08.04.2004

»Bevor mein Vater starb, hätte ich nie daran gedacht,so einen Film zu machen«

Ewan McGregor und Tim Burton beim Dreh zu BIG FISH
Ewan McGregor und Tim Burton
beim Dreh zu Big Fish

Tim Burton über Big Fish

Mit dem Regisseur von Beet­le­juice, Ed Wood und Sleepy Hollow, Tim Burton, sprach Rüdiger Suchsland.

artechock: Man weiß, dass Sie Horror­filme mögen, Sie haben zweimal Batman gedreht. Sollte es diesmal etwas „Posi­ti­veres“ sein? Ohne Schrecken und Gewalt?

Tim Burton: Oh nein, damit hat das gar nichts zu tun. Ich glaube nicht an die angeb­li­chen negativen Folgen von Gewalt im Film. Ich bin dafür das beste Beispiel: Ich habe Sachen im Fernsehen gesehen, die man dort heute gar nicht mehr zeigen würde. Es ist übrigens bekannt, dass die meisten Massen­mörder sehr streng und repressiv erzogen wurden, übrigens auch sehr religiös... Je mehr man Kinder unter­drückt, um so mehr realer Horror ereignet sich. Ich sehe Gewalt­filme als ein sehr gesundes Ventil für Phan­ta­sien.

artechock: Ist Phantasie für Sie, wie für Ihre Haupt­figur Edward Bloom, eine Möglich­keit, einer öden Wirk­lich­keit zu entfliehen?

Burton: Phantasie kann vieles bewirken. Mytho­lo­gien und Fabeln haben mich immer faszi­niert. Mir selbst scheinen sie sehr wirklich. Manchmal sind Fantasie-Geschichten emotional wahr. Sie rühren an das Unter­be­wusste. Sie können einen natürlich auch umgekehrt von der Wirk­lich­keit fern­halten. Nehmen Sie den Zauberer von Oz – da steckt ein Stoff für Kinder drin, wie für Erwach­sene.

artechock: Big Fish handelt von einer Vater-Sohn-Beziehung. Ihr eigener Vater ist kürzlich gestorben. War das der Auslöser für diesen Film?

Burton: Ja, tatsäch­lich ist dies für mich eine Ausein­an­der­set­zung mit meinem eigenen Vater. Sein Tod war ein Schock für mich – wie es das wahr­schein­lich für jeden ist. Bevor mein Vater starb, hätte ich nie daran gedacht, so einen Film zu machen. Aber es gibt darin auch hier wieder die üblichen Themen aller meiner Filme: Was ist real, was nicht? Das Verhältnis von Phantasie und Wirk­lich­keit.

artechock: Big Fish erscheint im Vergleich zu den meisten Ihrer Filme als ein „helleres“ Werk. Eröffnet uns dies einen neuen Tim Burton, der das Dunkle meidet, oder ist dies nur ein Ausrut­scher?

Burton: Definitiv ein Ausrut­scher. Die Hellig­keit lag im Material. Ich habe ein paar Dinge auspro­biert, die ich vorher noch nicht gemacht habe.

artechock: Was muss ein Stoff haben, um Sie zu faszi­nieren und Material für einen burto­nesken Film zu bieten?

Burton: Ich versuche, gerade darüber nicht nach­zu­denken. Ich plane nicht sehr weit im voraus. Man arbeitet ein ganzes Jahr an einem Film – was weiß ich, wie ich mich in einem Jahr fühle? Letztlich suche ich in dem Moment nach einem neuen Stoff, in dem ich mit einem Film fertig bin. Ich will, dass der nächste Film emotional passt. Sehr wichtig ist auch, ob ein Film auf die kultu­relle Situation passt.

artechock: Inwiefern passt Big Fish denn auf die gegen­wär­tige Lage in den USA?

Burton: Typisch ameri­ka­nisch ist der Film, indem er Figuren vorstellt, die einen merk­wür­digen, naiven Idea­lismus besitzen, durch seinen verdrehten Opti­mismus. Der hängt offenbar eng mit einer Vorliebe für Legenden zusammen, für das Zurecht­dichten von Wirk­lich­keit.
Phan­ta­sien und Legenden spielen auch in der Politik eine große Rolle. Die Grenzen Wahrheit und Realität verwi­schen sich dort heute völlig. Wenn man manchen Poli­ti­kern zuhört, sind sie durch und durch verlogen. Umgekehrt sind manche Märchen – von denen wir wissen, dass sie erfunden sind – sehr wahr­haftig.
Und es wird immer schlimmer. Sehen Sie sich die Nach­richten im Fernsehen an: Sie haben „Themen­musik“, werden präsen­tiert wie Soap-Operas oder Dramen – für mich ist das überaus erschre­ckend.

artechock: Sind Sie darum selbst aus Amerika wegge­zogen und nach England über­ge­sie­delt?

Burton: Es spielte eine Rolle. Ich fühle mich dort wohler. Aus ganz banalen Gründen: Wenn Sie in Los Angeles zu Fuß gehen, werden Sie an jeder Ecke von der Polizei ange­halten. Sie wirken verdächtig. In England können Sie spazieren gehen. Ich liebe das. Außerdem ging mir die Wärme auf die Nerven. Das Wetter in Los Angeles war einfach zu gut.
Und Amerika ist zu konfor­mis­tisch. Indi­vi­dua­lismus wird in England mehr geschätzt. Ich bin in den Vors­tädten aufge­wachsen. Man fühlt sich dort immer beob­achtet. In England ist das alles anders und besser.

artechock: Sie mache Filme für das große Publikum. Wenn Sie völlig unab­hängig entscheiden könnten: Möchten Sie manchmal gerne inhalt­lich und formal weiter gehen, radi­ka­lere Filme machen?

Burton: Ich weiß es nicht. Ich fühle mich als Person ziemlich normal, nicht irgendwie 'schräg'. Natürlich fühlt man sich manchmal beschränkt durch den Druck des Budgets, durch die Studios, die mitreden wollen.

artechock: Würden Sie sagen, Sie sind frei in Ihren Entschei­dungen?

Burton: Ja. Hier ganz besonders. Big Fish war die erste positive Studio­er­fah­rung, die ich gemacht habe. Dabei ist das kein einfacher Film: Die Geschichte lässt sich nicht in drei Sätzen erklären, es gibt keinen großen Star. Das gibt mir Hoffnung, dass man gele­gent­lich etwas machen kann, was kein sicherer Hit ist.