27.04.2000

»Ich kann mich ja schwer schützen...«

Hannelore Elsner in DIE UNBERÜHRBARE
Hannelore Elsner in Die Unberührbare

Interview mit Hannelore Elsner

In Oskar Roehlers neuestem Film Die Unberühr­bare erlebt Hannelore Elsner, Filmstar in den 60er und 70er Jahren, ein gran­dioses Kino-Comeback. Der Film wird bei den bevor­ste­henden Film­fest­spielen in Cannes laufen, und ist – wie auch Hannelore Elsner persön­lich – für den dies­jäh­rigen Bundes­film­preis nominiert. Über ihre Rolle, über deren histo­ri­sches Vorbild, die Schrift­stel­lerin Gisela Elsner und über das Schicksal weib­li­cher Künstler in Deutsch­land sprach Rüdiger Suchsland mit der Schau­spie­lerin.

artechock: Die Unberühr­bare spielt zur Zeit des Mauer­falls. Im Film scheint das wie eine Ewigkeit zurück­zu­liegen...

Hannelore Elsner: Da muss ich ja sowieso immer lachen, dass manche jungen Leute gesagt haben, das sei ein histo­ri­scher Film – gerade zehn Jahre.

artechock: Wie haben Sie den Mauerfall denn erlebt?

Elsner: Ich war in Berlin damals, saß im Hotel, und habe mir das mit Katarina Thalbach im Fernsehen ange­schaut. Mich hat das nicht so wütend gemacht, wie sie, aber ich war sehr irritiert.

artechock: Kannten Sie die Autorin Gisela Elsner?

Elsner: Ich habe natürlich früher schon einzelne Bücher von ihr gelesen. Jetzt habe ich noch mal das Buch „Abseits“ gelesen, das wirklich wunderbar ist. Darin beschreibt sie ihre Lebens­krise: Sie hat einen Mann und ein Kind, und alles scheint optimal zu sein – trotzdem ist sie unglück­lich, nimmt Tabletten, unter­nimmt Selbst­mord­ver­suche.

Persön­lich kannte ich sie nicht, aber das finde ich auch nicht wichtig. Die Unberühr­bare ist ja keine Doku­men­ta­tion. Das ist ja nicht wirklich ihre Geschichte, es ist nur angelehnt an ihr Leben. Ohne die reale Gisela Elsner hätte Oskar Roehler sicher viele Ideen nicht gehabt. Er hat sicher auch persön­lich einiges aufge­ar­beitet. Manche Ereig­nisse hat er nach­ge­stellt. Aber zugleich hat er die reale Gisela Elsner sehr diskret behandelt.

artechock: Wie war ihr Verhältnis zu Oskar Roehler? Sie spielen schließ­lich nicht irgend­je­manden, sondern seine Mutter.

Elsner: Ich habe mich nie als Mutter von Oskar Roehler gefühlt. Er ist ein sehr diszi­pli­nierter Arbeiter, der sicher Privates und Beruf­li­ches gut trennen konnte. Natürlich ist er manchmal unwill­kür­lich erschro­cken, wenn ich plötzlich ins Zimmer kam, und er meinte, seine Mutter wäre es. Die Zusam­men­ar­beit war etwas ganz Beson­deres, aber nie schwierig.

artechock: Der Film zeigt auch die welt­an­schau­li­chen Inkon­se­quenzen dieser Autorin. Einer­seits bekennt sie sich zum Kommu­nismus, ande­rer­seits trägt sie teure Klamotten, trinkt Cham­pa­gner und läßt sich mit dem Taxi zum Super­markt chauf­fieren...

Elsner: Natürlich hatte es etwas Absurdes, wenn sie in der DDR Lesungen im Nerz­mantel gegeben hat. Trotzdem gefällt mir diese Inkon­se­quenz eigent­lich sehr gut. Sie hat ja auch 'mal darüber geschrieben, warum alle eigent­lich so ackern müssen, um gut zu essen und eine gute Wohnung zu haben. Das ist doch ein Grund­be­dürfnis der Menschen. Dass das wenigen vorbe­halten bleibt, sah sie überhaupt nicht ein.

artechock: Darauf können wir uns einigen. Wahrer Kommu­nismus heißt: Jeder soll Kaviar essen...

