15.09.2016
Cinema Moralia – Folge 139

Am Sonntag: dffb wählen!

HEIL
Heil – wirklich witzig, aber auch zu niedlich
(Foto: X Verleih/Warner Bros.)

Alles Müller oder was? – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 139. Folge

Von Rüdiger Suchsland

Schon am Freitag geht es weiter. Zunächst einmal werden wir in den nächsten Tagen und Wochen noch unsere, auch für uns selbst ein wenig unüber­sicht­lich gewordene Venedig-Bericht­erstat­tung im Magazin und im wunder­baren artechock-blog ordnen, ergänzen und vor allem abschließen. Zugleich geht es aber am Freitag schon nach San Sebastian.
Das dortige Film­fes­tival ist immerhin das viert­wich­tigste unter den A-Film­fes­ti­vals der Welt, knapp hinter der Berlinale, aber weit vor Locarno. Vor allem aber ist es das Aller­schönste, was vier Tage nach Venedig eine Menge bedeutet!
In diesem Jahr ist alles besonders attraktiv, da San Sebastian auch noch Kultur­haupt­stadt Europas ist – mal sehen, ob das dann nur heißt, dass die Pinchos teurer werden? Ein kuli­na­ri­sches Kino braucht man hier jeden­falls gar nicht, weil die Stadt selbst kuli­na­risch ist und der Festi­val­di­rektor kein fana­ti­scher Vege­ta­rier. Das heißt, außer viel im Kino werde ich auch in Cafés sitzen und in Bars herum­stehen, unter den deutschen Film­kri­ti­kern kommt hier auch nicht die Masse her, sondern Klasse – so freue ich mich schon auf die Biere mit Rudolf Worschech, dem Chef­re­dak­teur von »epd-Film«, der schon weiß, warum er hier persön­lich herkommt, und nicht nur die Flagge der Evan­ge­li­schen Film­kritik hochhält – eine beacht­liche Leistung für einen Katho­liken. Auch der »katho­li­sche Film­dienst« ist mit Wolfgang Hamdorf vor Ort. Die Film­ar­beit der Kirchen wäre auch mal ein Thema für tiefere Betrach­tungen – immerhin zeigt das Enga­ge­ment der beiden Konfes­sionen, dass die Controller noch nicht in allen Bereichen der Kirche die Macht über­nommen haben, dass die Kirchen verstehen, was ihnen das Zuschuss­gesch äft einer Film­zei­tung im Print bringt.

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Im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipen­diums des »Verband der deutschen Film­kritik schreibt Sven von Reden beim ›Film­dienst‹ seinen Blog ›Film über Film‹. In der neuesten Folge geht es um Video-Essays deutscher Zeitungs­ver­lage. Da erzählt von Reden, wie man auf der SZ-Seite (wenn man das den wirklich wissen will) gucken kann, wie Fritz Göttler, David Steinitz und Susan Vahabzadeh aussehen: ›Die Videos der Süddeut­schen wirken sehr disparat. Mal sind Schnitte durch­dacht, mal scheinen sie völlig beliebig, mal verhält man sich recht respekt­voll gegenüber den Film­aus­schnitten, mal scheinen sie beliebige audio­vi­su­elle Verfü­gungs­masse ... Und natürlich unter­scheiden sich auch die »Perfor­mances« vor der Kamera je nach Talent und Neigung. Während Vahabzadeh und Steinitz scheinbar frei vor der Kamera wie in einem Interview reden, liest Göttler Texte ab, die irgendwo hinter der Kamera platziert sind. Das wirkt unwei­ger­lich hölzern und didak­tisch, ermög­licht aber auch geschlif­fe­nere Texte. So richtig scheint man sich in der Film­re­dak­tion über die Funktion der Videos nicht einig zu sein: Sind es einfache Filmtipps, die die Entschei­dung an der Kinokasse erleich­tern sollen, oder feuil­le­to­nis­ti­sche Analysen?‹
›Anders als auf sued­deut­sche.de werden bei faz.net die Video-Film­kri­tiken auf der gleichen Seite wie die Print­kri­tiken präsen­tiert, beides ergänzt sich also.‹
›Bei beiden Angeboten nervt die Werbung, die man vor einer Video-Kolumne/Kritik über sich ergehen lassen muss. Natürlich ist es völlig legitim, dass die Verlage versuchen, ihre Gratis-Inter­net­auf­tritte mit Werbung zu finan­zieren. Wenn man aller­dings erst einen 30-sekün­digen Spot über­stehen muss, um eine gerade einmal 1:46 Minuten lange Internet-Film­kritik von Andreas Kilb sehen zu können, stellt sich die Frage, ob die Verhält­nisse stimmen.‹«

