23.07.2020

»Die Frauen lieben die Männer, aber mehr als Deko­ra­tion«

Uisenma Borchu
Uisenma Borchu in Schwarze Milch
(Foto: Alpenrepublik / Sven Zellner)

Uisenma Borchu im Interview über ihren neuen Film Schwarze Milch: die Symbolkraft der Hexengeschichten, die Rauheit der Wüste Gobi und warum sie keine Landschaftsaufnahmen mag

Das Gespräch führte Dunja Bialas

Vor vier Jahren debü­tierte Uisenma Borchu mit Schau mich nicht so an und über­raschte die Kritik und die Zuschauer mit einer frech-eman­zi­pa­to­ri­schen Figur, die ihre Sexua­lität offensiv, tabulos und in provo­zie­render Weise einsetzt. Ihr Sparring-Partner war damals Josef Bier­bichler, den Borchu locker zu zähmen wusste. Nach dem Baye­ri­schen Filmpreis, den sie mit einer flam­menden Rede gegen Rassismus verband, und dem Preis der Fipresci auf dem Filmfest München insze­nierte Borchu das Stück »Nachts, als die Sonne für mich schien« in den Münchner Kammer­spielen. Jetzt kehrt sie mit ihrem zweiten Film in die Kinos zurück.

Schwarze Milch erzählt von zwei mongo­li­schen Schwes­tern, die in unter­schied­li­chen Hemi­sphären aufwuchsen. Die eine ging nach Deutsch­land, in »ein starkes Land«, wie es einmal im Film heißt, die andere wuchs bei den Nomaden auf. Im Film besucht die westliche Schwester die östliche und erlebt eine Welt, die ihr unfe­mi­nis­tisch und in den Tradi­tionen gefangen vorkommt. Sie beginnt, ein wenig Unruhe zu stiften.

Auch diesmal spielt Uisenma Borchu die rebel­li­sche Figur der west­li­chen Schwester. 1984 in der mongo­li­schen Haupt­stadt Ulaan­baatar geboren, verließ sie mit ihren Eltern die damalige sozia­lis­ti­sche Volks­re­pu­blik und wuchs in einer DDR-Plat­ten­bau­woh­nung auf. Heute lebt sie in München. Ihre Herkunft als „Ossi“ hört man im Interview nur, wenn sie „ebend“ sagt, mit „d“. Ihre Figur heißt im Film hingegen „Wessi“: Für die Mongolen ist sie eine aus dem Westen. Borchu hat an der Hoch­schule für Fernsehen und Film in München studiert. Schwarze Milch ist ihr zweiter Film.

artechock: Dein neuer Film Schwarze Milch hat unter­schied­liche Ebenen. Die fiktio­nale der Geschichte, die doku­men­ta­ri­sche mit den Ziegen, Schafen und dem Alltag in der Jurten-Siedlung. Außerdem tauchst du selbst als Figur auf, gibst dem Ganzen einen auto­bio­gra­phi­schen Touch. Worin genau siehst du diese auto­bio­gra­phi­sche Ebene?

Uisenma Borchu: Schwarze Milch ist entstanden, weil ich „Arroganz“ als Thema ganz stark empfunden habe. Seitdem ich in Deutsch­land lebe, habe ich eine Arroganz beob­achten können, immer, wenn sich Menschen aus unter­schied­li­chen Kulturen begegnen. Die eigene Welt und Sprache werden dann der anderen über­ge­stülpt. Daraus entstehen viele Konflikte, und das wollte ich unbedingt bei diesen zwei Schwes­tern erzählen. Auch ich bringe diese Arroganz sicher­lich mit, selbst wenn ich mich wieder in »der Gobi« befinde. Klar kann man über die Rassisten hier in Deutsch­land meckern, aber wenn du selbst in so einer Situation des Kultu­ren­zu­sam­men­pralls steckst, musst du dich fragen: Inwiefern bin ich selbst ein Rassist geworden? So muss ich erst einmal einer Noma­den­frau erklären, was eine eman­zi­pierte Frau ist. Das ist eine Ignoranz gegenüber dem Leben des Gegenüber, die bei der Arroganz immer mitschwingt. Wichtig ist, sich selbst immer wieder in Frage zu stellen. Damit bin ich groß geworden, weil ich mich, zerrissen zwischen zwei Ländern, nie richtig einordnen konnte.

artechock: Ist die Eman­zi­pa­tion überhaupt etwas, was bei den Nomaden eine Rolle spielen könnte?

