27.02.2014
Kinos in München – Das Cincinnati

»Ich will nicht in Schönheit sterben«

Das Cincinnati-Kino im Fasanengarten
Außen schmucklos, innen Kult:
Das Cincinnati-Kino im Fasanengarten
(Foto: privat)

Ein Besuch im Cincinnati in der ehemaligen Ami-Siedlung

Von Dunja Bialas & Ingrid Weidner

Der Parkplatz vor dem Kino wirkt verlassen und leer, ein eisiger Wind weht an diesem Januar-Nach­mittag durch die Cincin­na­ti­straße am Perlacher Forst. Das frei­ste­hende Gebäude mit dem lang­ge­streckten Querbau erinnert an eine Lager­halle, zum würfel­ar­tigen Kopfbau führen ein paar Stufen zu den zwei davor gesetzten Eingangs­türen. Fast verlassen liegt der Riese im Dämmer­licht. Nur hinter den hohen, zur Straßen­seite hin ausge­rich­teten Fenstern verheißt ein sonnen­gelbes, warmes Licht Leben.

Ein Haus im Nirgendwo der Münchner Peri­pherie, das Setting wirkt wie die erste Szene eines düsteren Thrillers aus dem Mittleren Westen der USA. Doch ein Schau­kasten mit Kino­pla­katen verrät, das dieser Zweckbau ein Kino beher­bergt. Das Cincin­nati in der Cincin­na­ti­straße liegt nur zehn Minuten von der S-Bahn Fasan­g­arten entfernt, mitten in der ehema­ligen Ameri­ka­ni­schen Siedlung am Perlacher Forst. Zwar zog die US-Army längst ihre Truppen und Mitar­beiter ab, doch das Kino versprüht immer noch den funk­tio­nalen Charme der 1950er Jahre.

Im Foyer riecht es nach Popcorn, das in einer süßen und salzigen Variante angeboten wird. Nachos, Süßig­keiten, Kaffee, Soft­drinks und ein Bier zum Film finden die Kino­gänger an der Theke, wo sie auch ihre Eintritts­karten lösen. Im groß­zü­gigen Entree finden sich ein paar Tische und Barhocker im Stil der späten 1990er Jahre, schwarzes Metall­rohr, ausge­ses­senes Kunst­leder, kleine Gesprächs­in­seln, die vor dem Film belagert werden. Gegenüber der von Beton­stre­benen gehal­tenen Glas­fas­sade, die wie ein modernes Kirchen­fenster anmutet, prangt eine große Leinwand. Eigent­lich sollte sie Werbe­zwe­cken dienen, erzählt uns Betreiber Thomas Wilhelm, mit dem wir uns zum Gespräch im Kinofoyer getroffen haben, manchmal läuft dort ein Trailer, zu WM-Zeiten hin und wieder auch ein Fußball­spiel.

Der gigan­ti­sche Kinosaal mit einem breiten Mittel­gang führt direkt auf die 80 Quadrat­meter große Bühne zu. Dort könnte locker das Ensemble einer Hollywood-Produk­tion den Applaus des Publikums entgegen nehmen. Auch die dahinter aufge­spannte Leinwand mit ihren 60 Quadrat­me­tern wirkt imposant. Im Saal finden 428 Besucher auf braunen, gepols­terten Sesseln Platz. An den groß­zü­gigen Abständen zwischen den Stuhl­reihen lässt sich noch erkennen, für wen das Haus geplant war: Statt­liche, hoch aufge­wach­sene GIs, denen Bein­frei­heit und Komfort wichtig waren. Dagegen wirkt das etwa zeit­gleich gebaute Theatiner wie ein Gegen­s­tück aus dem Nach­kriegs­deutsch­land. Das elegante Licht­spiel­theater in der Innen­stadt im 1950er-Jahre-Stil planten die Archi­tekten wohl für ein ganz anderes Publikum, nämlich schmäch­tige, kulturell ausge­hun­gerte Intel­lek­tu­elle, die sich dort zwischen den engen Stuhl­reihen die Cineasten der Großstadt wurden.

The One Million D-Mark-Baby

»Wir sind hier kein Arthouse-Kino«, sagt Thomas Wilhelm nüchtern und zeigt erklärend auf die Plakate von Thor oder Fack ju Göhte, die das Foyer schmücken. Als er im August 1999 das Cincin­nati übernahm, lebten kaum noch Ameri­kaner in der Siedlung, doch das Kino war trotzdem gut besucht. Der große Parkplatz vor der Tür und die nahe gelegene Autobahn lockten auch viele Zuschauer aus dem Umland in das groß­zü­gige Kino. Block­buster und „Bad-Guys-Filme“, so erinnert sich Wilhelm, spielte er damals für sein Publikum. Zwar dachte der Kino-Betreiber anfangs noch über einen kompletten Umbau des Hauses nach, um den zu groß gewor­denen Saal in mehrere kleine aufzu­teilen, denn das hätte das Haus besser bespielbar gemacht. Doch ein Architekt rechnete ihm vor, dass die Umbau­maß­nahmen mindes­tens eine Million DM kosten würden.

