03.12.2020
Cinema Moralia – Folge 236

Kultur­verbot

Besondere Helden
Lockdown-Werbefilm der Bundesregierung: Reine Ideologie.
(Foto: Bundespresseamt)

Wir sollten uns die kulturellen Kosten des Lockdown nicht schönreden – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 236. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Schönheit, Rein­lich­keit und Ordnung nehmen offenbar eine besondere Stellung unter den Kultur­anfor­de­rungen ein.«
Sigmund Freud

»Filme sind wie große Züge in der Nacht«, sagt Truffaut, aber wer nimmt den Zug, in welcher Klasse sitzt man, und wer ist es, der den Zug steuert, mit dem »Spitzel« von der Direktion an seiner Seite?
JLG

Es ist klar, dass der Lockdown juris­tisch gesehen kein Kultur­verbot ist und kein Berufs­verbot. Faktisch, moralisch ästhe­tisch und politisch ist er das aller­dings sehr wohl.

Insofern wird Nora Moschue­ring, wenn sie Politik durch Sprach­po­litik und den film­po­li­ti­schen Gedanken durch das hoch­schul­po­li­ti­sche Argument ersetzt, und sich an meinem Ausdruck vom Kultur­verbot abar­beitet, dem Ernst der Sache nicht gerecht. Der Ausdruck war bewusst zuge­spitzt und provo­kativ formu­liert, aber war auch sehr bewusst gewählt und präzis.
Was passiert denn eigent­lich gerade?

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Ob die Schließung der Kinos nötig ist oder sinnvoll, weiß ich auch nicht, aber ich bezweifle es. Denn alle Studien, nicht nur die inter­es­sierten der Kino­branche, sondern auch z.B. jene des Robert-Koch-Instituts, sprechen dafür, genauso wie die schlechte Erfahrung, dass über vier Wochen Kino-Schließung nicht das Geringste in den Zahlen bewirkt hat. Es gibt keinen Rückgang der Infek­tionen, also ist es wohl nicht so, dass mit Kultur­orten die wich­tigsten Anste­ckungs­herde derzeit geschlossen sind.
Wenn das keine staatlich verord­nete »Corona bedingte Schließung der Kultur« sein soll, was dann?

Ich verstehe nicht, warum man Theater, Museen, Sport­s­tätten, Restau­rants und Gast­stätten schließt. Aber ich gebe gerne zu: ich versuche auch nicht, alles zu verstehen. Ich glaube, dass der Wille alles und jedes zu verstehen, genau so eine Tugend sein kann, wie er manchmal ein großes Problem wird – weil man in der Bereit­schaft, sich auf alles Mögliche einzu­lassen, auch auf das, was einem sehr fremd ist, irgend­wann die eigenen Maßstäbe komplett verliert.

Es ist in puncto Corona alles nicht eindeutig, wie die Autorin selber fest­stellt – und da muss die Frage erlaubt sein, selbst wenn dies kein Kino­ma­gazin wäre, warum dann diese Unein­deu­tig­keit gerade auf dem Rücken des Kinos ausge­tragen wird? Und auf dem Rücken der Kultur überhaupt?

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Warum sollten wir alles, was nötig ist, auch gut und schön und richtig finden? Das ist eine Frage, die auf Kultur zielt, und auf unser Vers­tändnis von uns selbst.

Was ist Kultur? Dies ist die gleiche Frage, wie die, was eigent­lich das Kino ist? Sind Kinofilme nur eine Abfolge von Bildern, die auf verschie­denen Medien gesehen werden können? Oder bedeutet Kino auch den Ort, an dem man diese Bilder sieht, und den Zustand, in dem man sie sieht? Das ist keine nur rheto­ri­sche Frage, denn es ist natürlich richtig, wenn kein gerin­gerer als Jean-Luc Godard in einem Interview daran erinnert, dass sehr viele Menschen und er selber auch, nicht in den großen Städten leben, und die meisten Filme deshalb nur auf Video­ma­te­rial oder DVD’s sehen können. Godard macht auch klar, dass er das nicht so schlimm findet.

Trotzdem sind Filme, auch wenn sie auf solchem minder­wer­tigen Material gesehen werden können, und sogar gut gefunden, nicht für beliebige Umwelten gemacht, sondern für einen bestimmten Raum und für einen bestimmten Zustand. Diesen Raum und diesen Zustand beschreiben wir mit dem Wort Kino.