Borchu: Die Wessi stellt die Ossi in Frage und sagt zu ihr: Was wartest du hier auf deinen Mann? Auch ich habe das gefragt, als Regis­seurin. Und dann guckt mich die Nomadin an und sagt: Was für einen Druck hast du denn? Was ist denn das eigent­lich, die Zeit? Die Frau von heute leidet unter einem Zeitdruck, das kennt eine Noma­den­frau nicht. Die Noma­den­frau dagegen muss in der rauen Welt bestehen, überleben. Mit Wind und Wetter. Da ist sie ganz auf sich gestellt und muss eine sehr starke Frau sein. Meine Großmütter und Urgroßmütter waren starke Indi­vi­duen, die nach der Tradition gelebt haben und trotzdem eman­zi­piert waren. Heute kommt einem das nicht als Eman­zi­pa­tion vor. Aber was sie eman­zi­piert hat, war, dass sie sich ihre eigenen Gedanken gemacht haben und ihre Gedanken auch umgesetzt haben. Deshalb ist für mich die Mongolei immer ein Mutter­land gewesen, weil dort die Frauen die größere Rolle gespielt haben.

artechock: Weil sie immer da waren, anders als die Männer, die immer unterwegs waren?

Borchu: Die mongo­li­schen Frauen lieben die Männer, aber mehr als Deko­ra­tion. Die starken, wirklich wichtigen Entschei­dungen kamen immer von den Frauen. Terbisch, eine Figur in Schwarze Milch, ist für mich ein Symbol für diesen typischen Noma­den­mann. Er redet nicht viel, er lässt die Leute, wie sie sind.

artechock: Terbisch ist eine äußerst spannende Figur. Terbisch Demberel, der ihn spielt, ist ein Laie, ein »authen­ti­scher« Nomade. Wie hast du ihn gefunden, und inwiefern hast du dich von ihm inspi­rieren lassen?

Borchu: Ich habe Terbisch 2016, zwei Jahre vor dem Dreh, kennen­ge­lernt. Er ist tatsäch­lich ein Einsiedler, ein Außen­seiter, der alleine für sich lebt. Ab und zu hat er Frauen, und von den anderen Nomaden wird er als komisch klas­si­fi­ziert. Ein schwarz­ge­brannter Nomade, der keinen Halt hat und sogar noch nach Gold sucht. Für mich war er von Anfang an ein Künstler. Er ist auch noch sehr fotogen, nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. Für mich war klar, dass er in meinem Film vorkommen wird.

artechock: Mit deinen Laien­dar­stel­lern kreierst du eine ganz besondere Atmo­sphäre. Wie waren die Dreh­ar­beiten?

Borchu: Unser Team war ganz klein, nur drei Mann. Das konnte gut funk­tio­nieren, ohne dass meine Darsteller in eine Schamwelt hinein­kommen und sich denken »oh Gott, ein Filmteam!« Es war sehr intim. Es war auch wichtig, ein festes Drehbuch zu haben, denn auto­ma­tisch wird viel impro­vi­siert, wenn du mit Nomaden drehst. Ich gehe da viel Risiko ein, um auch Authen­ti­sches von den Nomaden zu bekommen. Wir haben in den Wochen vor dem Dreh mit ihnen abgeklärt, welche Dinge und auch welche Tiere wir mitbe­nutzen dürfen. Die Nomaden, bei denen wir gedreht haben, haben uns viel­leicht auch gar nicht richtig ernst genommen, uns, das niedliche Filmteam. Entschei­dend war aber, ihnen das Gefühl zu geben, dass der Film überhaupt nicht wichtig ist. Die Zeit mitein­ander war wichtig. Sie durften nicht spüren, dass der Film Priorität hat, da hätte ich mich geschämt. Der Film ist dein Problem! Das steht an letzter Stelle. Erst müssen sie mich als Menschen sehen, als Mit-Nomadin sozusagen. Oft haben wir erst ab 16 Uhr gedreht, dafür ging es dann auch super­schnell. Weil du da nicht unbedingt sagen kannst: »So, und das machen wir jetzt noch mal!« Wenn du mit Nomaden drehst, musst du sein wie Wasser.

artechock: Dann gibt es noch eine stark symbol­hafte, mythische Ebene in deinem Film, auch der Filmtitel Schwarze Milch gehört dazu. Ein fremder Mann dringt in die Jurte der beiden Schwes­tern ein, wie der schwarze Wolf, der dann später real wird und Schafe reißt. Eine der Schwes­tern wird verge­wal­tigt, vorher aber beschwört sie noch die „schwarze Milch“, die ihr Kraft gibt. Ist das ein konkreter Mythos, den du erzählst? Und damit verbunden die starke Angriffs­lust: Ich opfere mich, aber von mir bekommst du nur die schwarze Milch?