Eine gewaltige Summe für ein Kino, für das Wilhelm keinen lang­fris­tigen Miet­ver­trag hatte. Also arran­gierte er sich mit den Räum­lich­keiten und konzen­trierte sich auf die Programm­ge­stal­tung. »Die Film­aus­wahl ist eine Wissen­schaft für sich«, verrät er und ergänzt: »Ich muss schauen, dass der Laden läuft.« Persön­liche Film­vor­lieben des Eigen­tü­mers spielen deshalb kaum eine Rolle, denn um ein Kino rentabel zu betreiben, muss sich Wilhelm wirt­schaft­li­chen Zwängen beugen. »Ökonomie comes first«, so sein lapidarer Kommentar, denn er wolle nicht »in Schönheit sterben«. Selten läge er mit seiner Auswahl daneben. »Ich spreche mich mit Mitar­bei­tern und Kollegen ab«, sagt er. »Außerdem bringe ich dreißig Jahre Kino-Erfahrung mit.« Wilhelm kann sich mitt­ler­weile gut auf sein Film­ge­spür verlassen. Im Cincin­nati zeigt er über­wie­gend Main­stream-Filme, doch das Publikum kommt auch für den ein oder anderen Arthouse-Filme vorbei. Kinder­filme in der Nach­mit­tags­schiene, sowie Schul- oder Privat­vor­füh­rungen ergänzen das Programm.

Und dann wäre da noch das Wetter, eine schwer kalku­lier­bare Variable der Programm­ge­stal­tung. »Schönes Wetter ist schädlich«, soviel steht für Wilhelm schon mal fest. Doch »schlechtes Wetter macht auch kein volles Kino«, philo­so­phiert er weiter. Überhaupt beschreibt Wilhelm das Kino­pu­blikum als anspruchs­voll. Elek­tro­ni­sche Reser­vie­rungs­sys­teme oder gleich eine App, über die der gewünschte Platz gebucht werden kann, gelten für sein Publikum mitt­ler­weile als Standard. Gutscheine, Sonder­ak­tionen, ein üppiges Sortiment an Snacks sowie ein anspre­chendes Ambiente erwarten die Gäste vom Kino­be­such. Doch ein Tagescafé im Cincin­nati würde sich vermut­lich in der weit­läu­figen Wohn­sied­lung nicht lohnen, darüber nach­ge­dacht hat Wilhelm schon.

Die Siedlung am Perlacher Forst gilt inzwi­schen als begehrte Wohnlage. Das nach ameri­ka­ni­schen Vorbild errich­tete Wohn­quar­tier mit Schulen, Sport­hallen, Kirche und Kino entstand dort ab 1953 für die in München statio­nierten Militärs der US-Army und ihre Familien. Eigens für das neue Quartier ließ der Freistaat Bayern eine Fläche von rund einem Quadrat­ki­lo­meter Wald abholzen, damit dort Wohnungen gebaut werden konnten. Vor allem höhere Dienst­grade und über mehrere Jahre in »Germany« statio­nierte Angehö­rige der US-Army lebten dort. Die breiten, auf große Schlitten zuge­schnit­tenen Straßen kamen über­wie­gend ohne Gehsteige aus, auch Garten­zäune oder große Garagen wie in den Sied­lungen der deutschen Nachbarn in anderen Stadt­vier­teln suchte man dort vergebens. Nach dem Kalten Krieg und dem Fall der Mauer zogen die Ameri­kaner und mit ihnen die anderen Alli­ierten immer mehr Truppen aus Deutsch­land ab. Diese ehema­ligen Kasernen und Wohn­quar­tiere gingen nach der Räumung wieder in das Eigentum der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land über. Verwaltet werden diese Immo­bi­lien und Grund­stücke von der Bundes­im­mo­bi­li­en­ver­wal­tung (Bima), die auch das Cincin­nati an Wilhelm vermietet.

Der Kino-Macher

Thomas Wilhelm stammt aus einer echten Kino­fa­milie. Er wuchs zwischen den Stuhl­reihen, Projek­toren und Film­rollen des Kino Solln auf, das seine Mutter über viele Jahre betrieb. Später übernahm Wilhelm das Licht­spiel­haus, siedelte es in der Garten­stadt sogar einmal um und übergab es dann an François Duplat, der ihm im Gegenzug das Neue Rex in Laim überließ, das heute noch unter der Regie von Wilhelm steht.

Zunächst aber zögerte Wilhelm, ins Kino­ge­schäft einzu­steigen. Er studierte BWL, versuchte sich in der IT-Branche. »Das war aber nicht so mein Ding«, erinnert er sich. Schließ­lich hörte er doch auf seine Mutter, die ihm zuredete, der Fami­li­en­tra­di­tion zu folgen. Denn anders als in einem Hand­werks­be­trieb habe ein Kino­be­sitzer jeden Abend sein Geld in der Kasse, so ihre Erfahrung. Wilhelm fügt noch ein weiteres Argument an: »Kino hat Spaß gemacht«. 1996 stieg er offiziell in das Fami­li­en­un­ter­nehmen ein, übernahm das Neue Rex, mietete drei Jahre später das Cincin­nati an. Schließ­lich kam als drittes Kino noch das Rottmann in der Maxvor­stadt hinzu. In all den Jahren im Kino­ge­schäft erlebte Wilhelm Höhen und Tiefen, wie er erzählt. »Es ist eine spannende Branche, aller­dings steckt ein großer Aufwand dahinter.«