Weil Filme für den Raum Kino gemacht sind und für den Zustand, sie gemeinsam mit anderen in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu sehen, und weil sie nicht dafür gemacht sind – jeden­falls bis auf weiteres nicht – um auf DVD oder im Stream auf einem Bild­schirm, einem großen Fernseher oder einem Beamer genossen zu werden, genau darum ist das Verbot, sie so zu sehen, de facto sehr wohl ein Kultur­verbot.

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Genauso, wie wir Musik auf alle möglichen Arten und Weisen konsu­mieren können und genauso, wie es hervor­ra­gende Tonauf­nahmen von Musik gibt, ist Musik dann doch in erster Linie etwas, was von Menschen auf Instru­menten in einem bestimmten Raum gespielt wird, vor Zuhörern. Dafür ist sie entstanden, und diesen Zustand nennen wir Konzert. Natürlich gibt es Aufzeich­nungen von Konzerten – aber diese sind Krücken, sind Hilfs­mittel.

Auch Film­fes­ti­vals sind Orte, an denen wir zuerst mal Menschen treffen und begegnen, nicht nur Filme sehen. Und die Filme sehen wir dort in der Regel nicht auf einem Screen, sondern auf einer Leinwand. Diese Unter­schiede mögen oft genug nicht wesent­lich sein.
Sie sind vor allem nicht so wesent­lich fürs Handwerk der Film­kritik. Wenn man viel­leicht die gleichen Filme schon auf einer großen Leinwand gesehen hat, dann ist die Film­auf­nahme in digitaler Form eine Weise, uns in den Zustand zurück­zu­ver­setzen – wie eine Madeleine bei Proust ein Erin­ne­rungs-Hilfs­mittel ist, eine Krücke.

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Wie schön ist doch der Streit um Worte und Begriffe! Denn hinter Begriffen stehen Einstel­lungen, und darum machen solche Strei­tig­keiten bestimmte Dinge deutlich.
Es ist inter­es­sant, wie manche Leute, die es miss­ver­stehen wollen oder nicht besser verstehen können, den Begriff Kultur­verbot totalitär verstehen, und wort­klau­be­risch ins Extrem steigern – sie verstehen also, dass dieses Wort, wenn es nicht mit expli­ziten Einschrän­kungen versehen wurde, angeblich bedeutet: Die ganze und jede Kultur wird verboten.
Das wäre natürlich Unsinn, denn es ist klar, dass durch die staat­li­chen Corona-Maßnahmen der Teil der Kultur, der nichts mit öffent­li­chen Orten zu tun hat – etwa, dass man Bücher eher zu Hause liest –, nicht verboten wird. Ebenso wenig wie der, dass man Film­kri­tiken und andere Texte zu Hause am Computer schreibt. Man kann zuhause auch Filme oder Opern­auf­füh­rungen auf DVD ansehen, es gibt ein tolles Fern­seh­pro­gramm, wo sogar fünf­stün­dige Thea­ter­auf­füh­rungen ausge­strahlt werden – zuhause kann man sie sogar in der Badewanne ansehen, ganz Kultur­bürger, zusammen mit einem Cham­pa­gner­glas und dem Kultur­beutel.

Wir brauchen also im Prinzip den Rest unseres Lebens unsere Wohnung nicht mehr zu verlassen, und werden trotzdem Kultur­men­schen bleiben – allein die zu Hause aufge­reihten Bücher stehen dafür ein, die gesta­pelten DVDs und die Streaming-Angebote können uns für immer alles ersetzen, was das Kino bislang parat hielt. War es so gemeint? Und wollen wir das?

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Es gibt also klarer­weise Teile der Kultur, die nicht verboten sind. Aber es gibt andere Teile der Kultur, die sind sehr wohl verboten. Und vor allem gibt es einen ganz wesent­li­chen Aspekt aller Kultur, auch derje­nigen die zuhause konsu­miert werden kann: Nämlich den Aspekt des Austauschs, der Inter­sub­jek­ti­vität, des Sozialen – der ist nach meinem Empfinden ein essen­ti­eller Bestand­teil von Kultur. Und auch der ist zur Zeit verboten.
Kultur ist nicht davon zu trennen, dass man sie mit anderen Menschen aufnimmt.

