30.03.2016
Kinos in München – Rex

Im Westen was Neues

Außenansicht Neues Rex
Das Kino mit der Gaststätte im Haus: Das Neue Rex sorgt seit 60 Jahren für Heimeligkeit


Mit freund­li­cher Unter­s­tüt­zung durch das Kultur­re­ferat München

Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kino­mieten mehr denn je keine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.

Seit 60 Jahren gibt es das Rex in Laim im Münchner Westen. Jetzt wird das Stadtteilkino zum zweiten Mal im großen Stil umgebaut – und macht sich bereit für eine neue Kino-Zukunft

Von Natascha Gerold

Am Sonntag gibt’s nochmal Birnen­ku­chen mit Lavendel, im ersten Stock am Agri­co­la­platz 16. Dann ist vorerst Schluss: Ab Montag, 4. April geht für vier Monate im Laimer Stadt­teil­kino Neues Rex der Vorhang zu. Hoffent­lich kein Drama, aber sicher viel Action wird sich dann vor statt auf der Leinwand abspielen, wenn Kino­be­treiber Thomas Wilhelm mit seinen Leuten in Eigen­regie abmon­tiert, aufräumt und ausräumt. Der Vorhang zu – und noch so manche Frage offen. Zum Beispiel, wie man das mit den alten Stühlen macht: Die rote Armee der 40 Jahre alten, treuen Bequem-Garanten hält zusammen: »Zu einem Stuhl in der Reihe«, sagt der Chef des Neuen Rex, »gehört eine Lehne, für einen einzelnen Stuhl mit zwei Lehnen brauche ich mindes­tens drei Stühle.« Wie kann man sie auf die einfachste und schnellste Art ausein­an­der­di­vi­dieren und quasi »fertig konfek­tio­niert« den Kino­lieb­ha­bern mitgeben, die sie derzeit für 30 Euro pro Stück erwerben können?

Sicher nicht die einzige knifflige Sache bis Mitte August, wenn im 62-jährigen Tradi­ti­ons­kino aus einem 167-Sitze-Saal zwei Spielstätten entstehen. Wie das geht? »Am zweiten Bogen ist sozusagen die vorge­ge­bene Trenn­linie«, sagt Wilhelm und deutet nach vorne in Richtung Leinwand, während er im hinteren Bereich auf dem hoch­ge­klappten Sitz eines der roten Sessel leicht vor- und zurück­schau­kelt, »dann wird das zweite Kino gedreht, das heißt, die Leinwand kommt von hier gesehen vorne auf die rechte Seite.«

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Zusam­men­rü­cken kann nicht schaden: In diesem Saal ist Platz für zwei.

Für circa 70 Besucher soll der neue Saal ausge­stattet und etwas anders gestaltet werden als der jetzige, der seine ursprüng­liche Farb- und Formen­ge­bung beibehält. »Keine schwarze Box« soll aus dem Neuzugang werden, Wilhelm schwebt eher ein »wohn­li­ches Ambiente in Blau und Gold« vor. Auch dort werden Besucher Filme in 3D- und Digi­tal­technik erleben können, genau wie im »Haupthaus«, wie er den vorhan­denen roten Saal nennt, der auf circa 100 Plätze aufge­stockt und neu bestuhlt wird. »Der Kunde soll das Gefühl haben, er steht im selben Haus, er spürt, dass etwas anders ist, er weiß nur nicht genau, was«, so Wilhelm. Auch Heizung, Lüftung, Brand­schutz­maß­nahmen werden ausge­tauscht, erneuert, auf den neuesten Stand gebracht, ebenso wie der Schall­schutz, weil der Ton zwischen den Sälen nicht hin- und herlaufen dürfe, erklärt er: »Wenn du gerade in einer Liebes­komödie sitzt und da hinten ballert irgendwo Star Wars herum – das geht nicht.« Im Foyer werde erst einmal nicht allzu viel passieren: Ein neuer Teppich­boden, die Theke bekommt zunächst eine bedarfs­ge­rechte Umstruk­tu­rie­rung. »Viel­leicht bauen wir in ein, zwei Jahren eine neue ein.«

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Das Foyer lässt schon jetzt keine Wünsche offen.

