Fassbinder – Lieben ohne zu fordern

Fassbinder: at elske uden at kræve

Dänemark 2015 · 109 min.
Regie: Christian Braad Thomsen
Drehbuch:
Musik: Peer Raben
Kamera: Bente Petersen
Schnitt: Grete Meoldrup
Schon zu Lebzeiten sein eigener Mythos: RWF
(Foto: Filmgalerie 451)

Seelenritt durch eine Nacht

Zum 75. Geburtstag von Rainer Werner Fassbinder: ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm eines Weggenossen

Eine ganze Nacht lang dauerte das Gespräch mit Rainer Werner Fass­binder, das der dänische Film­re­gis­seur Christian Braad Thomsen 1978 mit ihm in Cannes geführt hat. Fass­binder – Lieben ohne zu fordern hat Thomsen sein filmi­sches Nahpor­trait genannt, das er 2005, zum 70. Geburtstag von RWF reali­siert hat. Im selben Jahr erschien auch Anne­katrin Hendels Doku­men­tar­film Fass­binder. Der Unter­schied zwischen den Filmen ist gewaltig. Während Hendel – eigent­lich eine sehr gute Doku­men­tar­film­re­gis­seurin – artig die biogra­phi­schen Stationen Fass­bin­ders entlang der Frauen, die seinen Weg begleiten, nach­zeichnet und immer wieder auch Juliane Lorenz, Herr­scherin der Fass­binder-Foun­da­tion und nebenbei Auftrag­ge­berin des Films, vorteil­haft ins Bild rückt, reali­sierte Thomsen seinen seeli­schen Fass­binder-Tiefgang ganz und gar an der potenten Nach­lass­ver­wal­terin vorbei. Viel­leicht ein Grund, weshalb der Film bei uns nie ins Kino kommen konnte, obwohl er der bessere und erhel­len­dere, filmi­schere und authen­ti­schere Fass­binder-Film ist. Ein Film nicht über Fass­binder, sondern wie Fass­binder Filme wollte: ein Film mit. So schreibt es Fass­binder in seinem Text zu Douglas Sirk, in dem er den Meister der Melo­dramen zitiert: »Sirk hat gesagt, man kann nicht Filme über etwas machen, man kann nur Filme mit etwas machen, mit Menschen, mit Licht, mit Blumen, mit Spiegeln, mit Blut.« Nach­zu­lesen ist das Zitat in dem Buch »Filme befreien den Kopf«, das 1984, zwei Jahre nach Fass­bin­ders Tod, von Michael Töteberg heraus­ge­bracht wurde, der damals noch Lektor beim Verlag der Autoren war, den wiederum Fass­binder mitbe­gründet hat – das soll als kleines Fragment seiner Biogra­phie genügen für den bahn­bre­chenden und noch immer prägenden Regisseur des Neuen Deutschen Films.

Thomsens Lieben ohne zu fordern ist also ein Film mit Fass­binder, und mit der Rück­bin­dung an Sirk zeigt sich die Program­matik hinter dem scheinbar Banalen.

Thomsen konnte dies gelingen, er war ein enger Freund von Fass­binder und hatte ihn seit 1969, als er Fass­binder bei der Urauf­füh­rung seines ersten Films Liebe ist kälter als der Tod auf der Berlinale kennen­ge­lernt hatte – und Fass­binder scho­nungslos ausgebuht wurde – , immer wieder gefilmt. Wie das gemein­same Leben durch­ziehen diese Gespräche auch den Film, es geht um die Filmo­logie Fass­bin­ders, seine neue Film­sprache, die den Schnitt wieder als Schnitt sichtbar machte, lange Einstel­lungen wagte, das Schweigen ermö­g­lichte, bevor die Kamera dann plötzlich zum Schwenk ansetzt und einem das Herz stocken lässt. Es geht um die Kindheit, vor allem die Mutter, Lilo Pempeit, die immer wieder in seinen Filmen mitspielt, und zu der er ein einge­stan­denes ödipales Verhältnis hatte. Es geht um Sado­ma­so­chismus, um die Film­fa­milie, um das Kino Holly­woods.

Das Center­piece der vielen Gespräche, oft auf Tonband aufge­nommen und aus dem Off zu den Film­bil­dern und Foto­gra­fien gespielt, zieht sich wie ein roter Faden durch den Film, es ist das Gespräch von Cannes. Drei Jahr­zehnte hat Thomsen gewartet, bevor er es öffent­lich machte. Ein total erschöpfter Fass­binder sitzt dort in einem ausla­denden Fauteuil, in der einen Hand ein Glas, in der anderen eine Zigarette, in langen Stunden des Redens, des Schwei­gens, Nach­den­kens, des Trinkens und Rauchens. Immer wieder ist Fass­binder offen­herzig, fast nackt, ohne Nachsicht für die Welt, für sich selbst, analy­tisch und ehrlich. Sowie die Nacht immer tiefer wird, wird sein Reden auch tiefer, mehr und mehr innerlich. Gleich­zeitig zersetzt sich seine Physis unter dem starken Einfluss von Alkohol und Kokain, während immer wieder gedank­liche Licht­blitze diese dunkle Seelen­nacht durch­zu­cken.

Ein Film über den Wahnsinn, nennt Thomsen selbst seinen Film, denn Fass­binder hatte im Gespräch gesagt, dass es Möglich­keiten gäbe, den Wahnsinn zu überleben. Fass­binder starb an einer »Überdosis Arbeit«, so hat es Harry Baer einmal formu­liert. Baer war beim Anti­theater von Fass­binder und spielte von Anfang an in seinen Filmen mit. Auch bei Thomsen kommt er zu Wort, erinnert sich, während die 1993 verstor­bene Mutter direkt in der Zeit aufge­nommen wurde. Die Retro­spek­tive ist stark zurück­ge­drängt, anders als sonst, wenn man einen Doku­men­tar­film über jemanden macht, der tot ist und dann die noch lebenden Zeit­zeugen sich erinnern lässt.