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Selbst, wenn wir jetzt hier um Begriffe streiten können und man argu­men­tieren könnte, dass die Schließung des Kinos – also das Verbot für Menschen, ins Kino zu gehen, und die de-facto-Unmög­lich­keit, ins Kino zu gehen – noch nicht ein Verbot des Film-Schauens ist, selbst wenn man das also zuge­stehen möchte – und ich möchte es durchaus nicht hundert­pro­zentig zuge­stehen – dann ist es uns ja sehr wohl verboten, für eine bestimmte und eben eine nicht genau begrenzte Zeit, sondern für eine Zeit, deren Ende wir im Augen­blick nicht absehen können, also für eine einst­weilen endlose Zeit, ist es uns sehr wohl verboten, diese Art von Kultur überhaupt zu prak­ti­zieren. Auch in Form von Surro­gaten geht es nicht.
Wir dürfen – immer unter der Voraus­set­zung, dass wir uns an die Regeln auch halten – eben nicht Menschen zu uns nach Hause einladen, und mit ihnen gemeinsam Filme angucken.
Das ist ein Verbot von erheb­li­chen Teilen des normalen kultu­rellen Lebens – auch wenn man kein Single ist, und nicht gezwungen ist, komplett allein diese wochen­langen Lockdown-Phasen zuzu­bringen. Ich möchte mir eigent­lich auch nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ich dazu gezwungen wäre. Aber auch unter meinen »mildernden Umständen« fehlt mir das Soziale. Die Pandemie-Maßnahmen sind zur Zeit auch ein Sozi­al­verbot, ein Verbot bestimmter Formen des sozialen Austauschs, und für wie wesent­lich man die einzelnen Formen ansieht, das liegt tatsäch­lich im Auge des Betrach­ters, und es mag manche Betrach­terin geben, für die es voll­kommen wurscht ist, ob sie Zeit mit den Menschen körper­lich zusammen in einem Raum zubringt oder sie nur in einen Bild­schirm glotzt, in dem sie dann andere Menschen sehen kann, und man mit ihnen mehr oder weniger gut funk­tio­nie­rende Online-Gespräche führen kann.

Ich weiß, wovon ich rede: Ich habe eine ganze Menge dieser Kultur in dieser Form über Zoom und Skype prak­ti­ziert. Ich habe sogar soge­nannte öffent­liche Veran­stal­tungen über Zoom gemacht, also Live-Chat mit zwei deutschen Regis­seu­rinnen, deren Filme dann zeit­gleich in der Türkei gestreamt wurden. Ja diese Art von Kultur findet weiter statt und das zwar anstren­gend, viel anstren­gender, als wenn sie physisch und analog statt­finden würde, aber das ist schön.

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Aber warum eigent­lich sollten wir uns die damit einher­ge­henden Einschrän­kungen und Verluste, warum die kultu­rellen Kosten des Lockdown schön­reden? Warum sollen diese Verbote keine Kultur­ver­bote genannt werden dürfen? Warum sollten wir, bloß weil wir viel­leicht einsehen, warum dies alles nötig ist, das, was notwendig ist, auch noch gut finden, auch schön finden, auch richtig finden?
Und warum sollten wir das dann schön, gut, richtig finden, wenn wir es noch nicht mal einsehen? Ich sehe jeden­falls nicht ein, warum Kino­schließungen nötig sind. Ich sehe auch nicht ein, warum Thea­ter­schließungen nötig sind und ich sehe nicht ein, warum es nötig ist, öffent­liche Konzerte zu verbieten, Sport­ver­an­stal­tungen zu verbieten, warum es nötig ist, Räume, in denen Sport prak­ti­ziert wird, zu verbieten – alles das hätte man erlauben können, schon weil die jewei­ligen Betreiber bekann­ter­maßen schon im Sommer viel strengere Schutz­kon­zepte hatten, als alle Kauf­häuser und Einzel­händler und Schulen, vom öffent­li­chen Nahver­kehr ganz abgesehen.

