29.10.2015
Cinema Moralia – Folge 120

Droht TTIP durch die Hintertür?

Jamaica Inn
Maureen O’Hara (1920-2015) in Hitchcocks Jamaica Inn
(Foto: Alfred Hitchcock)

Rothaarig, heißblütig, unabhängig, gefährlich, piratisch: Die Demokratie und andere Heldinnen – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 120. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Bette Davis was right—bitches are fun to play«
Maureen O’Hara

Die Mächtigen tun sich noch immer schwer, Demo­kratie zu akzep­tieren und die Gegen­macht, die aus ihr erwächst. Aber weil sie doch eine Sprache verstehen, die der Macht nämlich, muss man eben, um verstanden zu werden, mit ihnen in ihrer Sprache reden.

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Maureen O’Hara war eine Rebellin: rothaarig, heiß­blütig, unab­hängig, gefähr­lich und mitreißend, eine pira­ti­sche Frei­beu­terin. Sie mischte in den »Drei Muske­tieren« das Ancien Régime noch mehr auf als Lana Turner. Zugleich war sie selbst eine Königin, die gekrönte des Tech­ni­color, dessen Röte die ihre noch hervorhob. Mehrfach an der Seite ausge­rechnet von John Wayne, wo sie nicht hinpasste, um so mehr ins schwarz­weiße Jamaica Inn von Hitchcock, und mit Charles Laughton in Dieterles Der Glöckner von Notre Dame – eine wahn­wit­zige, charis­ma­ti­sche, und natürlich bild­schöne Darstel­lerin. Laughton, ihr Quasimodo, der sie offen­sicht­lich auch liebte, hat der am 17. August 1920 als Maureen Fitzs­im­mons in Dublin geborenen Irin den Namen O’Hara geschenkt.
Sie war längst unsterb­lich in unserem Herzen, nun ist sie leider doch gestorben, über­ra­schend mit 95 Jahren.

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»TTIP – wozu soll das eigent­lich gut sein?« fragt die Bundes­re­gie­rung in einer großen Anzei­gen­kam­pagne. Das haben wir uns ja schon immer gefragt. Aber Merkel und Gabriel haben sich jetzt doch noch nicht auf die Seite der Vernünf­tigen geschlagen und sind Gegner des »Frei­han­dels­ab­kom­mens« mit den USA geworden, das eigent­lich ein Frei­heits­ab­schaf­fungs­ab­kommen ist.
Dafür der CDU-Bundes­tags­prä­si­dent Norbert Lammert.

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Andere warnen mal wieder, die »Welt« vor dem bösen Anti-Ameri­ka­nismus, und die »FAZ«, die in der Pegida mitunter »besorgte Bürger« sieht und im Fall VW bittet, den »Indus­trie­standort Deutsch­land« nicht kaputt­zu­reden, die warnt vor der »Empörungs­in­dus­trie« und vor der »Protest­firma Campact« – hier der Link –, wo sie doch, wie sonst auch, den Erfolg findigen germa­ni­schen Unter­neh­mer­tums preisen könnte. Geschenkt, Genossen! TTIP und Ceta sind ein Projekt der europäi­schen Neokon­ser­va­tiven, die den Namen des Libe­ra­lismus' für sich okkupiert haben.
Jetzt regt sich Bürger­pro­test, übrigens auch der Protest vieler »FAZ«-Leser, gegen TTIP. Fast 200.000 Bürger protes­tierten in Berlin gegen TTIP.

