22.01.2015

Neue Heimat?

Ausfahrt Eden
Das Paradies auf der dunklen Seite des Monds: Ausfahrt Eden

Asylunterkünfte, Industrielandschaften und der Kampf um bewohnbaren Raum. Die 10. FilmWeltWirtschaft stellt Fragen nach Vertreibung, Migration, Ankunft und Wohnen und zeigt sich dabei hochaktuell

Von Dunja Bialas

Eden ist nicht nur der irdische Para­dies­garten. In seiner ursprüng­li­chen Bedeutung meint »Eden« den Rand einer Steppe, einen unfrucht­baren Ort, erst später wurde es zum fried­vollen Garten. Jürgen Brügger und Jörg Haaßen­gier haben in ihrem Doku­men­tar­film Ausfahrt Eden eine Tafel voran­ge­stellt, in der sie erklären, dass auch das Hinter­land der Zentren, die Peri­pherie »Eden« genannt werden. Diesen unwirt­li­chen Gegenden haben sie einen wunder­schön foto­gra­fierten Film gewidmet, in dem sie ganz auf die stille Beob­ach­tung vertrauen. Zwischen Bahn­gleisen, neben Auto­bahn­aus­fahrten und an steilen Wällen des Transits spüren sie Leuten auf, die sich kleine Inseln der Glück­se­lig­keit geschaffen haben und Heimat dort erleben, wovon eigent­lich jeder nur weg will.

»Neue Heimat« hat Claudia Engel­hardt, stell­ver­tre­tende Leiterin des Film­mu­seums München, ihre zum zehnten Mal statt­fin­dende Filmreihe über­ti­telt. In ihrer Reihe geht es stets zu Anfang des Jahres, wie in einem erschro­ckenen Inne­halten, bevor die Tages­ge­schäfte wieder richtig in Fahrt kommen, um die globalen Verflech­tungen und das, was die Welt zusam­men­hält: die Wirt­schaft. Bezie­hungs­weise nicht zusam­men­hält: zerreist. Immer mehr Menschen sind auf der Flucht, migrieren zwischen den Welten, und immer dring­li­cher wird die Frage nach dem, was »Heimat« genannt werden kann und mit welchem Gefühl sie sich verbindet. Die Filme der 10. FilmWel­tWirt­schaft zeigen sich hoch­ak­tuell.

Jeder Film wird von einem ausführ­li­chen Gespräch begleitet, das die Frage­stel­lungen aufgreift und weiter­führt. Ein schönes Format, das gestattet, ganz anders über Film nach­zu­denken: als Impuls­geber und Diskurs­mög­lich­keit.

So disku­tieren im Anschluss an das Filmessay The Wounded Brick über das verhee­rende Erdbeben in den italie­ni­schen Abbruzzen der Stadt­planer und Architekt Oliver Heiss sowie ein Vertreter der Münchner Akti­ons­gruppe »Goldgrund« über neue Modelle der Unter­kunft als temporäres Wohnen, wie das beispiel­hafte Grand­hotel in Augsburg, das Hotel­gäste und Flücht­linge in einem Haus vereint. (Do., 19:00 Uhr)

Temporäres Wohnen meint hier nicht nur das privi­le­gierte der Reisenden. Eine »Hotel« benannte Unter­kunft für Asyl­su­chende ist nicht mehr das Heim, in dem die Nicht­ge­wollten unter­ge­bracht werden. Es verheißt die Weiter­reise, einen gewissen Komfort und eine frei­wil­lige Bleibe. Jeder, der das Grand­hotel in Augsburg schon einmal besucht hat, weiß, dass dies nicht nur PR-Geschwätz ist.

Die ungewisse Ankunft der Flücht­linge in einem Ort, der viel­leicht eine neue Heimat für sie sein könnte, beleuchtet der Doku­men­tar­film Land in Sicht der Regis­seu­rinnen Antje Kruska und Judith Keil. Durchaus humorvoll gehen sie den kultu­rellen Miss­ver­s­tänd­nissen nach, die sich zwischen einer enga­gierten Sozi­al­ar­bei­terin und drei Asyl­be­wer­bern aus dem Jemen, Iran und Kamerun im Bran­den­bur­gi­schen Städtchen Bad Belzig ergeben. (Fr., 18:30 Uhr, anschließendes Gespräch mit der Fach­ge­biets­lei­terin von Alveni-Caritas, Carmen Boluarte)

Der Iraner Peyman Saba, der 1996 als Asyl­su­chender nach Deutsch­land kam, verar­beitet als Filme­ma­cher in Staa­tenlos seine eigenen Erfah­rungen als Flücht­ling, die er in der Gemein­schafts­un­ter­kunft in Neuburg an der Donau machte. Er schlägt den Bogen zwischen den eigenen Erin­ne­rungen und der heutigen Zeit und spricht mit den akutellen Bewohnern (Sa., 18:30 Uhr, Peyman Saba ist zu Gast).

Aber nicht nur die brisanten Aspekte der Migration werfen die Frage nach der neuen Heimat auf. Auch für die schon dort Wohnenden stellt sich die Frage, in welcher Welt sie eigent­lich leben wollen. Das neue Bewusst­sein über Heimat und deren Pflege nahm in den 80er Jahren seinen Anfang, zeit­gleich mit den Protesten gegen die Aufrüs­tung, Wackers­dorf und das Wald­sterben. »Grün kaputt« hieß eines der schlag­kräf­tigen Stich­wör­tern, die in einer asphal­tierten und Unkraut-freien Umgebung nach mehr Natur verlangten. Dieter Wieland hat 1983 einen gleich­na­migen Doku­men­tar­film geschaffen, in dem er der Zersie­de­lung und Zers­tö­rung von Land­schaft nachgeht. Auch wenn die Isar mitt­ler­weile rena­tu­riert ist und Revo­lu­tion auch in Form des »Guerilla Gardening« Aner­ken­nung findet, sind die Beob­ach­tungen von damals immer noch relevant (So., 18:30 Uhr, Gespräch mit Dieter Wieland und Silvia Gonzalez von Green City).

Ausfahrt Eden zum Abschluss der sieben Programme umfas­senden Filmreihe (So., 21:00 Uhr, Gespräch mit Jörg Haaßen­gier) zeigt, dass es letztlich keinen Unter­schied macht, wie schön oder unwirt­lich die gebaute Umgebung um einen herum ist, um sich eine Heimat zu schaffen. Heimat ist ein Akt der Handlung, der das Herz erwärmt. Wenn wie im Grand­hotel die Reisenden ihre Umgebung mitge­stalten dürfen, ist dies allemal Trost spendend.

10. FilmWel­tWirt­schaft – Migration
22.-25.01.2015, Film­mu­seum München, St.-Jakobs-Platz 1