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Man hätte es erst recht erlauben können, wenn man bereit wäre, ein bestimmtes Risiko einzu­gehen. Und hier wird Corona noch einmal in anderer Weise zu einem Sicht­bar­ma­cher eines grund­sätz­li­chen Problems. Das Problem lautet: Wir sind eine komplett risi­ko­scheue Gesell­schaft. Risi­ko­scheu ist aber das Gleiche wie Kultur­scheu. Wir haben es verlernt, Risiken einzu­gehen, so wie wir Kultur verlernt und durch einen infantile Unter­hal­tungs­be­trieb ersetzt haben. Wir lesen »Harry Potter« statt »Rot und Schwarz« und sehen die entspre­chenden Filme.
Mit Risiken meine ich explizit Risiken für unsere Gesund­heit und unser Leben. Ich glaube, dass es für unsere Gesell­schaft besser wäre, wenn wir mehr Bereit­schaft zu solchen Risiken hätten.
Heute kam die Nachricht, dass in Hongkong ein 21-jähriger Bürger­rechtler für 13 Monate in einem chine­si­schen Knast verur­teilt wurde – nur weil er für elemen­tare Bürger­rechte, die für uns hier in Europa ganz selbst­ver­s­tänd­lich sind, eintrat! 13 Monate!! In einem chine­si­schen Gefängnis, wo es bestimmt noch etwas anders zugeht als in unseren Voll­zugs­an­stalten.

Ich glaube, dass die aller­meisten Menschen bei uns – und da schließe ich mich ausdrück­lich mit ein – nicht bereit wären, ähnliche Risiken auf uns zu nehmen, wenn es um unsere Bürger­rechte ginge. So wie wir viel geringere Risiken und Konflikte scheuen, wenn es um unseren Zugang zur Kultur geht – und klarer­weise haben wir hier nicht mit Behörden à la China zu schaffen.
Diese Unfähig­keit zum Risiko hat etwas mit unserem Kultur­ver­s­tändnis zu tun, und eine ganze Menge mit fehlendem Mut, umgekehrt mit unserer Bereit­schaft, uns zum Beispiel in diesen Lockdown zu fügen und allerlei Eingriffe – nicht nur in Bequem­lich­keiten, sondern in Bürger­rechte, Frei­heits­rechte und die verfas­sungs­mäßige Ordnung – einfach hinzu­nehmen.
(Auch hier muss ich jetzt wohl schwach­sin­ni­ger­weise als Disclaimer für alle, die gerne wieder miss­ver­stehen wollen, schön explizit hinschreiben, dass ich selbst­ver­s­tänd­lich nicht die Corona-Maßnahmen in Deutsch­land mit einer Diktatur oder mit einem auto­ri­tären System à la China gleich­setze.)

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Corona und das Problem mit den Infek­ti­ons­ri­siken eigen­ver­ant­wort­lich umzugehen, scheint mir eine Haltung risi­ko­scheuer Anpassung zu befördern, die das Gegenteil aller Kultur ist. Wie oben gesagt: Wir sollten uns besser nichts schön­reden.
Für diese Art von »Verant­wor­tung« auf dem Niveau der Lockdown-Werbe­filme der Bundes­re­gie­rung, habe ich persön­lich nur Verach­tung übrig.
Das alles ist reine Ideologie. Es ist eine Haltung, der es nicht genügt, das, was nun einmal mögli­cher­weise notwendig ist, und die Macht­ver­hält­nisse, die nun einmal bestehen, zu akzep­tieren. Sondern die all dieses ins falsche Gute dreht.
Vertrauen in die Regie­renden – warum eigent­lich sollten wir den Regie­renden vertrauen? Wir können sie respek­tieren, ihnen gut zuhören, aber warum gleich derartige Über­iden­ti­fi­ka­tionen? Haben sie unser Vertrauen denn verdient? Mehr als unser Miss­trauen? Jetzt könnte man natürlich sagen, dass Merkel, Söder und Laschet und noch die Politiker der anderen Parteien einige Dinge besser gemacht haben, als die Regie­rungen anderer Länder (und ich meine jetzt nicht nur Corona-Pandemie-Bekämp­fung). Dem ist wohl so, auch wenn ein schärfer Blick das Bild etwas häss­li­cher macht. Aber dass die Regie­renden etwas besser gemacht haben als andere Länder, heißt noch nicht, dass sie es gut gemacht haben.