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Die Staats­mi­nis­terin für Kultur und Medien, Monika Grütters, lobt die EU-Kommis­sion für ihre Reform­vor­schläge zum Urhe­ber­recht, nutzt diese aber vor allem dazu das in der Welt einmalige deutsche Leis­tungs­schutz­recht der Verleger gegen die eigent­li­chen Urheber, die Autoren, auszu­spielen: »Erfreu­lich ist dabei vor allem, dass die Kommis­sion sich auch dem drän­genden Problem der Verle­ger­be­tei­li­gung zugewandt hat. ... Die besorg­nis­er­re­genden Entwick­lungen bei der VG Wort zeigen die Brisanz des Themas. Parti­ku­lar­in­ter­essen werden hier teilweise über die bewährte gemein­same Rech­te­wahr­neh­mung durch Verleger und Urheber gesetzt und drohen nun die VG Wort zu beschä­digen.«

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Am Sonntag sind Wahlen in Berlin. Gerade kultur­po­li­tisch sind diese Wahlen wichtig, denn Berlin ist ja nicht nur irgendein Ort, sondern hat als Haupt­stadt symbo­li­sche Wirkung auf den Rest. Berlin ist Standort der großen kultu­rellen Insti­tu­tionen in der Republik, zumindest im Prinzip das Zentrum der deutschen Kultur. Die Bühnen, Museen und Gedenks­tätten verzeichnen jährlich Besu­cher­zahlen in zwei­stel­liger Millio­nen­höhe. In der Stadt leben über 10.000 Künst­le­rinnen und Künstler. Über 200.000 Menschen arbeiten im Bereich der Kultur. Kultur­po­li­ti­sche Perspek­tiven sind besonders wichtig. Doch die Haupt­stadt leistet sich den Luxus, keinen eigenen Kultur­se­nator zu haben.
Es wird schon schlimm genug sein, zu sehen, dass die Rechts­extre­misten der AfD mit über 10 Prozent ins Parlament kommen werden – aber überhaupt ist Berlin allen Umfragen nach der erste Ort in Deutsch­land, der die These widerlegt, in Deutsch­land werde es nie wieder »Weimarer Verhält­nisse« geben. Man wüsste schon gern, wann das Kino endlich darauf reagiert. Alle Filme, die bisher bei uns über Neonazis gemacht wurden, ob »Kriegerin«, ob der »NSU«-Drei­teiler der ARD, ob die pseu­do­lus­tigen Nazi-Klamotten wie »Er ist wieder da« und »Heil« (der wirklich witzig ist) sind niedlich, viel zu niedlich und ihrem Gegen­stand nicht wirklich gewachsen. Ob sich das ändert? Oder warten die Filme­ma­cher erst darauf, dass es bei uns auch so wird wie in Ungarn und der Türkei, wenn die v ölkische Frau Petry und die sieben Zwerge mal regieren.