Kritisch wurde es für das groß­zü­gige Cincin­nati, als 2003 der Multiplex-Gigant Mathäser an der Bayer­straße mit seinen 14 Sälen und über 4000 Plätzen die Münchner Kino­land­schaft erschüt­terte. »Das war eine große Konkur­renz für uns«, erinnert sich Wilhelm. Gerade weil viele Besucher gerne mit dem Auto anreisen und Popkorn-Kino lieben, igno­rierten einige ihre alte Heimat und fuhren lieber weiter in die Innen­stadt.

Future is now

Momentan blickt das Cincin­nati und mit ihm Thomas Wilhelm wieder in eine ungewisse Zukunft. Denn es steht mehr als in der Schwebe, wie es mit seinem Licht­spiel­haus weiter­geht. 2010 inves­tierte er richtig viel Geld, um das Haus auf die digitale Kino­technik umzu­rüsten. Jetzt zeigt das Haus auch 3D-Filme und hat im Viertel ein treues Publikum gefunden. Dass Zuschauer aus der Stadt an die Peri­pherie fahren, das glaubt Wilhelm nicht. Jetzt droht, ein Super­markt das Kino zu vertreiben, eine Folge einer langen Entwick­lung des Viertels. Die Ami-Siedlung, wie das Wohn­quar­tier liebevoll und keines­wegs despek­tier­lich von den Münchner genannt wird, wird demnächst Standort des Neubaus der Europäi­schen Schule sein. Bald sollen die Bauar­beiten für den Zweckbau beginnen, der bereits 2015 mehr als 1800 Schüler beher­bergen soll. Als Baugrund wurde ein Areal in der Nähe der S-Bahn-Halte­stelle Fasan­g­arten gewählt, der dort ange­sie­delte Super­markt muss weichen und da die Eigen­tü­merin des Areals, die Bundes­im­mo­bi­li­en­ver­wal­tung (Bima), ein Ausweich­quar­tier für den Voll­sor­ti­menter sucht, gibt es Über­le­gungen, das Cincin­nati dafür zu nutzen. »Es muss ein Festbau sein.« Was bedeutet: Kino­sessel raus, Regale rein. Und das wäre dann das Aus für das Kino in der Ami-Siedlung.

Ob dem Kino das städ­ti­sche Baurecht und der damit verknüpfte Bestands­schutz hilft oder ob es wegen fehlender Alter­na­tiven dem Super­markt weichen muss, entscheidet sich in den kommenden Monaten. Doch schon jetzt steht fest: Im Mai muss einen Lösung für die Umsie­de­lung des Super­marktes her. Im Viertel formiert sich Wider­stand durch treue Kino­gänger, zahl­reiche Bürger enga­gieren sich mitt­ler­weile für »ihr« Kino . Noch ist offen, wie es mit dem Cincin­nati weiter­geht. Dass das Quartier auch ein kultu­relles Angebot für seine Bürger braucht, darüber seien sich alle einig, auch die Bima. Ob es ein Kino bleiben wird – das wird sich zeigen. Wir drücken die Daumen!

Literatur zur Geschichte der Münchner Kinos:

  • »Für ein Zehnerl ins Paradies – Münchner Kino­ge­schichte 1896 bis 1945«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 247 Seiten, 59 Euro
  • »Neue Paradiese für Kinosüch­tige – Münchner Kino­ge­schichte 1945 bis 2007«, hg. von Monika Lerch-Stumpf mit HFF München, Dölling und Galitz Verlag, 368 Seiten, 42 Euro
  • »Das Münchner Film- und Kinobuch – Die Biogra­phie der Filmstadt München«, hg. v. Eberhard Hauff, Edition Acht­ein­halb, 1988, 303 Seiten, anti­qua­risch
  • »Hollywood in Neuhausen«, Band 1: Glanz und Nieder­gang der Kinos im Münchner Westen, hg. Geschichts­werk­statt Neuhausen, anti­qua­risch
  • »Hollywood in Neuhausen«, Band 2: Die Stumm­film­zeit aus der Sicht eines Münchner Stadt­teils, hg. Geschichts­werk­statt Neuhausen, anti­qua­risch
  • »Nie bedeutend ...aber immer noch da – Das Arena – 100 Jahre Kino in der Hans-Sachs-Straße 7«, von Winfried Sembdner, hg. v. Arena Film­theater Betrieb­sGmbH, jezza! Verlag, 96 Seiten, 10 Euro

Mit freund­li­cher Unter­s­tüt­zung durch das Kultur­re­ferat München

Filme werden fürs Kino gemacht, hieß es mal in einer Kampagne. Weil dies im Zeitalter von DVD und erhöhten Kino­mieten mehr denn je keine Selbst­ver­s­tänd­lich­keit mehr ist, stellen wir hier besondere Kinos in München vor, die unbedingt einen Besuch wert sind.