28.08.2014
71. Filmfestspiele von Venedig 2014

Auftakt nach Maß

Birdman
Birdman: Rasant & unterhaltsam
(Foto: Twentieth Century Fox of Germany GmbH)

Die Filmfestspiele von Venedig eröffnen mit der klugen Komödie Birdman – Venedig-Notizen, Folge 1

Von Rüdiger Suchsland

Mit einer rasant insze­nierten, sehr unter­halt­samen Geschichte aus der Welt des Show­busi­ness wurden gestern Abend die Inter­na­tio­nalen Film­fest­spiele von Venedig eröffnet, die zum 71. Mal auf dem Lido­strand vor der Lagu­nen­me­tro­pole statt­finden. Birdman heißt der neue Film des Mexi­ka­ners Alejandro Gonzalez Innaritu (Y tu mamá también) – und es handelt sich um eine ebenso intel­li­gente wie kurz­wei­lige melan­cho­li­sche Komödie über das Show­ge­schäft.

Michael Keaton spielt in der Haupt­rolle gewis­ser­maßen sich selbst: Einen alternden Schau­spieler, der einmal als Comic-Superheld welt­berühmt wurde (so wie Keaton als Batman in Tim Burtons zwei Verfil­mungen Anfang der 1990er), und seitdem versucht, diesem Rolle­n­image zu entkommen, und wieder als Künstler ernst­ge­nommen zu werden.

Keatons Figur ist während er am Broadway ein Raymond-Carver-Stück insze­niert, in dem er auch die Haupt­figur spielt, von Selbst­zwei­feln geplagt: In furiosen Traum­se­quenzen spricht er mit seiner früheren Figur, dem »Birdman«, fliegt er durch New York, rettet die Welt, oder begeht Selbst­mord. Dazwi­schen muss er sich um seine Exfrau, seine schwan­gere Geliebte, seine labile Tochter, die hyste­ri­sche Haupt­dar­stel­lerin und um einen so präten­tiösen wie mani­pu­la­tiven Kollegen kümmern, der ihm die Show stehlen will.
Dieser wird von Edward Norton gespielt, in weiteren Rollen sind unter anderem Naomi Watts und Emma Stone zu sehen. Birdman ist ein groß­ar­tiger Film, weit besser als die letzten Eröff­nungs­filme in Cannes oder Berlin. Eine geist­reiche Reflexion des Show­ge­schäfts und der Frage, wo die Kunst aufhört und der Popu­lismus anfängt; gespickt mit bissigen Sentenzen wie »Popu­la­rität ist der dreckige kleine Cousin der Aner­ken­nung« oder »Wir leben gerade in Zeiten des kultu­rellen Genozid«. Getragen wird Birdman vom Spiel der Darsteller und der wunder­baren Kamera des Polen Emmanuel Lubetzki, der seinen Bilder in schwind­ler­re­ge­genden langen Einstel­lungen einen eigen­wil­ligen Sog gibt.

Birdman, nach Gravity von Alfonso Cuaron im letzten Jahr zum zweiten Mal in Folge der Eröff­nungs­film eines mexi­ka­ni­schen Regis­seurs, ist der erste von 19 Filmen, die in den kommenden zwölf Tagen im Wett­be­werb um den Goldenen Löwen kämpfen. Dort begegnet das Publikum einer Mischung aus neuen Gesich­tern, guten Bekannten und ernsten Themen: Lang erwartet wurde der deutsche Beitrag: Fatih Akins The Cut ein viel­schich­tiges Drama über die Ermordung hunder­tau­sender Armenier in der Türkei während des ersten Welt­kriegs.
Im Wett­be­werb kämpft diesmal ausnahms­weise auch ein Doku­men­tar­film mit um den Goldenen Löwen: The Look of Silence heißt der Beitrag von Joshua Oppen­heimer. Der erst 39-jährige Ameri­kaner, der auch dänische Wurzeln hat und derzeit in Kopen­hagen lebt, wurde im vergan­genen Jahr mit The Act of Killing berühmt, einem gefei­erten und preis­ge­krönten, aber keines­wegs unum­strit­tenen Doku­men­tar­film über die schwie­rige Bewäl­ti­gung von Mord und Terror in Indo­ne­sien, in dem die Mörder ihre Taten auf der Thea­ter­bühne nach­spielen, und dadurch zum Teil eine scho­ckie­rende Katharsis erleben. Oppen­hei­mers neuer Film setzt diese Arbeit fort, und beschäf­tigt sich speziell mit jener Epoche des Mili­tär­put­sches seit 1965, die schon seiner­zeit durch Peter Weirs groß­ar­tigen Spielfilm Ein Jahr in der Hölle zu trauriger Berühmt­heit kam.

Zwei alte Bekannte, glei­cher­maßen dem Aufbruch New Hollywood verbunden, wie den besten Tradi­tionen des klas­si­schen US-Kinos sind Barry Levinson (72) und Peter Bogd­a­no­vich (75). Beide zeigen ihre neuen Filme im Haupt­wett­be­werb außer Konkur­renz. Bogd­a­no­vichs She’s Funny That Way wurde von den New Yorker In-Regis­seuren Noah Baumbach und Wes Anderson produ­ziert, die Haupt­rolle spielt Andersons Lieb­lings­star Owen Wilson. Der spielt einen reichen Berufs­sohn, der sich in ein Escort-Girl verliebt.
Eine weitere Geschichte aus dem wahren Leben verfilmte Barry Levinson mit keinem Gerin­geren als Al Pacino in der Haupt­rolle: The Humbling ist die Adaption des vorletzten Romans von Philip Roth: »Die Demü­ti­gung« handelt von einem alternden Schau­spieler, der plötzlich seine Fähig­keiten einbüßt, aber durch die Beziehung mit einer fast 30 Jahre Jüngeren einen dritten Frühling erlebt.

Ein brisantes Thema hat der einzige israe­li­sche Film im dies­jäh­rigen Programm: In Mita Tova (The Farewell Party) greifen Sharon Maymon und Tal Granit das so proble­ma­ti­sche wie facet­ten­reiche Thema »Freitod« und »Eutha­nasie« auf. Sie erzählen – durchaus mit einer beacht­li­chen Portion Humor und Heiter­keit – von einem Freun­des­kreis alter Leute, die in wohl­ha­benden bürger­li­chen Verhält­nissen in einem Alten­wohn­heim leben: Einer von ihnen hat in seiner Freizeit eine Maschine konstru­iert, die auf perfekte Weise einen sanften Tod ermög­licht. Zunächst freuen sich alle über die Sicher­heit den Tod frei wählen zu können. Doch als eine aus der Gruppe sich tatsäch­lich anschickt, reagiert nicht nur ihr Ehemann abweisend – eine philo­so­phi­sche Komödie, die am Ende vor allem das Leben, aber auch die Freiheit feiert.

Auch sie läuft an den ersten Tagen – ein Auftakt nach Maß bei diesem ältesten Film­fes­tival der Welt.