Wenn Filme die besseren Politiker sind |
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Glaubwürdige Transparenz unterschiedlichster Motivationen | ||
(Foto: Apple TV+) |
Von Axel Timo Purr
»Ein Zeichen der Entstehung meiner Herrschaft ist das Zunehmen von Chaos und Verfolgung.« – Zitat aus dem Bihar al-Anwar von Muhammad Bāqir al-Madschlisī
Vor ein paar Jahren war das noch völlig undenkbar, nein, mehr noch – es war schlichtweg unmöglich, dass die Reporterin einer der größten englischsprachigen Zeitungen der Vereinigten Arabischen Emirate nach Tel Aviv fliegt, um dort Lior Raz, den Hauptdarsteller und Co-Autoren der israelischen Ausnahme-Serie Fauda zu treffen. Aber die Zeiten haben sich geändert, hat Israel doch allein in diesem Jahr diplomatische Beziehungen zu vier Ländern der Arabischen Liga aufgenommen – Bahrain, Sudan, Marokko und eben jene gerade erwähnten Vereinigten Arabischen Emirate. Und um den Kreis zu schließen: dürfte einer der vielleicht wichtigsten Gründe für diese Veränderungen, da sind sich jedenfalls sowohl Roz als auch die Khaleej Times in ihrem Beitrag einig, die israelische Serie Fauda selbst sein, für die Roz, die Showrunner an seiner Seite und ein ungewöhnliches Drehbuchautorenteam, verantwortlich zeichnen.
Denn Fauda (hier unsere Kritik zur dritten Staffel) hat mit einem komplexen Porträt einer zerrissenen Gesellschaft, zutiefst gespaltener Persönlichkeiten und einer völlig hoffnungslos verfahrenen politischen Situation nicht nur in Israel Brücken gebaut, hat erstmals radikalen Siedlern die menschliche Seite ihrer palästinensischen Gegner gezeigt, sondern ist auch in der arabischen Welt eine der meistgesehenen und meistgeschätzten Netflix-Serien – und könnte der Politik tatsächlich den entscheidenden moralischen und menschlichen Boden geebnet haben, um endlich diplomatisches Neuland betreten zu können. Damit schreibt ausgerechnet die seit Jahrzehnten in diesem Konflikt versagende Politik ein zumindest in Ansätzen verblüffendes Happy End, das von den Serienmachern selbst wohl nie für möglich gehalten wurde.
Angesichts dieser Entwicklung kann man nur hoffen, dass auch der gerade wieder einmal eskalierende Iran-Konflikt von der zumindest partiellen Politisierung der Serienkultur profitieren kann. Hoffnung dafür gibt es tatsächlich, seitdem einer der Fauda-Head-Autoren, Moshe Zonder, die Serie Tehran auflegte, die nach ihrem Juni-Start in Israel seit Ende September 2020 auch international über Apple TV+ abrufbar ist und deren zweite Staffel bereits in Planung ist.
Tehran, das sei gleich zu Anfang verraten, ist kein Wiedergänger Faudas. Tehran ist nicht wie Fauda flirrend und hyperrealistisch on Location gedreht, sondern in Athen entstanden. Und wer Teheran kennt, wird schnell merken, dass hier nur einige für Teheran typische staatliche Symbole (wie die großen Plakate iranischer Mullahs) präsentiert werden, aber der Moloch, der Teheran ist, allein auf den dichten Straßenverkehr reduziert bleibt. Bietet Fauda über ein verzweigtes Geflecht von Charakteren einen relativ stark ausgeprägten Tidenhub der gesellschaftlichen Verhältnisse Israels und der palästinensischen Gebiete an, wird uns ins Tehran auf israelischer Seite im Kern eigentlich nur ein ausgereifter Charakter angeboten, nämlich Tamar Rabinyan (Niv Sultan), eine junge, jüdische Frau, die im Iran geboren und in Israel aufgewachsen ist und als Hackerin und Agentin des Mossad auf einer verdeckten Mission in Irans Hauptstadt Teheran strandet.
