveau, das Père binnen kurzem erreicht hatte, eini­ger­maßen halten – wenn auch mit Hilfe seines von Père über­nom­menen Auswahl­kom­mit­tees. Auf der Bühne der Piazza Grande wirkte Chatrian immer blass und das hat man jetzt auch bei der Berlinale merken können – wenn auch 2020 sein erstes Jahr war, das er unter äußerst erschwerten Bedin­gungen anzu­treten hatte. Die meiste Zeit seines ersten Amtsjahrs in Berlin war Chatrian damit beschäf­tigt, die Steine aus dem Weg zu räumen, die ihm Dieter Kosslick vor seinem endgül­tigen Abschied noch hingelegt hatte.

Dies mal als kleiner flüch­tiger Ausschnitt aus den Gesprächen unter Kollegen.

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Filme gab es auch: Vorges­tern habe ich den ersten von zwei japa­ni­schen Wett­be­werbs­filmen gesehen. Nakuko wa ineega / Any Crybabies Around von Takuma Sato. Einen Film, in dem es darum geht, dass ein junger Mann über­ra­schend Vater wird, sich durch eigene Schuld, aber auch die Klein­geis­terei der Provinz­ge­sell­schaft seiner Verant­wor­tung entzieht, dies nach drei Jahren bereut, und in sein Heimat­dorf zurück­kehrt. Dort kämpft er verzwei­felt darum, von seiner Ex-Frau wieder aufge­nommen, und zumindest in seiner Vater­rolle anerkannt zu werden. Der Film ist sympa­thisch, er ist bewegend, er ist aber auch sehr klein, und ein bisschen nichts­sa­gend. Ich finde ihn für mich nicht besonders inter­es­sant – auch seine normale sozi­al­rea­lis­ti­sche Ästhetik hinter­lässt wenig Spuren. Der Küstenort und dessen Szenarien, auch die alten Rituale sind nicht unin­ter­es­sant, aber der Film ist dann doch nicht weiter wichtig.

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Sehr inter­es­sant und gut ist dagegen Wuhai, der chine­si­sche Wett­be­werbs­bei­trag. Er fängt ganz hervor­ra­gend an und ist eigent­lich über andert­halb Stunden lang einer der besten Filme, die ich auf dem Festival gesehen habe: Streng und schön, der aber auch eine Menge zu sagen hat und der auch auf eine ganz merk­wür­dige Art verspielt ist. Dies merkt man vor allem am Anfang, wo erstmal ein paar Bilder zu sehen sind, die man überhaupt nicht richtig einordnen kann.
In der aller­ersten Einstel­lung ist die ganze Leinwand einge­nommen von scheinbar doku­men­ta­ri­schen Bildern, in denen sehr arme Leute Sand­platten eines offenbar einge­trock­neten Sees (oder auch verschmutzte Eisschollen) aufbre­chen. Ganz genau ist das nicht zu erkennen. Es ist eine verklumpte, braun-graue, schmut­zige Masse, und sie brechen einzelne Stücke daraus ab. Erstmal weiß man nicht genau, was die tun, und warum. Was wir von ihnen sehen, sind Hände und Füße, die nackt und dreckig sind – und das Bild ist klar: Es ist eine ganz harte mühsame Arbeit im Schmutz. Viel­leicht ist dies die Erin­ne­rung an den Über­le­bens­kampf, den das Leben in China ganz lange Zeit bedeutet, und aus dem die Chinesen erst in den letzten Dekaden durch den Wirt­schafts­boom hinaus­ge­führt wurden. Viel­leicht aber auch eine Erin­ne­rung an den Über­le­bens­kampf, dem die Menschen der Inneren Mongolei, also im Nord­westen Chinas, wo dieser Film spielt, immer noch ausge­setzt sind.

