10.09.2008
65. Filmfestspiele von Venedig 2008

Opas Kino lebt wieder...

THE WRESTLER
Löwenmähne: Mickey Rourke in The Wrestler
(Foto: Studiocanal)

...zumindest in Venedig: Darren Aronofsky gewinnt mit The Wrestler den Goldenen Löwen

Von Rüdiger Suchsland

Diesmal gab es kein Happy End am Lido. Erst vor zwei Jahren hatten kluge Entschei­dungen der Jury unter Präsi­dentin Catherine Deneuve – besonders der Goldene Löwe für Still Life von Jia Zhang-ke – einen schwachen Wett­be­werb zum glück­li­chen Abschluss gebracht und damit unter anderem Festi­val­boss Marco Müller die Haut gerettet. Diesmal, nach dem schwächsten Wett­be­werb seit mindes­tens zehn Jahren, gelang Wim Wenders kein ähnlicher Coup – wohl auch weil dieser Regisseur selbst, wenn man ehrlich ist, in den letzten 20 Jahren nicht einen Film gedreht hat, der das Kino auch nur um Zenti­meter voran gebracht hätte.

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Mit überaus sicherer Hand hat die Jury um Wenders – nur im Fall der Argen­ti­nierin Lucretia Martel unter 50 Jahre alt – jene Filme ausge­zeichnet, aus denen Publikum und Profes­sio­nelle noch während den Vorstel­lungen in Venedig in Scharen geflohen sind. Die Preise in diesem Jahr gingen durchweg an ein altmo­di­sches Kino, ein Kino, dass ästhe­tisch schon nicht mehr gegen­wärtig ist, geschweige denn, dass es Zukunft hätte.

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In dem Fall, wo die prämierten Werke eindeutig der Vergan­gen­heit angehören, mag das noch Sinn machen – wer wollte die Auszeich­nung fürs Lebens­werk an Werner Schroeter kriti­sieren (zumal dessen neuer Film durchaus sehens­wert war), auch wenn sie viele schon seit Wochen auf einen Preis für Schroeter gewettet hatten – ist dieser doch ein alter Wenders-Kumpel aus den schönen 70er-Jahren, den gemein­samen goldenen Zeiten des »Neuen Deutschen Films«. Und diese Auszei­chung hat überdies noch den für Wenders hübschen Neben­ef­fekt, dass er sich durch sie elegant darum herum­drü­cken konnte, Christian Petzolds JERICHOW irgendwie zu prämieren, und damit einen unmit­tel­baren Konkur­renten um die künst­le­ri­sche Hoheit im deutschen Film.

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Weit schlimmer wiegen aber die Preise für Werke aus dem Niemands­land, wie die beiden für den äthio­pi­schen Film Teza von Halle Garima. Ein Film, den man am besten als typischen Ethno-Festi­val­filme und Arthouse-Main­stream bezeichnen kann. Teza ist eine besten­falls naiv erzählte Fabel über die äthio­pi­sche Geschichte aus Sicht der Oppo­si­tion. Moralisch ehrenwert, filmisch belanglos – käme der Film aus Deutsch­land oder Italien, spräche man von dilet­tan­ti­schem Bauern­theater. Aber aus einem filmisch unbe­schrie­benen Land wie Äthiopien kommend, mit Seiten­bli­cken auf Italiens Gasan­griffe und andere Verbre­chen unter Mussolini, gewinnt Teza an ober­fläch­li­cher poli­ti­scher Bedeutung. Filme dieser Art haben es bei Preis­ver­lei­hungen leicht, weil gegen sie niemand etwas sagen kann: Ihr Dilet­tan­tismus gilt als Ursprüng­lich­keit außer­eu­ropäi­scher Kultur, ihre Naivität als Unschuld edler Wilder – die Verach­tung, die eigent­lich in dieser Perspek­tive liegt, die auf jeden Anspruch verzichtet, solange ein Film nur aus dem »richtigen« Land kommt und die »richtigen« Themen »behandelt«, ist den meisten gar nicht erst bewußt.