Dieses fast schon klassisch anmutende Geheimagenten-Thriller- Gefüge ist an sich nichts Neues, wir kennen ähnliche Erzähllinien aus Homeland (direkt anzitiert in der ersten Ankunftssequenz in Teheran, einer öffentlichen Hinrichtung an einem Kran) oder der französischen Serie The Bureau. Aber ähnlich wie in Fauda werden auch in Tehran moralische Perspektive und Plot schnell aufgefächert, entfernen wir uns schnell von der Kolportage, lernen wir nicht nur einen der Chefs der iranischen Spionage-Abwehr kennen, den von dem großartigen Shaub Toub verkörperten Kamali, sondern tauchen auch in die iranische Pro-Demokratie-Bewegung und natürlich auch in das weite Feld der Mitläufer ab.
Beide Seiten, Systembefürworter wie Systemgegner und die Grauzonen dazwischen werden alles andere als stereotyp, sondern mit Stärken und Schwächen, ihren ganzen moralischen Ambivalenzen charakterisiert. Nicht jeder Widerstand ist an sich moralisch einwandfrei, und selbst ein Hardliner wie Kamali besitzt eine integre, gut nachvollziehbare Moral, so wie auch der Mossad nicht nur als Abwehrarm eines bedrohten Staates gezeigt wird, sondern auch als kalkuliert mordender Apparat.
Dieses Wollknäuel aus menschlich, nur allzu menschlichen Verwerfungen rollt mit jeder der acht Folgen nicht nur durch eskalierende Thriller-Elemente schneller dahin, sondern wird auch zunehmend komplexer. Gleichzeitig entsteht eine glaubwürdige Transparenz der so unterschiedlichen Motivationen, die nicht nur der Serie an sich guttut, sondern dem Zuschauer ein faszinierendes Hilfspaket bereitstellt, um aktuelle tagespolitische Ereignisse wie das Attentat auf den iranischen Atomphysiker Mohsen Fachrisadeh Ende November oder die Entführung und am vergangenen Samstag vollzogene Hinrichtung des iranischen Journalisten Ruhollah Sam besser einordnen zu können.
Wie in Fauda wird auch in Tehran konsequent auf die gesprochenen Sprachen fokussiert, sind die Sprachen so etwas wie der gesellschaftspolitische Subtext, entsteht aus dem Amalgman aus Farsi und Hebräisch und dann auch Englisch, das von allen Beteiligten mal mehr oder weniger gut gesprochen wird, auch hier mal Annäherung und mal Distanzierung, werden nationale und persönliche Identitäten immer wieder und sehr überraschend in Frage gestellt, mehr noch als hier eine Heldin im Mittelpunkt steht, die nicht nur die Männerdomäne der Spionage aufmischt, sondern auch eine zwischen Kulturen zerrissene Persönlichkeit darstellt.
Diese Facetten geben letztendlich auch Tehran trotz seines schmaleren Charakterrepertoires und skizzenhafteren Gesellschaftsporträts zumindest in Ansätzen das Potenzial politische Geschichte zu schreiben, wäre da nicht die Entscheidung, die Serie über Apple TV+ zu vermarkten. Denn seit Apple 2018 den App Store im Iran abgeschaltet hat, ist es zumindest unmöglich, die Serie »offiziell« zu streamen. Andererseits sind gerade iranische Filmportale für ihre hochwertigen und überbordenden Filmkataloge aus der ganzen Welt bekannt, so wie es auch für Netflix selbstverständlich gut angeleitete Hacks gibt. Und dann ist ja auch sattsam bekannt, dass nicht einmal das noch weit verschlossenere Nordkorea sich der subtil-politischen Wucht einer südkoreanischen Netflix-Serie wie Crash Landing On You hat entziehen können.
Tehran ist seit dem 25. September 2020 auf Apple TV+ abrufbar; alle drei Staffeln von Fauda sind auf Netflix verfügbar.