26.11.2015
Cinema Moralia – Folge 121

Uns bleibt noch immer Paris...

Die DFFB
Der Auslandskorrespondent ist heute wichtiger denn je: Hitchcocks Foreign Correspondent

»Aux armes, citoyens, formez vos bataillons«: Lachen gegen den Terror; das Kino, die Medien und nötige Antworten; zehn Tage im Panic Room des Westens – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 121. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»They combine a mad love of country with an equally mad indif­fe­rence to life, their own as well to others. They are coming, unscru­pu­lous and inspired.« – Stephen Fisher in: Alfred Hitchcock: Foreign Corre­spon­dent (1940)

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Hitch­cocks Foreign Corre­spon­dent von 1940 ist unter­schätzt und irgendwie übersehen. François Truffaut nennt ihn in seinem berühmten Gesprächs­buch zwar einen Film, den er besonders schätzt, aber dennoch mag man heute die manie­rierten, philo­so­phi­schen, ober­fläch­lich apoli­ti­schen und die straight auf Suspense setzenden Hitchcock-Filme der 50er und 60er lieber als den äthe­ri­schen und zugleich groben Hitchcock der 30er und 40er, den von Rebecca, von Jamaica Inn und von Suspicion.
Den der Propa­gan­da­filme – Life-Boat, Saboteure eben Foreign Corre­spon­dent hat man völlig vergessen. Viel­leicht aber, da ist so ein Gedanke in diesen Tagen, sollte man im Westen endlich wieder – gute – Propa­ganda-Filme drehen, und den Mut haben, die Feinde unserer Gesell­schaft und unserer Werte zumindest im Kino zu bekämpfen. Gute natürlich, gelassene, ironische, wie Casablanca.

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Im Zusam­men­hang mit dem Filmstart von Spectre nahm ich neulich an einer Radio­dis­kus­sion teil, bei der die Frage aufkam, warum Bond eigent­lich zuletzt nicht mehr gegen reale, poli­ti­sche Feinde antritt, sondern – außer gegen sich selbst und gegen Böse­wichte im briti­schen Geheim­dienst – nur noch gegen irgend­welche kranken Super­ver­bre­cher und Einzel­gänger. Noch nicht mal ein durch­ge­knallter nord­ko­rea­ni­scher General.
Es ist auch in Spectre wieder keine andere Großmacht, weder Russen, noch Chinesen, weder Dikta­toren noch Isla­misten – obwohl doch die ISIS ein perfektes Bond-Feindbild abgegeben hätte – sondern es ist einmal mehr ein schur­ki­sches, kraken­haftes Verbre­cher- und Olig­ar­chen­syn­dikat, das unbedingt trans­na­tional nach der Welt­herr­schaft strebt.
Warum nicht besser mal Bond gegen NSU und Pegida? Warum nicht Bond gegen ein Bündnis aus türki­scher Regierung und ISIS?
Die Bond-Macher trauen sich das nicht, denn Bond ist ein globaler Erfolg. Man hat Angst, dies zu gefährden, indem man Teile des Publikums gegen sich aufbringt. Hier macht der Kapi­ta­lismus sein eigenes Produkt kaputt. Political Correct­ness und Profit­gier verbünden sich hier, auch in der Themen­aus­wahl und der Entschei­dung über Schurken. Dabei wissen wir: Es gibt Feinde, es gibt die ISIS. Man will einfach die Bond-DVD auch der ISIS verkaufen, darum bitte keine blöden Witze über ISIS und Mohammed.
Man unter­schätzt dabei natürlich die Araber und den Mittleren Osten in ihrer Offenheit ebenso, wie man sie auch nicht ernst nimmt. Dabei sollte man selbst Isla­misten ernst nehmen, als unseren Anta­go­nisten, wie in ihrer Fähigkeit zur Selbst­ironie.
Ich bin dafür, dass mindes­tens Bond wieder reak­ti­onär wird, wieder Macho ist, wieder kolo­nia­li­siert. Warum soll nicht Bond die Figur im Kino sein, die zu dem steht, was der Westen sowieso tut.

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Könnte es sein, dass das so leicht abrufbare Plädoyer für »mehr Sicher­heit«, für Über­wa­chung, die so leicht mobi­li­sier­bare Kritik an der Freiheit und an dem »west­li­chen Hedo­nismus« eher ein Symptom unseres Problems als dessen Diagnose ist? Könnte es sein, dass manche im Westen nur auf die Terro­risten warten, damit sie dann im geeig­neten Moment ihre Agenda in Gang setzen können?
Man sollte nicht alles glauben, was in der Zeitung steht, auch das kann man von Hitch­cocks Foreign Corre­spon­dent lernen.
Könnte es sein, dass unsere soge­nannten Quali­täts­me­dien so empfind­lich auf die Pegida-Auswürfe gegen die Lügen­presse reagieren, weil sie ahnen, dass etwas dran sein könnte an der Vorstel­lung, dass sie mehr Lügen enthalten als Wahrheit?
Mindes­tens enthalten sie viel zu viel Emotion und Hysterie, viel zu wenig Infor­ma­tion. In den letzten Tagen haben sich auch die deutschen Medien in einen »Panic Room« verwan­delt.

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Die Attentate von Paris zwingen uns zur Entschei­dung, wieviel uns unsere Freiheit wert ist. Wir können sie auch zum Anlass dafür nehmen, uns zu erinnern, dass es die Erfahrung und der Geist des Terrors – der reli­giösen Bürger­kriege – war, aus denen die Aufklärung geboren wurde, nicht etwa entstand aus der Aufklärung der Terror.
Wir könnten wieder einmal Casablanca sehen, bei der Marseil­laise-Szene mitsingen, und uns daran erinnern, wo »wir« eigent­lich herkommen. Aus den Trümmern des Jahres 1945, aus einem vom Faschismus verheerten Europa.