Elsner: Ja, ganz genau. Das finde ich auch. [Langes Lachen]

artechock: Umgekehrt erfährt man auch viel von den Leiden, den privaten Depres­sionen hinter der öffent­li­chen Figur der Gisela Elsner...

Elsner: Ich finde die Figur gar nicht so depressiv. Das ist eine ganz starke Frau. Ich finde, dass sie einen unend­li­chen Mut hat, wie sie den Blicken der anderen standhält, vor allem aber wie sie umgekehrt die Blicke der Menschen sucht und sie anschaut. Das ist schon sehr heftig. Ich kann das gut nach­emp­finden. Ich habe auch manchmal diesen Blick, der tief hinein in die Seele, durch alles hindurch geht. Wenn man immer so auf die Menschen schauen würde, dann wäre das zu... – verlet­zend. Dann könnte man’s gar nicht ertragen. Und sie hat’s eben auch nicht ertragen. Aber ich finde sie gar nicht depressiv – im Gegenteil: Ich finde sie unglaub­lich klar. Und mutig auch, darin, den poli­ti­schen und künst­le­ri­schen Stand­punkt zu vertreten, den sie vertreten hat. Das hat natürlich auch etwas Kind­li­ches in seiner Entschie­den­heit. Jemand hat einmal gesagt, sie sei wie eine Prin­zessin. Aber ich finde sie sehr konse­quent und sehr stark.

artechock: Gisela Elsners auffäl­lige äußere Erschei­nung – die schwere Perücke, die das Gesicht zum Teil verhängt, das dicke Make-Up – das scheint ja auch ein Versuch gewesen zu sein, sich zu schützen. Können Sie das nach­emp­finden?

Elsner: Ich kann mich ja schwer schützen. Man kann sich als Schau­spie­lerin kaum schützen. Ich werde überall erkannt und beurteilt. Bei Gisela Elsner ging es glaube ich um etwas anderes: Sie wollte sich nicht nur schützen, sie wollte sich auch redu­zieren. Sie hat sich ja eigent­lich wie eine Kriegerin bemalt und ausge­stattet, um hinter dieser Maske auch den Leuten zuzu­schauen. Damit sie nicht erkannt wird, aber die anderen erkennt und deren Masken enttarnt. Ein richtiger Schutz war es ja nun auch nicht, dazu war die Ausstaf­fie­rung zu auffällig.

artechock: Im letzten halben Jahr sind Sie nun selbst auch bei eigenen öffent­li­chen Auftritten in die Rolle der Gisela Elsner geschlüpft. Sie waren mit dieser Perücke und dem Make-Up auf Film­bällen und bei anderen Terminen zu sehen. Kam das daher, dass sie Ihre Rolle so intensiv erlebt haben, eine Art method-acting, oder war das einfach gutes Marketing?

Elsner: Mir hat dieser Aufzug zunächst einmal wirklich Freude gemacht. Ein bißchen Marketing wollte ich natürlich gern machen, denn von dem Film bin ich sehr überzeugt. Für diesen Film würde ich sogar mit Trans­pa­renten auf der Straße herum­laufen. Aber ich habe natürlich auch nach Wegen gesucht, um mich dieser Rolle ganz anzu­n­ähern. Das ist mir glaube ich gut gelungen. Im Gegensatz zu vielen, die in dieser Frau nur das Heikle oder Böse gesehen haben, nehme ich auch Zartheit wahr, Verletz­bar­keit, die Klarheit, mit der sie die Menschen erkannt hat, auch seziert hat. Das mag ich sehr an ihr; diesen Mut, diese Konse­quenz.

artechock: Aufge­schlos­sen­heit, Mut und Konse­quenz braucht auch jede Schau­spie­lerin. Fühlen Sie eine Seelen-Verwand­schaft zu Gisela Elsner?

