18.05.2018
71. Filmfestspiele Cannes 2018

»Berlin is boring«

Der Leopard
Wieder ein Western aus Deutschland: In My Room
(Foto: Pandora)

Adam und Eva in der Postapokalypse: Ulrich Köhlers kluger, lustiger, schöner Film In My Room – Cannes-Notizen, 8. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Unfassbar, dass dieser Film von der Berlinale durch alle Instanzen abgelehnt wurde, bis hin zum Forum. Darüber wurde bereits im Februar geredet, ohne dass einer den Film gesehen hätte. Ursache dafür war offenbar der Brief der über 80 Regis­seure in Sachen Berlinale-Direktion. An Köhler, der immerhin mit seinem Film zuvor im Wett­be­werb den Bären für die beste Regie bekommen hatte, wurde ein Exempel statuiert, zu dem man sich bei Christian Petzold nicht traute. Im Effekt hat die Berlinale dem Regisseur mit dieser Entschei­dung aber genutzt. Denn wer will schon im Berlinale-Wett­be­werb laufen, wenn er in Cannes sein kann?

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Es beginnt uner­wartet und schräg: Wir sehen Poli­ti­ker­inter­views, bei der SPD mit Oppermann und Lauter­bach und bei der Linken mit Wagen­knecht, genau gesagt sehen wir Inter­views, die nicht statt­finden, weil der Kame­ra­mann offenbar An- und Austaste durch­ein­an­der­ge­bracht hat.
Der Kame­ra­mann ist Armin (Hans Löw), die Haupt­figur dieses Films. Held möchte man ihn nicht nennen, doch dazu ein andermal.
Armin hat kein Geld, geht in einen Tech­no­club, hat offenbar eine Hygie­ne­obses­sion, an der ein One-Night-Stand fehl­schlägt.
Dann fährt er zu seiner Familie. Denn seine Groß­mutter liegt im Sterben. Bei ihr, die kaum noch ansprechbar ist, kann er für Augen­blicke wieder Kind sein und zärtlich. Ansonsten ist er der bockige Sohn, der arrogant und konser­vativ, wie Kinder heute sind, dem Vater die Trennung von der Mutter vorhält, die neue Liebe, der Fami­li­en­struk­turen aufrecht­erhalten will, obwohl er selbst an ihnen aktiv gar nicht mehr teilnimmt. Und apodik­tisch ist: Dass er mal Kinder habe, »das wird nicht passieren.«

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In My Room ist ein über­ra­schend zugäng­li­cher Film, weniger sperrig, auch weniger »arty«, als Köhlers frühere Filme. Dazu gehört auch, dass er uns zunächst auf eine völlig falsche Fährte führt. Man erwartet das Portait eines heim­keh­renden Tauge­nichts, dem es allen­falls gerade noch gelingt, bei der Familie in der Provinz den Schein des Erfolg­rei­chen aufrecht zu erhalten.
Und er ist witzig: Im Portrait des Schei­terns eines Schluffis, in der Komik der Situa­tionen.
Trotzdem gibt es einen kurzen Moment, wo man sich fragt, ob das jetzt alles ist? Will Ulrich Köhler wie in Bungalow und Montag kommen die Fenster einmal mehr das Portrait eines jungen Mannes zeichnen, der von seinen Eltern und deren west­deut­schem Wohl­stands­mief nicht loskommt? Soll das uns zeigen, dass der junge Mann unglück­lich ist, sollen wir seine Lange­weile und Indif­fe­renz nach­emp­finden? Unaus­ge­spro­chene Sehn­süchte nach dem ganz Anderen?
Aber es war keines­wegs alles.