Wir könnten uns erinnern, dass nicht das Regu­lieren von Staub­saugern und das Rauch­verbot das Thema Europas waren, und auch nicht der Frei­handel. Sondern der Tod und der Wider­stand gegen ihn, die Kunst und der Intellekt und die Vertei­di­gung des Geistes gegen die Instinkte. Europas Thema ist Freiheit, ist Anti-Natio­na­lismus, ist Anti-Sepe­ra­tismus (liebe Katalanen), ist Terror­ab­wehr.

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Warum singt man eigent­lich in briti­schen Fußball-Stadien die Marseil­laise, in deutschen aber nicht?
Könnte es etwas mit der anti­fa­schis­ti­schen Allianz 1939-1945 zu tun haben, die am Ende mehr wiegt als der Hundert­jäh­rige Krieg und die EWG?
Oder mögen nur die deutschen Gutmen­schen den Text nicht?
»Entendez-vous dans les campagnes/ Mugir ces féroces soldats?/ Ils viennent jusque dans vos bras/ Égorger vos fils, vos compagnes.« (»Hört ihr auf den Feldern/ Diese wilden Soldaten brüllen?/ Sie kommen bis in eure Arme,/Um euren Söhnen, euren Gefähr­tinnen die Kehlen durch­zu­schneiden.«) Das ist die ISIS.

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Ein paar Tage nach den Atten­taten gehe ich eher ziellos durch Berlin. Bei Dussmanns gibt es natürlich einen Helmut-Schmidt-Tisch, auf dem auch auch Lokis Garten­buch nicht fehlt. Und ich denke, nachdem ich überlegt habe, was es über den Stand der Dinge sagt, dass »Esoterik« hier zwischen »Kochen« und »Gesund­heit« steht: Ein Glück, dass Schmidt das nicht mehr erleben musste. Ich meine jetzt nicht Dussmanns und den Bücher­tisch, sondern Paris. Ein paar Minuten später, vor dem Bahnhof Fried­richstraße, laufe ich dann – det is Berlin – Jochen Hörisch über den Weg, den ich seit Jahren aus Mannheim kenne. Der leider seltene Fall eines Kino-affinen Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­lers. Er ist für zwei Tage hier, natürlich auch, um zu arbeiten – »wir müssen das Refor­ma­ti­ons­jahr vorbe­reiten« –, aber auch um ins Theater zu gehen. A,m Abend wird er »Huis Clos« von Sartre sehen, mit Ulrich Matthes im Deutschen Theater – »dass Sartre heute überhaupt noch gespielt wird« – und morgen dann »Faust«. Jetzt kommt Hörisch gerade aus dem DHM [https://www.dhm.de/], wo er die Azusstel­lung über das Jahr 1945 gesehen hat. »Wie das eigent­lich war damals – man müsste heute mal erinnern an die Ruinen« sagt auch er in Bezug auf die Pariser Attentate.
Dann fragt er, ob ich seinen Beitrag über das Lachen kennen würde, den er seiner­zeit nach dem »11. September« fürs Sonder­heft des »Merkur« geschrieben hat. Kenne ich nicht, aber der Gedanke bleibt mir im Kopf: Man muss den Terror weglachen, man muss Witze über Terro­risten, Isla­misten und überhaupt über Religion machen. Das Lachen, auch das Lachen über sich selbst, ist die beste Waffe gegen den Terror. Es ist Ausdruck der Moderne schlechthin: Kritik, Selbst­kritik, Refle­xi­vität. Das Lachen darf uns nicht vergehen.

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Der Terror der ISIS hat mit der schlechten Laune unserer Moral­päpste, Müll­trenner, Gende­ri­sierer, Rauch­gegner, Puritaner und sonstig politisch Korrekten leider mehr gemeinsam, als diese wahrhaben möchten: Die schlechte Laune, mit der »Spaß­ge­sell­schaft« und Hedo­nismus geschmäht, oder gar als »Dekadenz« zur wahren Ursache des Terrors erklärt werden – ein klas­si­scher Fall von Iden­ti­fi­ka­tion mit dem Aggressor.

Mit jedem Anschlag auf den Westen nimmt jeden­falls der voraus­ei­lende Gehorsam des Westens in Form staat­li­cher Einschrän­kungen bürger­li­cher Frei­heiten im Zeichen des »Anti­terror-Kampfs« zu.
Nicht nur in der Türkei, unserem »Partner« und Waffen­bruder, dessen Regierung die ISIS unter­s­tützt, und wo heute täglich Jour­na­listen als »Terro­risten« verhaftet werden, ist die Defi­ni­tion des Terro­rismus dermaßen weit gefasst, dass die Polizei nach Belieben vorgehen kann. »Terror« ist eine Legi­ti­ma­ti­ons­folie zur Einschrän­kung von Frei­heiten, zum Frem­den­hass und zur Über­wa­chung der Gesell­schaft geworden – und die Schreib­tisch­täter im Westen glauben wahr­schein­lich wirklich, dass sie damit Attentate verhin­dern. Tun sie aber nicht.

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Ein tolles Interview hat Frédéric Jaeger mit Cristina Nord auf critic.de geführt. Cristina Nord war dreizehn Jahre Film­re­dak­teurin der »taz«. Im Interview erklärt sie, wie sich Film­kritik verändert hat und warum sie jetzt etwas anderes machen will.

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»Und wenn sie uns töten. Wenn sie uns alle töten – An jeder Ecke und jedem Ende Europas werden hunderte, Tausende aufstehen, die unseren Platz einnehmen. So schnell können nicht mal Nazis töten.« –aus: »Casablanca«

(To be continued)