Deutlich öfter spricht er vom »Kunden« weniger vom »Besucher«, was den studierten Betriebs­wirten offenbart, der, wie viele seiner Münchner Mitstreiter, aus einer ange­stammten Kino­be­treiber-Familie kommt. Seine Eltern, Thomas und Liese­lotte Wilhelm, waren bekannt für ihr Studio Solln, das sie 1964 über­nahmen und zu einer viel­ge­ach­teten Filmkunst-Insti­tu­tion machten. Doch wegen Asbest und Baufäl­lig­keit musste das Haus mit dem markanten Tonnen­ge­wölbe und dem viel­prä­mierten Programm 1991 abge­rissen werden. »Laut Statiker hätte das Haus gar nicht stehen­bleiben dürfen, 40 Jahre hat es gehalten – Wir hatten ein Riesen­glück«, erinnert sich Wilhelm.

Schock und Horror, der einen letzt­end­lich doch davon­kommen lässt, mitunter sogar mit Happy End – derar­tiges hat der 51-Jährige Wilhelm, der seit 2001 das Neue Rottmann in der Maxvor­stadt und seit 1998 das Cinci­natti in Giesing betreibt, in seinem Leben als Kino­un­ter­nehmer mitt­ler­weile schon öfter mitge­macht: Das jüngste Ereignis dieser Sorte war wohl das drohende Aus für sein Cinci­natti, als 2014 ein Super­markt in das Licht­spiel­haus einzu­ziehen drohte (Artechock berich­tete). Nach Sitz­streik und Unter­schrif­ten­ak­tionen war noch im selben Jahr diese Kuh vom Eis: Das Gebäude im Fasan­g­arten kam auf die Liste der geschützten Baudenk­mäler, das Weiter­be­stehen des beliebten »Kinos in der Ami-Siedlung« war gesichert. Auch um sein Neues Rex musste Wilhelm schon einmal bangen. 2001 wollte der damalige Eigen­tümer Monachia das Gebäude zwecks Wohnungs­baus besei­tigen lassen. Dies konnte dank Eigen­tü­mer­wechsel noch verhin­dert werden, sodass in dem mehr­s­tö­ckigen Haus am Agri­co­la­platz bis heute Wirtshaus, Kino und einige Wohnungen in fried­li­cher Koexis­tenz unter einem Dach unter­ge­bracht sind.

»Spannend« im Wortsinn war Wilhelms Beziehung zu seinem Kino in Laim schon von Anfang an: »Als ich zum ersten Mal hier war und in den Elek­tro­kasten schauen wollte, habe ich beim Einschalten eins auf die Finger gekriegt«, erzählt er. Als junger Unter­nehmer hatte er das Neue Rex 1996, nach seinem Studium und Rückkehr aus Straubing in seine Heimat­stadt München von François Duplat über­nommen, dem einstigen Pächter des Cinemonde (1971 bis 1974) und des Arri (1974 bis 1984), der auch bei der Wiede­r­eröff­nung des Kino Solln als neuer Gesell­schafter mit von der Partie war.

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Ein Gruß aus alten Zeiten: ein Projektor heißt im Kino­auf­gang die Besucher will­kommen.

Getreu den Worten seiner Mutter Liese­lotte – »Das Rex ist kein schlechtes Kino, es gehört nur ordent­lich geführt« – krempelte Sohn Thomas die Ärmel hoch und reno­vierte das Kino 1997 komplett: Raus mit alten blauen Teppich­fliesen und grauen Wänden, rein mit der Popcorn­ma­schine. »Witzi­ger­weise ist der Betrag, den ich jetzt inves­tieren will, fast der gleiche wie damals – steht halt nur Euro davor«, sagt Wilhelm und grinst, soweit sechs­stel­lige Summen dies eben zulassen. Damals – das war auch die Zeit, als das Mathäser gerade abge­rissen wurde und Münchens Kino­be­treiber zwei Fragen umtrieben: Wann wird da wieder­eröffnet und wie soll man sich selbst auf die Multiplex-Zukunft vorbe­reiten?