Elsner: So mutig bin ich nicht. Ich könnte mir nicht vorstellen, so konse­quent und so allein zu sein – man ist ja dann wirklich allein, wenn man so sehr das Wahre entdecken will und eigent­lich immer nur auf Ablehnung stößt, immer wieder enttäuscht wird. Das braucht eine unglaub­liche Kraft. Natürlich hätte sie auch manchmal umschwenken können, und sich den paar Menschen zuwenden können, die sie auch verstanden hätten. Aber in ihrer Sucht, immer wieder das Ungenaue, das Unwahre auch, aufzu­de­cken, rannte sie immer gegen Mauern. Von Geis­tes­ver­wandt­schaft oder Seelen­ver­wandt­schaft möchte ich daher nicht sprechen. Aber ich verstehe Gisela Elsner einfach sehr gut. Manches was ihr im Film passiert, kennt man als Frau: eine unglaub­liche Anflirterei von den Männern, und wenn man der nicht nachgibt, schlägt es plötzlich um, man wird beschimpft als Zicke oder Schlim­meres.

artechock: Zunächst war Gisela Elsner ein Jungstar der Literatur. Später ließ ihr Erfolg beträcht­lich nach. Können Sie sich auch als Künst­lerin in deren Lage versetzen?

Elsner: Der Unter­schied ist viel­leicht der, dass Gisela Elsner ihr Leben lang ein Thema verfolgte: Dass man hier in Deutsch­land eigent­lich nicht leben kann. Und dass sie sich vor allem mit Menschen beschäf­tigt, die sie eigent­lich nicht ausstehen konnte, die sie gehaßt hat.

artechock: Für Sie persön­lich bedeutet diese Rolle ein Kino-Comeback...

Elsner: Ja, ich habe lange Zeit kein Kino gemacht. Ich habe zwar viel gear­beitet, aber nur fürs Fernsehen, habe Fern­seh­spiele gemacht und ähnliches.

artechock: Warum haben Sie alle Film-Angebote abgelehnt?

Elsner: Welche Angebote? Fürs Kino kam da gar nichts. Das ist sehr schade, aber so war es. Denn ich liebe Kino.

artechock: Gibt es neben den ganzen jungen Schau­spie­le­rinnen für Ihre Gene­ra­tion keine Film­rollen mehr? Manche Holl­wood­stars, die über 40 sind, klagen darüber.

Elsner: Das weiß ich nicht, die Gründe kann ich auch nicht nach­voll­ziehen. Jeden­falls kamen einfach die Angebote nicht. Im Prinzip sind Liebes­ge­schichten natürlich keine Frage des Alters.

artechock: War es für sie proble­ma­tisch, die Nackt­szenen zu spielen?

Elsner: Ich verstehe die Frage nicht. Inwiefern soll das für mich ein Problem sein?

artechock: Sie könnten sich schutzlos und preis­ge­geben fühlen?

Elsner: Nein, so ging es mir gar nicht. Die Intimität des Teams war ein großer Schutz. Und offen gesagt: ich fühle mich sehr viel mehr preis­ge­geben, wenn sich Groß­auf­nahmen auf mein Gesicht richten.

artechock: Nun haben Sie mit Ihrem Comeback Erfolg: Der Film ist mehrfach für den Bundes­film­preis nominiert, und zum Festival nach Cannes einge­laden worden...

Elsner: Ist das nicht toll? Das ist doch fantas­tisch. Nun ist Die Unberühr­bare sicher ein außer­ge­wöhn­li­ches Werk geworden. Mein Part ist eine Traum­rolle für jede Schau­spie­lerin – und meine beste Arbeit bis jetzt. Das sage ich nicht so leicht­fertig dahin. Hier stimmte einfach alles. Der Film ist richtig gut.