Wir sehen also nackte Füße und die dazu­gehö­rigen Hände die Stücke aus dieser Erde heraus­bre­chen und unter­su­chen. Offen­sicht­lich suchen sie irgend­etwas. Das, was sie suchen, zeigt sich ein paar Sekunden später: In einem dieser dann frei­ge­legten feuch­teren Löcher finden sie nämlich Fische, ich glaube, es sind Aale, die im feuchten lehmigen Etwas doch überleben. Diese Fische heben sie aus der Erde heraus und werfen sie in Plas­tik­eimer. Das ist offen­sicht­lich ihr Verdienst. Dieses Bild steht ganz am Anfang und nimmt die ganze Leinwand ein. Dann fährt die Kamera zurück, und wir sehen, dass es sich eigent­lich um ein Handybild handelt, das sich ein Mann anschaut, der halbwegs gut gekleidet ist und in einem gut einge­rich­teten modernen Wohn­zimmer sitzt. Er sitzt am Tisch und in dem Moment klingelt es an der Tür und er legt das Handy weg, und wir hören, wie er Mister Yang genannt wird. Dieser Mann wird die Haupt­figur des Films sein. Die Menschen, die vor der Tür stehen, sind – das stellt sich schnell heraus – Schul­den­ein­treiber, denn Yang ist ganz vorsichtig und bewegt sich in der Wohnung nur so, dass keine Geräusche nach außen dringen, und lauscht dann an der Tür. Die Leute vor der Tür sagen: Wir wissen, dass Sie da sind, Sie haben noch zwei Tage Zeit zu zahlen.

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Was nun eigent­lich passiert, ist, dass wir diesen Yang in den nächsten drei Tagen seines Lebens durch mehrere Stationen begleiten. Die Schul­den­ein­treiber kehren regel­mäßig wieder, das zweite Leitmotiv sind seine Versuche, an Geld zu kommen. Drittes Leitmotiv ist die Tatsache, dass auch alle anderen Menschen fort­wäh­rend über Geld reden, meistens über das, was sie nicht haben. Ein junges Mädchen, von dem Yang offen­sicht­lich Geld zu bekommen hat, kann nicht zahlen und bietet ihm statt­dessen sexuelle Dienst­leis­tungen an, die er ablehnt. Ein Freund, dem er offen­sicht­lich Geld geliehen hat, um sich an einem Projekt, einem Frei­zeit­park über Dino­sau­rier, zu betei­ligen, vertröstet ihn auf später, noch habe er alles Geld ausge­geben, bald aber werden die Einnahmen sprudeln, behauptet er. Seine Schwie­ger­el­tern – denn Yang ist verhei­ratet – schimpfen darüber, dass er sich von ihnen Geld geliehen habe und nichts zustande bringen würde.

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So geht es also weiter: Wir begleiten einen Mann am Rande des Nerven­zu­sam­men­bruchs, denn durch ein Miss­ver­s­tändnis glaubt seine Frau, er sei fremd­ge­gangen – was wie gesagt nicht stimmt. Wir wissen also – aber nur wir –, dass er moralisch integer ist (wenn diese Frage etwas mit mora­li­scher Inte­grität zu tun haben sollte). Er wiederum verdäch­tigt seine Frau des Fremd­ge­hens, weil sie merk­wür­dige Text­nach­richten von einem alten Verehrer von der Uni erhält. Wir wissen – aber eben nur wir, nicht der Mann –, dass sie diesem Verehrer gerade eine Nachricht geschrieben hat, dass er sie in Ruhe lassen soll und sie von ihm nicht mehr belästigt werden möchte. Wir wissen auch – aber eben nur wir –, dass sie schwanger ist. Sie will es aber ihrem Mann in einem anderen Moment sagen. Nur streiten sich beide dann so sehr, dass er nach einem heftigen Streit das Haus verlässt.