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Denn gerade eben noch bewegte sich Armin als zielloser Drifter und Versager durch die enge Welt einer hessi­schen Klein­stadt, schläft nach zielloser Fahrerei in seinem Auto ein, da ändern sich die Dinge. Als er aufwacht und verschlafen in einer Tank­stelle Ziga­retten holt, ist diese zwar offen. Aber das Personal bleibt ebenso unsichtbar, wie die Kunden. Noch bleibt Armin brav, legt in der Tanke das Geld auf den Tisch. Dann, nachdem er umge­fal­lene Motor­räder gesehen hat und ein Schiff, das ziellos auf einen Fluss treibt, wird ihm klar: Seine Mitmen­schen sind offenbar verschwunden. 28 Tage später und I Am Legend lassen grüßen. Aber auch eine unheim­liche Begegnung der deutschen Art.
Armin findet sich in den Verhält­nissen recht schnell zurecht. Schon nach dem ersten Tag wäscht er sich mit Mine­ral­wasser. Dann verlässt er das Eltern­haus, legt aller­dings vor dem Verlassen Feuer, wohl auch, um der Groß­mutter eine Feuer­be­stat­tung zu verschaffen – bemer­kens­wert ist diese Selbst­ver­s­tänd­lich­keit, mit der er das Haus der Familie und seiner Kindheit verbrennt… Wir erkennen da: Er hat nicht viel zu verlieren, sie kommt ihm in gewissem Sinn sogar entgegen, dieses Losgelöst-sein. In My Room ist eine Robin­so­nade. Am Anfang feiert der Film das, was Armin liebt: Auto­fahren und Tiere befreien. Wir sehen ihn in Höchst­ge­schwin­dig­keit im Polizei-Maserati durch ein Dorf brettern – aus der Fahrer­per­spek­tive gefilmt. Wir sehen: Allein sein kann gut sein, für eine Weile; befreit sein von Zivi­li­sa­tion. Aller­dings gibt es Technik, Autos, und der Strom kommt bald aus dem Generator. Da hat er sich bereits in einem Bauernhof einge­richtet – Tiere versorgen ihn mit dem Wesent­li­chen, es gibt Bücher und die Stadt ist nahe.

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Was würde ich machen, wenn ich in diese Lage käme? Nach Paris fahren, und in den Louvre gehen vermut­lich; oder nach Rom fahren. Jeden­falls bestimmt nicht gleich aufs Land ziehen. Wir lernen auch, dass Bücher auf Papier toll sind, und der e-Reader erstmal nicht mehr funk­tio­niert.
Eine tolle Phantasie und eine philo­so­phi­sche Parabel.

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Dann taucht aus dem Nichts eine Frau auf. Da hat er Glück gehabt, dass sie auch noch etwa gleichalt ist und ganz gut aussieht. Sie fragen sich vor der Kamera nicht nach ihrem Namen, aber sie leben jetzt zusammen. Adam und Eva in der Post­apo­ka­lypse. Es gibt keine Depres­sion hier ob der miss­li­chen Lage, dafür die Utopie, dass wenn zwei Unbe­kannte sich treffen, dass es dann funk­tio­niert. Die Frau heißt Kirsi (Elena Radi­no­vich), trägt Leopar­den­fell­muster. Sie reden über Reisen: »Ich war nie in Berlin, you can show me.« – »Berlin is boring.« Sie gehen in eine Videothek, und leben diese Wunsch­phan­tasie, dass man machen kann, was man will in der Welt – dafür müssen halt die anderen Menschen weg.

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3 Dinge braucht der Mann: Waffe, Weib, Wildnis. Die Frau braucht offenbar etwas anderes: Während er sich mehr und mehr in den Kokon der Klein­fa­milie, des Herum­hän­gens, in die Idylle der Mühle am rauschenden Bach zurück­ziehen will, die Illusion des Neuan­fangs, nimmt sie die Heraus­for­de­rung der Post­apo­ka­lypse an. Sie will dann wenigs­tens ans Ende der Welt reisen.
Der Frei­heits­drang ist stärker als der zur Klein­fa­milie.
Freiheit ist wichtiger als Glück – das ist natürlich auch die sozusagen neoli­be­rale Lösung. Durch sie wird der Film zu einem Western, und sie zu einem Äqui­va­lent von John Wayne. Am Ende reitet sie mit dem Rhino-Mobil in den Sonnen­un­ter­gang, zu den New Frontiers, er behält zwar Gewehr und Pferd, damit aber auch die Symbole vergan­gener Männ­lich­keit
Sie dagegen ist ein bisschen wie Charlize Theron als »Furiosa« im letzten Mad Max.

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Noch einmal in Cannes also ein Western aus Deutsch­land. Diesmal zuhaus, in der Mittel­stand­säs­thetik der BRD. Eine Männer­ge­schichte, absolut zeitgemäß, eine Phantasie, die auf den Punkt trifft.

(to be continued)