17.12.2020

Wenn Filme die besseren Politiker sind

Tehran Serie
Glaubwürdige Transparenz unterschiedlichster Motivationen
(Foto: Apple TV+)

Wird die israelische Serie Tehran für den Iran-Konflikt das, was das israelische Serienmeisterwerk Fauda für den Nahostkonflikt geworden ist – ein politischer Türöffner?

Von Axel Timo Purr

»Ein Zeichen der Entste­hung meiner Herr­schaft ist das Zunehmen von Chaos und Verfol­gung.« – Zitat aus dem Bihar al-Anwar von Muhammad Bāqir al-Madschlisī

Vor ein paar Jahren war das noch völlig undenkbar, nein, mehr noch – es war schlichtweg unmöglich, dass die Repor­terin einer der größten englisch­spra­chigen Zeitungen der Verei­nigten Arabi­schen Emirate nach Tel Aviv fliegt, um dort Lior Raz, den Haupt­dar­steller und Co-Autoren der israe­li­schen Ausnahme-Serie Fauda zu treffen. Aber die Zeiten haben sich geändert, hat Israel doch allein in diesem Jahr diplo­ma­ti­sche Bezie­hungen zu vier Ländern der Arabi­schen Liga aufge­nommen – Bahrain, Sudan, Marokko und eben jene gerade erwähnten Verei­nigten Arabi­schen Emirate. Und um den Kreis zu schließen: dürfte einer der viel­leicht wich­tigsten Gründe für diese Verän­de­rungen, da sind sich jeden­falls sowohl Roz als auch die Khaleej Times in ihrem Beitrag einig, die israe­li­sche Serie Fauda selbst sein, für die Roz, die Showrunner an seiner Seite und ein unge­wöhn­li­ches Dreh­buch­au­toren­team, verant­wort­lich zeichnen.

Denn Fauda (hier unsere Kritik zur dritten Staffel) hat mit einem komplexen Porträt einer zerris­senen Gesell­schaft, zutiefst gespal­tener Persön­lich­keiten und einer völlig hoff­nungslos verfah­renen poli­ti­schen Situation nicht nur in Israel Brücken gebaut, hat erstmals radikalen Siedlern die mensch­liche Seite ihrer paläs­ti­nen­si­schen Gegner gezeigt, sondern ist auch in der arabi­schen Welt eine der meist­ge­se­henen und meist­ge­schätzten Netflix-Serien – und könnte der Politik tatsäch­lich den entschei­denden mora­li­schen und mensch­li­chen Boden geebnet haben, um endlich diplo­ma­ti­sches Neuland betreten zu können. Damit schreibt ausge­rechnet die seit Jahr­zehnten in diesem Konflikt versa­gende Politik ein zumindest in Ansätzen verblüf­fendes Happy End, das von den Seri­en­ma­chern selbst wohl nie für möglich gehalten wurde.

Ange­sichts dieser Entwick­lung kann man nur hoffen, dass auch der gerade wieder einmal eska­lie­rende Iran-Konflikt von der zumindest parti­ellen Poli­ti­sie­rung der Seri­en­kultur profi­tieren kann. Hoffnung dafür gibt es tatsäch­lich, seitdem einer der Fauda-Head-Autoren, Moshe Zonder, die Serie Tehran auflegte, die nach ihrem Juni-Start in Israel seit Ende September 2020 auch inter­na­tional über Apple TV+ abrufbar ist und deren zweite Staffel bereits in Planung ist.

Tehran, das sei gleich zu Anfang verraten, ist kein Wieder­gänger Faudas. Tehran ist nicht wie Fauda flirrend und hyper­rea­lis­tisch on Location gedreht, sondern in Athen entstanden. Und wer Teheran kennt, wird schnell merken, dass hier nur einige für Teheran typische staat­liche Symbole (wie die großen Plakate irani­scher Mullahs) präsen­tiert werden, aber der Moloch, der Teheran ist, allein auf den dichten Straßen­ver­kehr reduziert bleibt. Bietet Fauda über ein verzweigtes Geflecht von Charak­teren einen relativ stark ausge­prägten Tidenhub der gesell­schaft­li­chen Verhält­nisse Israels und der paläs­ti­nen­si­schen Gebiete an, wird uns ins Tehran auf israe­li­scher Seite im Kern eigent­lich nur ein ausge­reifter Charakter angeboten, nämlich Tamar Rabinyan (Niv Sultan), eine junge, jüdische Frau, die im Iran geboren und in Israel aufge­wachsen ist und als Hackerin und Agentin des Mossad auf einer verdeckten Mission in Irans Haupt­stadt Teheran strandet.