Sie sind »wichtig«, weil es kaum Filme aus dieser Region gibt, weil sie Themen eine Stimme geben, die woanders keine haben. Dass diese Stimme außerhalb des Festivals nie gehört werden wird, weil die Filme weltweit kaum Verleiher finden und wieder nur auf Festivals in meist schlecht besuchten Vorstel­lungen laufen, dass sie auch auf DVD wenn überhaupt, dann schwer zu bekommen sein werden, inter­es­siert dann niemanden mehr. Und wie mager ihre künst­le­ri­sche Qualität ausfällt, merkt sowieso keiner, denn es sieht sie ja kaum jemand. Sie werden vergessen, und man kann nicht einmal sagen, zu Unrecht.

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Es ist ein Trep­pen­witz, der aller­dings viel über diese Jury verrät, dass der – deutsche – Produzent dieses Films noch während des Festivals erzählte, er wüsste schon »welche 40 Minuten aus dem Film noch heraus­ge­schnitten werden müssen«. Die Jury sah offenbar keine Probleme.

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Ähnlich auch die Auszeich­nung für Paper Soldier von Aleksey German Jr. Es ist bekannt, dass dieser Film sowohl von der Berlinale wie vom Festival in Cannes rund­heraus abgelehnt wurde – das muss nichts heißen, doch die Premiere dieses öden, dialog­las­tigen Kammer­spiels über die fehl­ge­schla­genen russi­schen Mond­land­lungs­ver­suche bestä­tigte alles, was manche schon vor dem Festival an der Einladung für diesen Film kriti­siert hatten. Dieses öde, dialog­las­tige, von Alther­ren­humor triefende Kammer­spiel über die fehl­ge­schla­genen russische Weltraum­ver­suche machte allen­falls anschau­lich nach­voll­ziehbar, warum es die Russen in den 60ern nicht auf den Mond geschafft haben.

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Der einzige noch halbwegs akzep­table Preis ist der Goldene Löwe für Darren Aronofsky und The Wrestler – übrigens die erste Auszeich­nung für einen ameri­ka­ni­schen Regisseur seit 1993 als Robert Altman mit Short Cuts gewann. Eigent­lich kein Goldener Löwe, nichts, was das Kino irgendwie berei­chert, geschweige denn voran bringt, sondern ein eher belang­loser, aber immerhin nicht lang­wei­liger Film – aller­dings das reine Nichts ohne seine – drei – excel­lenten Haupt­dar­steller. Ein Schau­spiel­preis für Mickey Rourke hätte für diesen hand­werk­lich soliden Film völlig genügt. Er lebt vom Charme der Nostalgie. Rourke spielt einen alternden Show­cat­cher, der seinen Job aus gesund­heit­li­chen Gründen an den Nagel hängen und sein Leben ändern muss. »Honi soit qui mal y pense« – viel­leicht konnte sich Wenders mit diesem Mann, der längst seine eigene Legende ist, iden­ti­fi­zieren. Jeden­falls beweist Wenders, der einst mit dem Slogan »Opas Kino ist tot« ange­treten war, spätes­tens mit dieser Entschei­dung, dass er selbst zur Groß­vä­ter­ge­ne­ra­tion gehört. So ändern sich die Zeiten.

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Die tradi­ti­ons­reiche Mostra, das älteste Film­fes­tival der Welt, betreibt mit einer solchen Auswahl von Filmen und Jury aller­dings ihre Selbst­an­schaf­fung. Schon in diesem Jahr fehlten viele Vertreter der Branche, und die italie­ni­sche Presse beschrieb – wenn auch gewiss oft von Lobby-Inter­essen motiviert – ziemlich präzis die Schwächen des Festivals unter Leiter Marco Müller: »Nie zuvor gab es so viel Unmut und Kritik.« schimpfte etwa der einfluß­reiche Paolo Mere­ghetti (u.a. »Corriere della Sera«, »Das Programm scheint unter Müller seinen Kompass verloren zu haben. Es fehlt ein tieferer Sinn des Festivals, eine ›raison d’etre‹. Weder bedient man den Markt, noch formu­liert man offen eine Alter­na­tiv­vi­sion. Von allen großen Festivals ist Venedig das sterilste, unfähig zu klarem Geschmack und Stil.« Genau dies, eine eigene, erkenn­bare Haltung, ist es aber, die neben rein ökono­mi­schen Zwängen, die hier aber auch nicht bedient werden, überhaupt die Daseins­be­rech­ti­gung eines Festivals ausmachen.)

Rüdiger Suchsland