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»Es geht nicht um Anti-Ameri­ka­nismus, wenn Bürger ihre Standards im Arbeits- und Sozi­al­recht, bei Umwelt, Kultur­för­de­rung, Daten­schutz und Urhe­ber­recht gegen die Zumu­tungen von TTIP und Ceta vertei­digen«, schreibt Klaus Staeck, bis vor kurzem Präsident der Berliner Akademie der Künste, in der »FR«. Sein Text legt den Finger auf eine entschei­dende Wunde: Warum sollten wir, die wir gegen Paral­lel­ge­sell­schaften der Reichen oder der Isla­misten sind, plötzlich für Paral­lel­ge­richts­bar­keiten sein?
»Es sind die global agie­renden Konzerne, die nach der Macht greifen. Für sie sind Demo­kratie und Rechts­staat nur lästiges Beiwerk. Es geht um ihren Mono­pol­an­spruch, nicht nur um Rück­lichter oder das fast zu Tode gebrühte Chlor­hühn­chen. Infrage stehen audio­vi­su­elle Dienste, öffent­liche Dienst­leis­tungen wie die Wasser­ver­sor­gung, samt öffent­li­chem Rundfunk. Deshalb muss der Streit um das mit Kanada 'ausver­han­delte' Ceta-Abkommen ebenso intensiv geführt werden. Sonst droht TTIP durch die Hintertür.«

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Die Vorstel­lung, dass Sicht­bar­keit Kontrolle ermög­licht, ist proble­ma­tisch (s.u.), mag sicher auch ein essen­ti­eller Bestand­teil der demo­kra­ti­schen Idee sein. Das Licht der Öffent­lich­keit sollte aber jene Lobby­isten erreichen, die bei den Parteien des Bundes­tags ein- und ausgehen.
Hier kann man einen Appell für mehr Trans­pa­renz im Bundestag unter­zeichnen.

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Bestimmt mit im Boot wäre da wahr­schein­lich auch der britische Regisseur Adam Curtis. Am Wochen­ende ist er zu Gast in Berlin, zunächst am 30.10. (19:30 im HAU 1) bei »Revolver Live! (46)«. Da spricht er mit Christoph Hoch­häusler und Nicolas Wacker­barth über »die Auswir­kungen, die das Zeitalter der Logarithmen auf das Erzählen von Geschichten hat«. In der Einladung wird der im Prinzip demo­kra­ti­sche Gedanke der Trans­pa­renz proble­ma­ti­siert: Die Vorstel­lung, dass Sicht­bar­keit Kontrolle ermög­licht, ist ins Stottern geraten.
Adam Curtis selbst schreibt dazu: »The idea that visi­bi­lity creates the possi­bi­lity for control is an essential component of the demo­cratic idea. Public­ness is meant to force those in power to produce a narrative that can then be disputed. But in a time of systemic cons­traints with 'no alter­na­tives,' this narrative has started to sputter. Adam Curtis speaks about the effects that the age of logarithms has had on how stories are told.«
Im Anschluss an das Gespräch gibt es um 21:30 Uhr ein Screening von Adam Curtis aktuellem Film Bitter Lake.
All dies findet im Rahmen eines »Adam Curtis Weekends« statt. Da läuft Curtis' Klassiker The Century of the Self, Part 1,2,3 & 4, den Curtis für alle Nicht­ber­liner auf seiner Website frei ins Netz gestellt hat. Und am 31.10., um 20:30 Uhr redet Curtis im HAU1 einfach weiter: »Adam Curtis in conver­sa­tion with Mark Fisher«.

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Der König, genauer gesagt, der neue Direktor der DFFB soll gekürt werden. Schon nächste Woche: Eine ganz offi­zi­elle, rechtlich nötige Einladung zu einer Sitzung des DFFB-Kura­to­riums ist der Studen­ten­ver­tre­tung der Berliner Film­aka­demie zuge­gangen. Am 4.11. möchte man in der Senats­kanzlei die lästige Ange­le­gen­heit abschließen. Dann könnte, wenn es wirklich zu Ben Gibson kommt, erneut ein Direk­to­ren­kan­didat ernannt werden, der – wie der unselige Jan Schütte – die mit Abstand geringste Unter­s­tüt­zung unter den Studenten hat. Kein gutes Omen. Die zukünf­tige Verfas­sung der DFFB muss davon unab­hängig geklärt werden – hoffent­lich beginnt die Poltik, sich endlich aus der Akademie mit ihrem Gestal­tungs­willen heraus­zu­halten.
Oder viel­leicht wählt sich der Senat dann einfach neue Studenten?

(To be continued)