24.07.2008

»Modern sein!«

Juliette Binoche
Juliette Binoche

Spätestens die „Nouvelle Vague“ hat Paris zur heimlichen Hauptstadt des Kinos gemacht. Cédric Klapisch beschwört sie in seinen Filmen auf seine Weise, auch in seinem neuen Film So ist Paris

Das Gespräch führte Rüdiger Suchsland

artechock: Wie verhält sich ihr Film zu anderen Paris-Filmen?

Cédric Klapisch: Paris ist ein unend­li­ches Thema für das fran­zö­si­sche Kino. Fast alle Filme von Rohmer handeln irgendwie auch von Paris, es gibt diesen wunder­baren Film Paris, vu par..., zu dem sich Godard, Chabrol und mehrere andere Regis­seure zusam­men­getan haben. Jeder entwi­ckelt natürlich sein eigenes Paris-Bild. Neuere Filme, wie Paris, je t'aime habe ich mir offen gesagt gar nicht angesehen. Denn der ist ja fast nur von Fremden gemacht worden, hat also irgendwie doch einen touris­ti­schen Blick. Mein Film ist dagegen ein Paris-Film, der wirklich auch von einem Pariser stammt.

artechock: Paris wirkt in dem Film fast wie ein eigener Darsteller... Welcher Aspekt von Paris hat Sie persön­lich besonders inter­es­siert?

Klapisch: Keiner, sondern die Verschie­den­heit. Paris hat kein wirk­li­ches Zentrum. Jedes Quartier hat einen eigenen Charakter, und es gibt Viertel, die sich überhaupt nicht ähneln: Les Halles, Notre Dame, Saint Germain – alle diese Quartiers haben gar nichts mitein­ander gemein und entwi­ckeln ihre eigene Dynamik ihre eigenen Zentren.
Das ist das, was ich inter­es­sant finde: Nicht eine Identität, sondern verschie­dene Iden­ti­täten. Für mich ist in diesem Sinn Paris ein Bild der modernen Welt. Und das ist das Thema meines Films: Der Kontrast zwischen den vielen Iden­ti­täten. Eine Welt im Kleinen.

artechock: Eine ihrer Haupt­fi­guren ist Architekt, und über sie erzählen sie vom alten, verschwun­denen Paris ebenso wie vom Paris der Zukunft, von utopi­schen Neubauten und neuen Lebens­sze­na­rien. Können Sie – als jemand der in Paris aufwuchs und heute lebt – sagen, wie sich die Stadt gegen­wärtig verändert?

Klapisch: Es stimmt, die Stadt verändert sich stark. Was man derzeit in Paris, wie überhaupt in Frank­reich erst zu verstehen beginnt: Wir haben das Recht, modern zu sein. Das heißt: Wir haben das Problem aller Länder mit histo­ri­schem Archi­tek­tur­erbe. In den Sech­zi­gern gab es viele Anstren­gungen zur Bewahrung alter Bauten. Die Moder­nität erscheint seitdem vielen als ein Feind. Einzige Ausnahme war das Centre Pompidou. Das war einmal etwas wirklich modernes, es hat alle scho­ckiert, aber heute liebt man es. Das zeigt: Moder­nität ist keine Sünde. Heute muss man in einer Stadt wie Paris lernen, wieder modern zu sein – ohne die Geschichte völlig zu vergessen. Das geht im Prinzip ganz Europa ähnlich.
Ich war schon öfters in China und Japan. Es ist faszi­nie­rend, wie stark man in China auf die Zukunft hin denkt. Japan ist mir noch näher, denn dort gelingt es, absolut modern zu sein, aber sehr alte Tradi­tionen in diese Moder­nität zu inte­grieren. Nicht viele Länder in der Welt haben ein ähnliches Konzept.

artechock: Lieben wir nicht Paris, weil es uns an ein Europa erinnert, dass es so nicht mehr gibt, weil es auch angenehm altmo­disch ist?

