Escape to the Silver Globe

Ucieczka na srebrny glob

Polen 2021 · 95 min.
Regie: Kuba Mikurda
Drehbuch:
Musik: Stefan Wesolowski
Kamera: Radek Ladczuk
Schnitt: Izabela Pajak, Laura Pawela
Polnischer Symbolismus à la Żuławski
(Foto: Kuba Mikurda / DOK.fest München)

Das (fast) verlorene Meisterwerk

Kuba Mikurda blickt in Escape to the Silver Globe hinter die Kulissen von Andrzej Zulawskis Der silberne Planet

Nein, Der silberne Planet ist nicht der polnische Krieg der Sterne. Auch wenn beide ungefähr zeit­gleich entstanden und obwohl es sich bei diesem wie jenem um ein ausuferndes Weltraum-Epos handelt. Für einen direkten Vergleich sind die Werke von Andrzej Żuławski und George Lucas einfach zu verschieden. Und ohne einem Star Wars-Fan zu nahe treten zu wollen, die Entste­hungs­ge­schichte von Der silberne Planet (inter­na­tio­naler Titel: On the Silver Globe) ist einfach viel inter­es­santer.

Dass Kuba Mikurda sie in Escape to the Silver Globe für die Leinwand fest­ge­halten hat, ist ein Glücks­fall für jeden Cineasten. Schon allein, weil man den eigen­sin­nigen Groß­meister Żuławski bei der Arbeit sehen kann. Schon in den ersten Minuten schaut man einem Getrie­benen zu, der hier mehr tut, als einen Film zu drehen. In der Entschlos­sen­heit seiner Züge und der harschen Strenge seiner Befehle ist gleich zu erkennen, dass dieser Mensch nicht nur Ideen auf die Leinwand bringen will, sondern auch den eigenen Schmerz, der im Herzen pocht. Und der spricht natürlich auch aus seiner Weltraum-Oper. Sie erzählt von der miss­glückten Besie­de­lung eines fremden Planeten durch ein Astro­nauten-Team, das den eigenen Nieder­gang auf Video festhält. Zumindest in der ersten Hälfte, ein Raum­fahrer schafft es dann doch noch, eine Zivi­li­sa­tion zu errichten – mit ihm als Messias.

Der silberne Planet ist ein expe­ri­men­telles, thea­tra­li­sches und absolut unver­gleich­bares Science Fiction-Spektakel über das Scheitern und den Wahn tota­li­tärer Systeme. Und bezeich­nen­der­weise ist das Scheitern untrennbar mit seiner Entste­hung verbunden. Im Grunde hätte dieser Film nie das Licht der Welt erblicken sollen. Die Kunst­frei­heit war im Polen der Siebziger alles andere als groß­ge­schrieben. Das kommu­nis­ti­sche Regime hält die Zügel der Macht in festem Griff, auch wenn es dem Volk an allen Ecken und Enden mangelt. Filme­ma­cher und andere Künstler sind gezwungen, am Strang der Regierung zu ziehen, ansonsten wird es schwierig mit der Karriere. In diesem Szenario taucht nun der junge Zulawski auf, von Anfang an ein Außen­seiter unter seinen Kollegen. Doch schon früh merkt man, hier hat man einen Mann vor sich, der große Bilder schaffen und seine Dämonen einzig­artig in Kunst bannen wird. Aber schon mit dem zweiten Film Diabel wird es schwierig, der wird nämlich kurzer­hand verboten. Nachdem er es im fran­zö­si­schen Exil mit Nacht­blende zu Weltruhm brachte, holte man ihn dann aber doch wieder heim und ließ ihm (vorerst) freie Hand.

Aus dieser Entschei­dung sollte nun Der silberne Planet entstehen, bezie­hungs­weise das, was heute von ihm übrig geblieben ist. Verglei­chen kann man ihn mit nichts, was zu dieser Zeit entstand, nicht in Polen, nicht im Rest der Welt. Die Kostüme, die Kulissen, im Grunde das ganze Geschehen vor der Kamera, das alles haut einen heute noch vom Hocker. Den Betei­ligten ist dieser Film dann doch in erster Linie als Martyrium in Erin­ne­rung. Ob das nun an den unbe­quemen Kostümen, am Rauch­verbot beim Dreh unter Tage oder an der Unzu­frie­den­heit Żuławskis lag, jeder hatte hier sein Päckchen zu tragen. Zwar erzählt Kuba Mikurda seinen Film in recht konven­tio­neller Film-Doku-Weise, doch schafft er es, die Inten­sität seines Themas gelungen zu trans­por­tieren. Deutlich zeigt er die Verket­tungen zwischen Żuławskis Innenwelt, den Dreh­be­din­gungen und der poli­ti­schen Situation des Landes. So ist Escape to the Silver Globe auch mehr als ein Film über einen Film, sondern ein Einblick in künst­le­ri­sche Hingabe ohne Rücksicht auf Verluste.

Zweitere wurde ja dann plötzlich von oben gestoppt. Mit dem Verbot der Dreh­ar­beiten fand der polnische Staat eine will­kom­mene Propa­ganda-Geste, um den Film­schaf­fenden zu signa­li­sieren, dass ihr Hebel auf jeden Fall der kürzere ist. Dass Der silberne Planet acht Jahre später dann doch als frag­men­ta­ri­sches Werk das Licht der Welt erblicken durfte, ist ein großes Geschenk für alle Film­be­geis­terten. Genauso wie dieser Doku­men­tar­film, der nicht nur eine wunder­bare Ergänzung, sondern auch eine Liebes­er­klä­rung an die künst­le­ri­sche Freiheit ist – und an das eigen­wil­lige Kunstkino allgemein.