06.08.2020

Aktualitätenkino

Queen & Slim
Queen & Slim: Die schwarze »Bonnie & Clyde«-Version (19.8. City)
(Foto: Universal Pictures)

Das Programm der 68. Filmkunstwochen reagiert auf »Black Lives Matter« und bringt Filmklassiker auf die große Leinwand

Von Dunja Bialas

Spit­zen­filme warten auf ihr Publikum

Sommer­loch und Saure-Gurken-Zeit: das war der Anfang der Film­kunst­wo­chen, die in den nächsten drei Wochen bereits zum 68. Mal in München statt­finden. Ihr Erfinder ist der Münchner Kinopio­nier Fritz Falter, der über die Film­kunst­wo­chen sagte: »Seit 1953 habe ich die Inter­na­tio­nalen Film­kunst­wo­chen durch­ge­führt, ein Versuch, mitten in der Saure-Gurken-Zeit, im Sommer, ein anspruchs­volles Reprisen-Programm zu machen.«

Auch 2020 ist wieder Saure-Gurken-Zeit für die Kinos. Es geht noch nicht einmal darum, dass große Titel wie Chris­to­pher Nolans Tenet auf Ende August, der neue James Bond, passend mit Keine Zeit zu sterben über­schrieben, oder der in Bayern für seine Block­bus­terqua­li­täten nicht zu unter­schät­zende neue Eberhofer-Krimi Kaiser­schmarrn­drama auf unbe­stimmte Zeit verschoben sind. Warum auch auf die großen Titel warten? Das Kino und die Verleiher haben genug Filme zu bieten, darauf weisen in jüngster Zeit auch die AG Verleih und der Haupt­ver­band Cine­philie klar und deutlich hin, um dem Gejammere ein Ende zu setzen. In der Tat: Mit Berlin Alex­an­der­platz, Undine, Die Kordil­lere der Träume, Monos und Schwarze Milch suchen derzeit Spit­zen­filme nach einem Publikum.

Der Kino­be­such ist sicher

Denn eher sind die Kinosäle derzeit ausge­dörrt. Corona hat uns allen ordent­lich zugesetzt. Nicht zwingend gesund­heit­lich, so doch mental. Noch immer sind die Münchner zögerlich, was den Kino­be­such anbelangt. Dabei weiß doch der baye­ri­sche Minis­ter­prä­si­dent bestens, was er in die fort­wäh­rend ange­passte »Infek­ti­ons­schutz­maß­nah­men­ver­ord­nung« hinein­schreiben lässt. Er lässt dort Vorsicht walten, »Vorsicht und Umsicht«, wie er zu sagen pflegt. Wenn also in Bayern der Besuch von Kinos erlaubt ist, dann aus einem einzigen Grund: weil er gesund­heit­lich sicher ist. Mit Söder gibt es weder Leicht­sinn noch Übermut. Die Maßnahmen – 1 Meter 50 Abstand im Saal, Mund­schutz in allen begeh­baren Kinoarealen – sorgen also für größt­mö­g­liche Sicher­heit.

An die Sicher­heit im öffent­li­chen Raum – mit Mund­schutz und unter Wahrung der Abstands­re­geln, damit hier keine Aluhut-Miss­ver­ständ­nisse aufkommen – kann man sich also jetzt wieder gewöhnen. Ein Kino­be­such ist nicht gefähr­li­cher als ins Restau­rant zu gehen, und weitaus weniger bedenk­lich, als in den Urlaub zu fahren.

Hoch­ak­tuell: Black Lives Matter

Für all jene, die sich wieder ins Kino »trauen«, haben sich die Betreiber*innen von elf Münchner Arthouse-Kinos wieder ein beson­deres Sommer-Programm einfallen lassen. Das geschah relativ rasch, weil erst spät klar war, ob und wann die Kinos wieder öffnen können. Die Schnel­lig­keit schlägt sich in der Aktua­lität des Programms nieder. Die dies­jäh­rige große Themen­reihe widmet sich »Black Lives Matter«. Neben dem Grund­lagen schaf­fenden I Am Not Your Negro (Regie: Raoul Peck) (24.8., City) werden auch der atmo­s­phä­ri­sche Nächster Halt: Fruitvale Station (20.8., City) von Black Panther-Regisseur Ryan Coogler, der Oscar-Gewinner Green Book (6.8., MuLi) vom weißen Regisseur Peter Farrelly gezeigt. In letzterem ist der schwarze Shooting-Star Mahers­hala Ali zu sehen, der wiederum im Oscar-Gewinner Moonlight (10.8., City) mitspielt. Von Regisseur Barry Jenkins findet sich außerdem die zarte Liebes­ge­schichte If Beale Street Could Talk (12.8., City) im Programm. Inter­es­sant ist, dass Steve McQueens 12 Years a Slave (12.8., Monopol) 2014 den ersten Black Oscar überhaupt einbrachte. So ist der Oscar auch ein Seis­mo­graph für eine sich allmäh­lich wandelnde Hollywood-Gesell­schaft – die aber immer noch sehr zögerlich ist. So blieb zum Beispiel Kasi Lemmons – nicht nicht nur schwarz, sondern obendrein eine Frau – der Oscar trotz Nomi­nie­rungen verwehrt. Man war noch nicht reif für Harriet (20.8., MuLi), dem bewe­genden Biopic über die Skla­ven­be­freierin Harriet Tubman, in dem die androgyne Cynthia Erivo eine einschlä­gige Perfor­mance abliefert. (Alle Filme in OmU oder OF, Spiel­zeiten in unserem Kino­pro­gramm.)