Ziemlich genau und konzen­triert und sehr konse­quent entfaltet dieser Film eine einzige andau­ernde Abstiegs­spi­rale. Es wird für Yang immer schlimmer. Und der besondere Charme dieser Geschichte, die Stärke, liegt darin, dass wir Zuschauer zumindest ganz genau wissen, dass dieser ja nichts dafür kann: Er hat einem Freund Geld geliehen. Er ist nicht fremd­ge­gangen. Er gibt sich Mühe, das Geld wieder zu bekommen, hat aber keinen Erfolg. Wir wissen auch, dass er seine Frau liebt.
Insofern haben wir Mitleid und Anteil­nahme mit ihm. Wir verstehen: Die Verhält­nisse, die sind nicht so. Wir verstehen: Die Verhält­nisse in China sind die eines Raub­tier­ka­pi­ta­lismus, in dem jeder nur an sich denkt und jeder den anderen betrügt, in dem keinem mehr zu trauen ist, auch nicht Freunden. In denen das Verbre­chen herrscht, obwohl es selbst den Gangstern nicht gut geht, in denen junge Mädchen sich prosti­tu­ieren, weil sie unbedingt ihre Schulden zurück­zahlen müssen, in denen zugleich Ehrbe­griffe, also das, was etwa die Eltern über ihre Kinder denken, archai­sche Ehrbe­griffe, immer noch den Ton angeben. Wir verstehen, wie Menschen in eine aussichts­lose Lage geraten. Das junge Mädchen, das sich prosti­tu­ieren wollte, sagt Yang irgend­wann, sie habe das Geld gebraucht, um sich ein iPhone zu kaufen, weil sie in ihrer Studenten-WG verspottet worden sei. Was für ein banaler blöder Grund! Erst recht, um sich dann umzu­bringen – was geschieht: Denn das junge Mädchen, das auch von jemand anderem erpresst wird, bringt sich um, als sie erfährt, dass Nackt­bilder von ihr im Internet gelandet sind.

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Ganz wunderbar geht es fast bis zum Ende: Yang rächt sich an dem Freund, der ihn betrogen hat, indem er einige Elemente seines Dino­sau­ri­er­parks in Brand setzt.
Wir sehen ein Bild, in dem Yang, weil er nicht zu Hause sein kann, in den Mund eines Tyran­no­saurus-Rex-Modells hinein­kriecht, vor einem Sonnen­un­ter­gang. Dies wäre ein wunder­bares Schluss­bild geworden.
Leider geht der Film dann noch eine Vier­tel­stunde weiter, und in dieser Vier­tel­stunde macht der Regisseur Zhou Ziyang seinen Film wieder ein bisschen kaputt. Denn was er dann noch erzählt, ist, wie Yang am nächsten Morgen seine Frau anruft und sie zu einem Ausflug in die Berge überredet. Dort gesteht er ihr alles, dass er die Wohnung belastet habe, auch den Wagen, und dass er jetzt nichts zurück­zahlen kann. Die beiden streiten sich, er will ihren Vater um Hilfe bitten, sie verwei­gert ihre Unter­s­tüt­zung, will die Scheidung. Auch das wäre noch ein passables Ende gewesen. Doch dann auf der Rückfahrt vom Berg streiten sich die beiden im Auto. Sie reden über das unge­bo­rene Kind, und er verdäch­tigt sie, dass es nicht von ihm sei und sie – obwohl wir wissen, dass das falsch ist – sagt: ja genau, es ist nicht von dir, es ist nicht von dir. Dann steigt sie aus, er fährt weiter, dann dreht er um und fährt seine Frau mit Absicht über den Haufen. Dies diskre­di­tiert die Haupt­figur bereits komplett. Aber damit nicht genug: Es folgen noch drei gewalt­same Enden. Im Hinter­grund sehen wir dann einen großen Fluss mit einer Brücke und die Berge. Und das aller­letzte Bild zeigt uns die Statue des Dschingis Khan, der nach Westen blickt. Sollen wir jetzt denken: so sind die Mongolen?

(to be continued)