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Aber wir wollten ja etwas zur Kultur­po­litik schreiben, und da fällt einem zur AfD wirklich nichts ein – außer dass die Menge der pensio­nierten ehema­ligen FAZ-Redak­teure und -Autoren in den Führungs­riegen der Partei auch schon wieder ein kultu­relles Phänomen sind. Umso mehr fällt einem ein zur SPD und das ist auch keine gute Nachricht.
Alle Kunst­in­ter­es­sierten und Künstler, alle Film­in­ter­es­sierten und Filme­ma­cher, die in Berlin wählen, möchte ich bei dieser Gele­gen­heit daran erinnern, wie die Kultur­po­litik des Rot-Schwarzen Senats aussah. Da sollte man zuerst mal daran erinnern, dass die SPD unter Wowereit das Amt des Kultur­se­na­tors (immerhin einge­führt von Willy Brandt) de facto ersatzlos abschaffte. Theo­re­tisch ist Berlins Regie­render Bürger­meister wie-heißt-er-doch-gleich-Michael-Müller (äh, SPD) auch Kultur­se­nator. Praktisch sind heute zwei Senats­staats­se­kre­täre zuständig, wobei der Kultur­staats­se­kretär, der hippe »Rammstein«-Produzent Tim Renner auch formal nichts mit Film zu tun hat. Zuständig für Film ist Björn Boehning, der seine Kompetenz in dem Desaster um die Besetzung des Direk­to­ren­pos­tens der Film­hoch­schule DFFB hinläng­lich unter Beweis gestellt hat. Nur zur Erin­ne­rung: Geschei­terte Kandi­daten, filmferne Auswahl­kri­te­rien, schlechte Beratung, mani­pu­lierte Bewer­bungen, Gerichts­ur­teile gegen den Senat, eine ganz­jäh­rige Dauer­krise und eine grund­sätz­liche, bis heute nicht berei­nigte Beschä­di­gung der renom­mierten Insti­tu­tion sollten Grund genug sein, diesen Senat abzu­wählen. Aber Tim Renner ist eigent­lich noch schlimmer:

Chris Dercon, Chef der Londoner Tate Modern, soll aus der Volks­bühne ein mehr­spar­tiges, inter­na­tio­nales Bühnen-Kunst-Event-Produkt machen – einen »Event­schuppen«, wie Claus Peymann bemerkte. Ähnlich Paul Spies, neuer Intendant für das Humboldt-Forum, und Oliver Reese ab 2017 im BE. Die TAZ nennt das treffend den »Bedeu­tungs­wandel spezi­fi­scher Berliner Kultur­po­litik hin zu einem Stadt­mar­ke­ting-träch­tigen, reprä­sen­ta­tiven Akzent«.
Ä hnlich die CDU im Bund. Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grütters (CDU) finan­zierte 2015 Berlin 200 Millionen Euro für den geplanten Neubau des Museums der Moderne und weitere 28,1 Millionen für den Erwei­te­rungsbau für das Bauhaus Archiv. Und wieviel für Film­po­litik?

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Die Partei des Regie­renden Bürger­meis­ters will im Wahlkampf nicht über Kultur­po­litik reden. Der Regie­rende Bürger­meister wirkt auf alle unkom­mu­ni­kativ. Er, Boehning und Renner haben offenbar Angst vor jeder leben­digen Ausein­an­der­set­zung, die doch zur Kultur gehört. »Müller und sein Kultur­staats­se­kretär Tim Renner verhan­deln die Dinge lieber in 'intrans­pa­renten Verfahren'« schreibt die TAZ am Beispiel der heim­li­chen Neube­set­zung der Volks­bühnen-Intendanz und der Umstruk­tu­rie­rung des Theaters ab 2017 monierten. »Bis heute gilt die Einwech­se­lung von Chris Dercon als Ersatz für den Noch-Inten­danten Frank Castorf als Skandal in der Berliner Thea­ter­land­schaft, die sich deswegen nicht beruhigen will. Claus Peymann, Direktor des Berliner Ensembles (BE), und die Mitar­beiter der Volks­bühne verlangen eine Revision der Inten­dan­ten­be­ru­fung.«

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Aus meiner Sicht ändert sich unter den derzei­tigen Umständen nur dann etwas, wenn man die jeweils Regie­renden konse­quent abwählt. Und darum ist meine sehr persön­liche Meinungs­äuße­rung zur Wahl, dass ich hoffe, dass die Große Koalition in Berlin abgewählt wird. Vor allem dass die Partei des Regie­renden Bürger­meis­ters für ihre Nicht-Kultur­po­litik bestraft wird.
Viel­leicht wird in Berlin am Sonntag ja DFFB gewählt!

(to be continued)