Der Themen­schwer­punkt teilt sich auf drei Kinos der Film­kunst­wo­chen auf: den City Kinos, dem Monopol und den Museum Licht­spielen, kurz MuLi genannt. Das ist eine Beson­der­heit der Film­kunst­wo­chen: Einmal im Jahr machen die Arthouse-Kinos gemeinsam Programm, lassen die Konkur­renz­si­tua­tion hinter sich, in der immer genau ausge­klü­gelt wird, wer welchen Film bekommt und ihn wann spielen kann. Das Programm mit allen BLM-Filmen findet sich hier.

Klassiker revisited

Auf Klassiker setzen dieses Jahr neben der Theatiner Filmkunst auch das Filmeck Gräfel­fing und ABC-Kino­be­treiber Thomas Kuchen­reu­ther. Letzterer hat eine besondere Mischung entworfen, die viele Quer­be­züge in der Film­ge­schichte zulässt. Besonders auffällig ist, dass im ABC auch Genre zu entdecken ist. So können im Double-Feature auf der großen Leinwand die klas­si­schen Monster Dracula (21.8., ABC), Fran­ken­stein (21.8., ABC) gefürchtet werden, Thriller wie Don Siegels Der Tod eines Killers (20.8., ABC), Howard Hawks Mafia-Klassiker Scarface (17.8., ABC) sind im Programm, aber auch Herzens­an­ge­le­gen­heiten wie Ernst Lubitschs Angel (13.8., ABC) oder Joseph von Stern­bergs Morocco (21.8., ABC). (In OF zu sehen, das komplette Programm gibt es hier.)

Ein Filmjahr gliedert sich auch in Geburts- und Todestage. Über­ra­schend, dass Federico Fellini (Filmeck Gräfel­fing: Die Nächte der Cabiria, 12.8. und 13.8.) und Eric Rohmer (Theatiner Filmkunst: Le genou de Claire, 14.8., Pauline à la plage, 17.8., La femme de l’aviateur , 18.8., Conte d’été 22.8. und Le rayon vert, 25.8., alle Filme in OmU) beide 100 Jahre geworden wären – Fellini mutet doch in allem viel älter und unmo­derner an als die leicht­hän­digen, licht­vollen Filme Rohmers. Noch ein unglei­ches Geburts­tags­paar sind Rainer Werner Fass­binder und Wim Wenders, die dieses Jahr ihren 75. Geburtstag feiern, was das ABC mit kleinen Hommagen würdigt. Zu sehen ist einer der zentralen Filme Fass­bin­ders, In einem Jahr mit 13 Monden (12.8.), begleitet von dem intimen Doku­men­tar­film-Fass­binder-Potrait Fass­binder – Lieben ohne zu fordern (12.8.), außerdem Fass­bin­ders Lieb­lings­film, Douglas Sirks Was der Himmel erlaubt (9.8.). Von Wim Wenders passt eigent­lich jeder Titel gut in diese Zeit. Kuchen­reu­ther hat sich die Filme mit Lisa Kreuzer ausge­sucht, der damaligen Lebens­ge­fährtin Wenders’. Im Lauf der Zeit (14.8.), Alice in den Städten (16.8.) und Der ameri­ka­ni­sche Freund (18.8.) kann so noch einmal unter der Perspek­tive der weib­li­chen Figur in Augen­schein genommen werden.

Nebenbei können bei den Film­kunst­wo­chen die unter­schied­li­chen Charak­tere und Tempe­ra­mente der Münchner Kino­be­treiber*innen kennen­ge­lernt werden. Denn noch etwas ist eine Beson­der­heit der Münchner Kinostadt: Gespräche mit den Betrei­bern oder mit dem Personal sind ausdrück­lich erwünscht.

Fort­set­zung folgt!

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68. Film­kunst­wo­chen München
5. bis 26. August 2020

www.film­kunst­wo­chen-muenchen.de

Die Film­kunst­wo­chen im Überblick:

– Einmalig in Deutsch­land: die Kino­be­treiber*innen machen selbst das Programm!
– 11 Kinos: ABC, City, Filmeck, Isabella, Maxim, Monopol, MuLi, Rex, Rio, Rottmann, Theatiner + 1 Sonder­vor­füh­rung im Werk­statt­kino macht das Dutzend voll!
– Über 150 inter­na­tio­nale Filme
– Über 40 Filmgäste
– Eintritt: 9 Euro (Ermäßi­gung möglich)
– Karten gibt es direkt bei den Kinos; tele­fo­ni­sche oder online-Reser­vie­rung wird empfohlen
– Es gelten die aktuellen Corona-Hygie­ne­vor­schriften
– Koope­ra­tionen mit dem DOK.fest München und der Filmstadt München e.V.
– Gefördert vom Kultur­re­ferat der Landes­haupt­stadt München

Die Autorin leitet die Film­kunst­wo­chen orga­ni­sa­to­risch.