Borchu: Ich habe die mongo­li­schen Mythen und Märchen als Kind gerne gehört. Die Wüste ist eine Land­schaft, die mir viel Geheim­nis­volles gegeben hat, etwas Unheim­li­ches, wo es Amazonen gibt oder Hexen. Alle Kinder hatten Angst vor ihnen, weil sie so große Brüste hatten, die sie sich über die Schulter werfen konnten. Heute verstehe ich diese Geschichten noch einmal ganz anders. Das waren starke, selbst­be­stimmte Frauen, Kämp­fe­rinnen. Diese Hexen­ge­schichten wollte ich in Schwarze Milch hinein­weben und sie gewis­ser­maßen ehren. Und sie in eine Situation über­tragen, wo die Frau von heute sexuelle Gewalt erlebt. Es inter­es­siert mich als Filme­ma­cherin nicht, die Frau leiden zu sehen und wie sie pene­triert wird. Ihre wahre Kraft ist zu rebel­lieren, innerlich. Zwar geschieht körper­lich etwas mit ihr, aber das Innerste von ihr kann der Typ nicht nehmen und auch nicht berühren. Das ist ihre verbor­gene Kraft. Für mich ist diese Kraft schwarz, ich weiß ich nicht wie ich darauf beim Schreiben gekommen bin. Diese Kraft ist etwas Uriges. Schwarze Milch habe ich aus einer Rebellion heraus geschrieben. Alle sagen immer: eine Frau bekommt Kinder, die hat weiße Milch, alles klar! Aber ich sage: es ist eben nicht alles klar. Die Milch, egal ob schwarz oder weiß, ist eine ulti­ma­tive Kraft, das schätzen wir zu wenig. Sogar die Frau schätzt das zu wenig.

artechock: Und dann gibt es auch noch die Verei­ni­gung mit einem sehr viel älteren Mann. Siehst du darin eine besondere Symbol­kraft?

Borchu: Mich reizt vor allem, dass die Frau – und ich auch – immer eine bestimmte Rolle übernimmt. Ein bestimmtes System durch­spielt, von dem man dann komplett geprägt ist. Das kann dann physisch absolut normal sein, genau das zu machen, was eben nicht der Normal­fall ist. Es geht nicht nach Aussehen, es geht nicht darum, ob man viel­leicht körper­lich zusam­men­passt, weil man das gleiche Alter hat. Es geht um pure Instinkte, die wach­ge­rufen werden. Das hat dann gar nichts mehr mit dem Alter zu tun. Das hat etwas mit einem Aufstand zu tun. Wenn man drang­sa­liert wird und immer in so eine Box rein­ge­schoben wird, dann macht man genau das Gegenteil. Weil es eben geht, und weil die Gefühle stimmen.

artechock: Deine Figur wider­setzt sich auch in der west­li­chen Welt, da ist auch diese Rebellion spürbar, gegen deinen Partner, den Franz Rogowski spielt. Und dann ist da noch die Rebellion in der Jurten-Gemein­schaft, indem du dir den Außen­seiter Terbisch aussuchst. Jedes Mal aktiviert Wessi die Stör­ele­mente. Es ist inter­es­sant, dass in deinem Film überhaupt keine Roman­ti­sie­rung der Nomaden zu verspüren ist, wie sonst, wenn aus der west­li­chen Perspek­tive erzählt wird. Das sind übrigens auch immer Frauen, oft Fran­zö­sinnen, die dann so eine Art ethno­gra­phi­sche Erfüllung finden wie zuletzt in Eine größere Welt. Bei dir dagegen ist Rebellion und Wider­stand zu verspüren.