Dieses fast schon klassisch anmutende Geheim­agenten-Thriller- Gefüge ist an sich nichts Neues, wir kennen ähnliche Erzähl­li­nien aus Homeland (direkt anzitiert in der ersten Ankunfts­se­quenz in Teheran, einer öffent­li­chen Hinrich­tung an einem Kran) oder der fran­zö­si­schen Serie The Bureau. Aber ähnlich wie in Fauda werden auch in Tehran mora­li­sche Perspek­tive und Plot schnell aufge­fächert, entfernen wir uns schnell von der Kolpor­tage, lernen wir nicht nur einen der Chefs der irani­schen Spionage-Abwehr kennen, den von dem großar­tigen Shaub Toub verkör­perten Kamali, sondern tauchen auch in die iranische Pro-Demo­kratie-Bewegung und natürlich auch in das weite Feld der Mitläufer ab.

Beide Seiten, System­be­für­worter wie System­gegner und die Grauzonen dazwi­schen werden alles andere als stereotyp, sondern mit Stärken und Schwächen, ihren ganzen mora­li­schen Ambi­va­lenzen charak­te­ri­siert. Nicht jeder Wider­stand ist an sich moralisch einwand­frei, und selbst ein Hardliner wie Kamali besitzt eine integre, gut nach­voll­zieh­bare Moral, so wie auch der Mossad nicht nur als Abwehrarm eines bedrohten Staates gezeigt wird, sondern auch als kalku­liert mordender Apparat.

Dieses Woll­knäuel aus mensch­lich, nur allzu mensch­li­chen Verwer­fungen rollt mit jeder der acht Folgen nicht nur durch eska­lie­rende Thriller-Elemente schneller dahin, sondern wird auch zunehmend komplexer. Gleich­zeitig entsteht eine glaub­wür­dige Trans­pa­renz der so unter­schied­li­chen Moti­va­tionen, die nicht nur der Serie an sich guttut, sondern dem Zuschauer ein faszi­nie­rendes Hilfs­paket bereit­stellt, um aktuelle tages­po­li­ti­sche Ereig­nisse wie das Attentat auf den irani­schen Atom­phy­siker Mohsen Fach­ri­sadeh Ende November oder die Entfüh­rung und am vergan­genen Samstag voll­zo­gene Hinrich­tung des irani­schen Jour­na­listen Ruhollah Sam besser einordnen zu können.

Wie in Fauda wird auch in Tehran konse­quent auf die gespro­chenen Sprachen fokus­siert, sind die Sprachen so etwas wie der gesell­schafts­po­li­ti­sche Subtext, entsteht aus dem Amalgman aus Farsi und Hebräisch und dann auch Englisch, das von allen Betei­ligten mal mehr oder weniger gut gespro­chen wird, auch hier mal Annähe­rung und mal Distan­zie­rung, werden nationale und persön­liche Iden­ti­täten immer wieder und sehr über­ra­schend in Frage gestellt, mehr noch als hier eine Heldin im Mittel­punkt steht, die nicht nur die Männer­domäne der Spionage aufmischt, sondern auch eine zwischen Kulturen zerris­sene Persön­lich­keit darstellt.

Diese Facetten geben letzt­end­lich auch Tehran trotz seines schma­leren Charak­ter­re­per­toires und skiz­zen­haf­teren Gesell­schafts­por­träts zumindest in Ansätzen das Potenzial poli­ti­sche Geschichte zu schreiben, wäre da nicht die Entschei­dung, die Serie über Apple TV+ zu vermarkten. Denn seit Apple 2018 den App Store im Iran abge­schaltet hat, ist es zumindest unmöglich, die Serie »offiziell« zu streamen. Ande­rer­seits sind gerade iranische Film­por­tale für ihre hoch­wer­tigen und über­bor­denden Film­ka­ta­loge aus der ganzen Welt bekannt, so wie es auch für Netflix selbst­ver­ständ­lich gut ange­lei­tete Hacks gibt. Und dann ist ja auch sattsam bekannt, dass nicht einmal das noch weit verschlos­se­nere Nordkorea sich der subtil-poli­ti­schen Wucht einer südko­rea­ni­schen Netflix-Serie wie Crash Landing On You hat entziehen können.

Tehran ist seit dem 25. September 2020 auf Apple TV+ abrufbar; alle drei Staffeln von Fauda sind auf Netflix verfügbar.