Will man ernsthaft sagen, dass z.B. die Staats­schul­den­krise 2012, 2013, 2014 oder die Finanz­krise 2008/2009 oder die Flücht­lings­si­tua­tion 2015 von den Regie­renden hervor­ra­gend gemanagt wurde? So, dass sie unser unein­ge­schränktes Vertrauen verdienen? So dass sie unsere Kritik und unsere Skepsis nicht verdienen?

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Wie geht es dann, dass ein Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder von Nora Moschue­ring für sein Hoch­schul­pa­pier sehr einleuch­tend mit großem Miss­trauen kommen­tiert wird – »Wie bleibt die Freiheit der Wissen­schaft erhalten?« »neoli­beral« »besorg­nis­er­re­gend« –, aber die gleiche Form der Herr­schafts­ausü­bung und igno­ranten Macht­durch­set­zung, die Söder und andere als Pande­mie­bekämpfer, Kino-Schließer und Kultur-Zusperrer an den Tag legen, von der Autorin nicht einmal mit leiser Skepsis bedacht wird?

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Film­kritik, die nur Film­kritik ist, ist auch keine Film­kritik. Film­kritik muss Gesell­schafts­kritik sein, um ihren eigenen Namen zu verdienen. Im Zweifel für Skepsis, nicht für Affir­ma­tion.

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Die Maßnahmen der Schließung von Kultur­ein­rich­tungen kosten nicht nur Geld und Arbeits­plätze. Sie entziehen allen Menschen unserer Gesell­schaft ein Lebens­mittel. Denn auch Kultur ist Lebens­mittel.

Die Maßnahmen der Schließung von Kultur­ein­rich­tungen sind falsch und unan­ge­messen. Man sieht, dass das Virus nicht gestoppt wird.
Weil es dort nicht bekämpft wird, wo es mehr weh tut, als im Kultu­rellen. Weil man sich nicht traut, die wirklich unan­ge­nehmen Dinge zu tun und auszu­spre­chen. Es zu tun, hieße, Risi­ko­gruppen zu schützen, nicht Kinos zu schließen. Es hieße außerdem, entweder mehr Risiken einzu­gehen, und die Folgen davon zu tragen.
Oder Quaran­tänen zu verhängen, den Daten­schutz zeitweise einzu­schränken und so etwas wie eine Nach­ver­fol­gungs-App mit Über­wa­chungs­tools zu instal­lieren. Alles das wären ebenfalls harte Maßnahmen, aber Maßnahmen, die wenigs­tens in der Sache etwas bringen würden. Dann könnte man darauf verzichten, die Kultur­ein­rich­tungen, die Kinos und die Gast­stätten zu schließen. Und darüber möchte ich, dass wenigs­tens disku­tiert wird.

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Es geht in meinem Vers­tändnis eben nicht um »Lobby­ismus für Kinos und Kinofilme«, sondern um die Vertei­di­gung des Kinos und einer bestimmten Art von Kultur.

Für mich sind die Begriffe »größt­mög­liche Freiheit« und »Eigen­ver­ant­wor­tung« in der Tat per se positive Begriffe und nicht auch zugleich frag­wür­dige.

Freiheit ist dabei aber selbst­ver­s­tänd­lich viel mehr als ihre Verengung im Geist des Neoli­be­ra­lismus, eine Verengung auf Konsu­men­ten­frei­heit und Markt­teil­habe, eine Verengung, die den Menschen als Homo Oeco­no­micus sieht und nicht zu allererst als Citoyen, gebil­deten Bürger und als Homo Ludens, die die Effizienz und nicht die Curio­sitas in den Vorder­grund stellt.

Das Kino von dem ich rede, ist ein Ort, an dem der Sinn für solche Frei­heiten geschult wird.

Es liegt deswegen nicht »zwischen Kultur und Kommerz«, sondern es ist ein Ort der Kultur und der Kunst, der mit Kommerz im Prinzip nichts zu tun hat, sondern der vom Staat ebenso großzügig finan­ziert werden sollte, wie diverse andere, in meinen persön­li­chen Augen weit unwich­ti­gere Dinge.

Kultur aller­dings, damit auch das noch gesagt ist, meint natürlich nicht nur klas­si­sche Hoch­kultur. Sondern es meint genauso gut Trash, Genre, B- und C-Movies; es kann sogar unter bestimmten Umständen gewalt­ver­herr­li­chende und porno­gra­fi­sche Werke meinen, voraus­ge­setzt, dass sie noch mehr sind als das.

(to be continued)