Borchu: Ich glaube, diese roman­ti­sie­renden Filme sind Raster­filme. Da gibt es esote­ri­sche Frauen, die auf die Weite und die Nomaden stehen, auf den Scha­ma­nismus. Das ist auch eine Geschäfts­idee! Und verrät den Blick, der sich nicht weiter mit dem Land und den Menschen beschäf­tigt hat. Ich habe von Anfang an zu Sven Zellner, meinem Kame­ra­mann, gesagt: Wir werden auf keinen Fall Land­schafts­auf­nahmen machen! Die Mongolei wird für diese Roman­ti­sie­rung die ganze Zeit ausge­beutet. Ich aber bin eine junge Frau und will mich nicht mit so was verar­schen lassen. Mir geht es um etwas ganz anderes. Mein Blick ist ehrlich, auch wenn er natürlich subjektiv ist, auf das Land, aus dem ich komme. Harmonie kann ich überhaupt nicht finden, in keiner Welt, in der ich bisher gelebt habe. Es ist auch traurig, wenn die Schwes­tern da sitzen und in die weite Unbe­kannte blicken und nicht wissen, was auf sie zukommt.

artechock: Spannend ist, dass deine Figur versucht, das Vorge­fun­dene zu verändern. Wessi kriti­siert, provo­ziert, durch ihr Verhalten. Allein ihr Rauchen provo­ziert! Dann sagt sie ihrer Schwester: Bade doch in Stuten­milch! Was sie dann heimlich auspro­biert. Da gibt es starke Verän­de­rungen, zugleich macht auch Wessi große Verän­de­rungen durch. Wenn es Harmonie gibt, dann mit den Tieren. Das unauf­ge­regte Zusam­men­sein mit den Tieren, auch mit dem Tod.

Borchu: Das ist das einzige, was dir in dieser rauen Welt Ruhe gibt. Tiere sind univer­sell, die Tiere und die Natur bestimmen das Leben der Nomaden. Egal, wo du die Nomaden triffst, sie sind immer in sich ruhend und in sich gekehrt. Sie wissen immer, was wichtig ist: sich nach der Natur zu orien­tieren. Wenn sie das nicht mehr machen, bedeutet das den Tod, weil sie nichts mehr zu essen haben. In der indus­tri­ellen Welt beachtet man die Natur nicht mehr. Deshalb drehen wir alle irgend­wann am Rad. Ich bin auch total indus­tria­li­siert. Wenn ich dann in der Wüste bin und reflek­tiere, wie die Nomaden aufstehen, wie sie mit den Tieren und auch zuein­ander sind, dann fühle ich, dass ich eigent­lich überhaupt keine Bedeutung habe. Das ist schön, wenn man sich keine Bedeutung mehr geben muss. Das ist so erleich­ternd!

artechock: Du hast noch eine, wie ich finde, witzige Ebene eingebaut, durch die Namens­ge­bung der Schwes­tern, die einfach nur „Wessi“ und „Ossi“ heißen. Das kommt mir fast ironisch vor. Aus der DDR kommend bist du ja eigent­lich ein Ossi.

Borchu: Ja, ich fand das witzig, denn ich bin ja ostdeutsch geprägt. Wenn wir dann in die Mongolei gefahren sind, waren wir für die Verwandten immer die Wessis. Man hat sich immer mit Plati­tüden abgegeben und die Menschen schnell beurteilt. Ich wollte den Schwes­tern einfach diese banalen geopo­li­ti­schen Namen verpassen. Ich stehe nicht so darauf, auch noch passende mongo­li­sche Namen zu finden, ich wollte das einfach halten. Du wirst immer verein­facht. Ich war immer einfach nur „Schlitz­auge“ oder der Ausländer. Punkt, aus, fertig. Mehr bist du einfach nicht.

artechock: Welches Thema wirst du in Zukunft weiter­ver­folgen? Wirst du wieder in der Mongolei drehen?

Borchu: Mein nächster Film wird zumindest wieder in Europa spielen. Das Thema, das mich sehr inter­es­siert, hat sich vor wenigen Tagen bei der Berliner Premiere von Schwarze Milch wieder gezeigt. Eine Mongolin kam auf mich zu und meinte, dass es nicht stimmen würde, wie ich die Noma­dinnen darstelle, und auch Verge­wal­ti­gungen in der Wüste gäbe es nicht. Frauen versuchen auch heute, obwohl sie aufge­klärt sind, klein­zu­reden, was sie erleben. Alles wird verharm­lost und wegge­spült, weil immer das eigene Ich kriti­siert wird. Warum wird die sexuelle Gewalt gegen Frauen verharm­lost, auch von den Frauen? Wir verschließen die Augen. Das möchte ich weiter erfor­schen.