Es klingt wie Ironie: Jetzt, knapp 20 Jahre später, spielt wieder eine Vielfach-Leinwand-Konkur­renz eine wesent­liche Rolle für eine Verän­de­rung des Laimer Kinos: Seit 2013 ist von einem geplanten Multiplex-Kino mit mindes­tens zehn Sälen im Nach­bar­be­zirk Pasing die Rede, gut drei Kilometer vom Agri­co­la­platz entfernt. Entschieden ist noch nichts, doch Hand­lungs­be­darf war für Wilhelm auf jeden Fall geboten: »Wenn es kommt, bin ich gut aufge­stellt. Wenn nicht, bin ich besser aufge­stellt.« Damals wie heute setzt er auf Wohlfühl-Kino für die »Klein­stadt Laim«, die mitt­ler­weile immerhin 50.000 Einwohner zählt, sowie auf Publi­kums­kenntnis: Das seien noch nie die Flippigen zwischen 15 und 25 gewesen, vielmehr setze es sich zusammen aus Menschen ab 30 plus, aus vielen Familien mit Kindern. Darauf ist auch das Film­an­gebot ausge­richtet, das Wilhelm als »gehobenen Main­stream« bezeichnet. »Ich muss mitkriegen, was die Leute sehen wollen, ich muss ihnen nicht aufzeigen, was sie sich anschauen sollen, ich habe hier kein Schwa­binger Bildungs­bür­gertum.«

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Wenn was nach dem Umbau nicht passt, gibt’s immer noch den Schwarzen Kasten für weitere Anre­gungen. Der analoge Vorläufer von Facebook & Co.

Zwar scheint Wilhelms Haltung auf den ersten Blick weit weg zu sein von der Arbeits­phi­lo­so­phie eines Franz Bösl, dem ersten Besitzer des Rex-Kinos von 1954 bis 1972. Der habe, wie Hans Schif­ferle in »Neue Paradiese für Kinosüch­tige« schreibt, »den oft ratlosen Zuschauern von Alexander Kluges Die Artisten in der Zirkus­kuppel: Ratlos einen weiteren Gratis-Kino­be­such im REX ermög­licht, ›damit sie die ganze Komple­xität des Films begreifen konnten.‹ Aber dass Wilhelm nicht nur Einspiel­ergeb­nisse ihm Kopf hat, zeigt sich in solchen State­ments wie ›Kinder müssen Bezug zum Kino lernen, dass es etwas anderes ist als Fernsehen‹, oder in seinen Zielen, die er mit dem Umbau im Blick hat. Er wolle nicht mehr Geld heraus­holen, sondern mehr Vielfalt, die verschie­dene Film­vor­lieben bedienen. ›Ich brauche die Filme, die mir die Kunden bringen, damit ich auch die Filme zeigen kann, die viel­leicht nicht so ein großes Publikum finden, die aber auch gezeigt werden müssen.‹«

Wenn alles gutgeht, soll der Vorhang am 11. August zu Schweins­kopf al dente wieder aufgehen. Und obwohl Thomas Wilhelm davon überzeugt ist, dass »man nicht ins Kino, sondern in einen Film geht«, wird es dann hoffent­lich genügend Film­be­geis­terte geben, die auch ganz bewusst und neugierig sein umge­bautes Stadt­teil­kino im Münchner Westen besuchen werden.

Literatur zur Geschichte der Münchner Kinos:

  • »Für ein Zehnerl ins Paradies – Münchner Kino­ge­schichte 1896 bis 1945«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 247 Seiten, € 59
  • »Neue Paradiese für Kinosüch­tige – Münchner Kino­ge­schichte 1945 bis 2007«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 368 Seiten, € 42
  • »Das Münchner Film- und Kinobuch – Die Biogra­phie der Filmstadt München«, hg. v. Eberhard Hauff, Edition Acht­ein­halb, 1988, 303 Seiten, anti­qua­risch
  • »Hollywood in Neuhausen«, Band 1: Glanz und Nieder­gang der Kinos im Münchner Westen, hg. Geschichts­werk­statt Neuhausen, anti­qua­risch
  • »Hollywood in Neuhausen«, Band 2: Die Stumm­film­zeit aus der Sicht eines Münchner Stadt­teils, hg. Geschichts­werk­statt Neuhausen, anti­qua­risch
  • »Nie bedeutend ...aber immer noch da – Das Arena – 100 Jahre Kino in der Hans-Sachs-Straße 7«, von Winfried Sembdner, hg. v. Arena Film­theater Betrieb­sGmbH, jezza! Verlag, 96 Seiten, € 10