Klapisch: Das Paris des 19. und 20. Jahr­hun­derts war eine Haupt­stadt der Mode... Die Idee des Wandels hat sich in diese Stadt einge­schrieben, in jeder Hinsicht. den Alltag neu zu erfinden war hier Teil des Alltags. Das gilt nicht nur für Kleidung, sondern auch für anderes: Kunst, Archi­tektur, Gastro­nomie – »Heute habe ich Lust auf dies, gestern hatte ich Lust auf anderes.« Am Ende profi­tiert man dauerhaft von solcher Bejahung des Augen­blicks.

artechock: Fühlen Sie sich denn auch als Filme­ma­cher in Ihren Filmen nicht irgend­einer Tradition verpflichtet?

Klapisch: Es ist schwer zu sagen. Ich mache sehr sehr unter­schied­liche Filme. Ich glaube, kein anderer Franzose außer Luc Besson macht so verschie­dene Sachen. Das ist viel­leicht das Besondere: Zunächst handelten meine Filme zumeist von etwas Kuriosem und Lustigem. Dann wurde es anders. Ich habe einen Krimi gemacht, einen Film über Jugend...
In Frank­reich werde ich oft dafür kriti­siert, dass ich das fran­zö­si­sche Kino in Stil und Sujets ameri­ka­ni­sieren würde. Und es stimmt schon: Die Idee der Moder­nität im Kino ist in Frank­reich stark mit der »Nouvelle Vague« verbunden. Wer modernes Kino macht, macht »Nouvelle Vague«. Und ok: Ich denke, die »Nouvelle Vague« hat das Kino einst ganz bestimmt revo­lu­tio­niert, aber heute ist die »Nouvelle Vague« selbst alt. Man kann diese Art Kino nicht mehr machen! man kann sich nicht immer nur darauf beziehen.

artechock: Warum nicht? Nur weil die Zeit weiter geht, oder weil sich das Kino verändert?

Klapisch: Beides natürlich. Wenn sich die Welt verändert, verändert sich auch das Kino. Gutes Kino reflek­tiert die Zeit und die Welt. Es gibt ein Kino der Nach­kriegs­zeit, so wie eines der Vorkriegs­zeit, und beide sind ganz einzig­artig in Themen, Charak­teren, Gesich­tern. Es stimmt, dass die Sechziger bestimmte Ideen gebraucht hatten. Es ging damals um Sicher­heiten. Heute leben wir in einer Welt, in der vieles leichter, einfache und simpler ist – auch wenn wieder das ein Problem sein mag.
Aber die Leute heute verstehen die Sprache der Sechziger nicht mehr richtig, ihnen ist das zu hirn­lastig und intel­lek­tuell, das ist nicht mehr ihre Realität.

artechock: Viel­leicht hat ja auch einfach jedes Kino seine Zeit. So wie Frank­reich in den Sech­zi­gern, ist es viel­leicht heute etwas anderes?

Klapisch: Klar. Das japa­ni­sche Kino war in den 80ern toll. Heute ist es China. Für mich ist Fellini immer sehr wichtig gewesen – ich bete seine Filme regel­recht an, sein Talent, das Tragische und das Komische zu verknüpfen. Natürlich ist für So ist Paris auch der beein­dru­ckende Stil Robert Altmans sehr wichtig gewesen – aber das traut man sich ja kaum zu sagen. Jeder will Short Cuts machen. Damit hat Altman so viele Gegen­warts­re­gis­seure beein­flußt: Paul Thomas Anderson, Spike Lee, Tarantino, Innaritu.

artechock: Von Altman stammt auch ihr »Sampeln« der Figuren...

Klapisch: Ja, es ist kein Zufall, dass es im modernen Kino keinen klas­si­schen Helden mehr gibt. Diese Figuren spalten sich auf in mehrere Charak­tere, die Welt ist zu multiple, als das sie noch in einer Person zu fassen wäre.
Und alle unsere Alltags­ob­jekte – Mobil­te­lefon, Internet – dienen nur dazu, ganz verschie­dene Dinge gleich­zeitig machen zu können. Viel mehr als früher. Analog dazu erlebt das Kino eine Evolution. Es kann nicht mehr dasselbe sein, wie früher. Unsere Wahr­neh­mung der Welt hat sich verändert, sie ist viel plane­ta­ri­scher geworden. und unsere Dreh­bücher verändern sich natürlich auch, weil wir sie am Computer schreiben. Sie werden weniger linear, man »sampelt« Textteile, stellt um.