03.04.2008

Das obskure Auge der Bour­geoisie

Luis Buñuels andalusischer Hund
Luis Buñuels anda­lu­si­scher Hund

Traum-haft: Luis Buñuel ist die Retro­spek­tive der Berlinale gewidmet

»Schön wie die zufällige Begegnung eines Regen­schirms und einer Nähma­schine auf dem Sezier­tisch« – eigent­lich könnte man hier fast schon wieder aufhören, das wäre vermut­lich auch ganz in Luis Buñuels Sinne gewesen. Denn dieser Satz des von den Surrea­listen verehrten Schrift­stel­lers Lautréa­mont trifft den Kern des Surrea­lismus, jener für die Epoche so bedeut­samen Avant­gar­de­be­we­gung der zwanziger Jahre: Zusam­men­zu­bringen, was nicht zusammen gehört, um dann aus dieser absolut neuen Verbin­dung den Funken der Poesie zu schlagen und den Menschen aus seinem von der Gesell­schaft verord­neten, fantasie- und imagi­na­ti­ons­feind­li­chen Korsett zu befreien.

Dass dies auch heute noch funk­tio­niert, davon kann man sich auf der dies­jäh­rigen Retro­spek­tive der Berlinale über­zeugen. Denn sie ist, nach Jahren der Belie­big­keit, endlich wieder einem Werk gewidmet, dem Werk von Luis Buñuel, dem Werk eines der größten Film­au­toren der Film­ge­schichte. Schon der erste Film des 1983 verstor­benen Regis­seurs, reali­siert mit dem Geld seiner Mutter und entwi­ckelt mit seinem Freund Salvador Dalí setzte bei der Premiere 1929 Maßstäbe: So etwas hatte man noch nie gesehen, der Schnitt durch das Auge mit einer Rasier­klinge war ein – inten­dierter – Schock, insbe­son­dere da er, dem Prinzip von Regen­schirm und Nähma­schine folgend, mit dem roman­ti­schen Bild einer Wolke, die den Mond zerteilt kombi­niert wurde. Hier zeigte sich auch, dass das neue, begeis­tert begrüßte Medium Film wohl am besten geeignet war, die Utopie der Surrea­listen, dass Traum und Unter­be­wusst­sein die bessere Realität seien, (bewegtes) Bild werden zu lassen.

Buñuel hatte sich bei der Premiere von Ein anda­lu­si­scher Hund in Paris die Taschen mit Steinen voll­ge­stopft, um für etwaige Tumulte gewappnet zu sein, die er vor allem von den Surrea­listen befürch­tete: Sie hatten den von Jesuiten erzogenen Spanier bis dato skeptisch beäugt. Doch Kritik und Publikum waren glei­cher­maßen begeis­tert, was ihn natürlich nun vor den Surrea­listen und dem charis­ma­ti­schem Kopf der Bewegung André Breton erst recht verdächtig machte. Unter vielen anderen Anekdoten erzählt Bunuel diese in seiner Auto­bio­grafie „Mein letzter Seufzer“ – wohl eine der lesens­wer­testen und mit Sicher­heit amüs­an­testen Auto­bio­gra­fien überhaupt. Eine Einfüh­rung in sein Werk, inter­es­sante Einblicke und eine ausführ­liche Filmo­grafie bietet auch das Buch zur Retro­spek­tive: „Luis Buñuel – Essays, Daten, Dokumente“.

Buñuels nächster Film Das goldene Zeitalter provo­zierte schließ­lich doch noch einen Skandal: Er wurde verboten und durfte erst 50 Jahre später in Frank­reich wieder öffent­lich vorge­führt werden – keines­wegs der letzte Konflikt mit der Zensur, den er als „fana­ti­scher Anti­fa­na­tiker“ mit seinen gesell­schafts­kri­ti­schen Themen Sex, Politik und Religion gar nicht erst versuchte, zu umgehen.

Neben seinen bekann­teren frühen Filmen gibt es in der Retro­spek­tive viel zu entdecken: Den Doku­men­tar­film Land ohne Brot von 1933 etwa, in dem der Regisseur, Mitglied der kommu­nis­ti­schen Partei, länd­li­ches Elend in Spanien zeigt – surrea­lis­ti­sche Schock­mo­mente inklusive. Außerdem das nach 17 Jahren Schaf­fens­pause – als unab­hän­giger Regisseur – im mexi­ka­ni­schen Exil entstan­dene Werk: Darunter Die Verges­senen über Jugend­liche in den Slums von Mexiko City, der in Cannes 1951 für die beste Regie ausge­zeichnet wurde, die großar­tige Studie eines frommen katho­li­schen Sadisten in Er, die aus uner­find­li­chen Gründen im Salon des Gast­ge­bers gefangene Abend­ge­sell­schaft in Der Würge­engel.

Sein Spätwerk ist öfter zu sehen, trotzdem schließt sich gerade im Rahmen einer Retro­spek­tive mancher Bogen in seinem von Eigen­zi­taten, Obses­sionen, feti­schi­sierten Objekten wimmelnden Werk: So endet zum Beispiel sein letzter Film Dieses obskure Objekt der Begierde mit der Para­phrase eines Gemäldes von Jan Vermeer: „Die Spit­zen­klöpp­lerin“. Es war Dalís Lieb­lings­bild, in Ein anda­lu­si­scher Hund taucht es als Abbildung in einem Buch auf.

Julia Teichmann

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