20.08.2015
Cinema Moralia – Folge 114

Flucht­be­we­gungen...

Pro Til Schweiger
Über Til Schweiger, schweigend. Auch das muss mal sein.

Für eine Revolution der Künstler; Til Schweiger und die Nazis – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 114. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»Sich zu fügen, heißt, sich zu belügen.« – Elisabeth Kulman, Sängerin

Ein Artikel in der »Süddeut­schen« (7.8.15) macht mich auf die Geschichte der öster­rei­chi­schen Mezzo­so­pra­nistin Elisabeth Kulman aufmerksam. Von Kulman hatte ich bisher noch nichts gehört. Und Oper finde ich eher mäßig inter­es­sant. Aber durch den Text ist mir die Frau so ungemein sympa­thisch geworden, dass ich mir jetzt ganz bald Aufnahmen von ihr besorgen muss, und mir ihre diversen Netz­pu­bli­ka­tionen anschauen muss, auf facebook, Youtube, usf.

Kulman ist eine der erfolg­reichsten Sänge­rinnen der deutsch­spra­chigen Oper, und mit Jahrgang 1973 im »besten Alter«. Jetzt lässt sie mitteilen, dass sie ab sofort auf dem Höhepunkt ihrer Karriere für weitere Opern-Enga­ge­ments nicht mehr zur Verfügung steht. Sie hast einfach alles abgesagt.
Begrün­dung, wenn man der SZ glaubt: Sänger hätten im Theater fast keinen Spielraum mehr, weil ihnen alles vorge­schrieben werde. Ihr kreatives Potenzial komme kaum zum Ausdruck, »weil es durch viele andere Menschen – Regisseur, Diri­genten, Bühnen­bildner, Kostüm­bildner – über­la­gert wird«. Sie wolle nicht brav nur das machen, was man ihr anweist. Oft sei es leider so, dass die Proben mehr der Selbst­fin­dung des Regis­seurs als der Verwirk­li­chung des Werks dienten. »Für mich war das immer sehr belastend, sieben Wochen jeden Tag sechs bis acht Stunden zu proben.«

Im Rahmen der Initia­tive »Art but fair« hatte Kulman zuvor bereits via Facebook Alexander Pereira, den Inten­danten der Salz­burger Fest­spiele dafür kriti­siert, dass er die Prob­en­gagen in Salzburg abge­schafft hatte. Wenn ein Sänger bei den Vorstel­lungen krank wird, bekommt er dadurch überhaupt keine Gage mehr. Ein System der Ausbeu­tung, das Kulman angreift. Kulman, obwohl gut verdie­nend, wurde durch dieses Enga­ge­ment zu einer Gali­ons­figur für schlecht verdie­nende Künstler und auf ihrer Homepage ruft sie sogar zu einer »Revo­lu­tion der Künstler« auf. »Macht mir das wirklich aus ganzem Herzen Freude?« befragte Kulman sich selbst, und stellt ganz grund­sätz­lich das zeit­genös­si­sche Musik- und Sprech­theater in Frage: »Wir drehen uns im Kreis.« Immer dieselben Stücke, aber in zwang­haften Neuin­ter­pre­ta­tionen. Über die alten Opern eine ganz neue Geschichte zu stülpen, funk­tio­niere aber einfach nicht.
Kulman zieht die Konse­quenz und macht nicht mehr mit. Die Kunst der Verwei­ge­rung.

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Lernt der deutsche Film­be­trieb etwas von diesem Beispiel? Hoffent­lich! Die richtigen Fragen zu stellen beispiels­weise. Neugier, Wider­s­tän­dig­keit, Indi­vi­dua­lität, Quer­denken, Infra­ge­stellen, sich nicht alles gefallen lassen. Wieder Künstler sein, nicht Rädchen im Betrieb, nicht Sklave.
Viel­leicht lernen wir einfach etwas Streit­kultur?
Fangen wir an mit »Art but fair«.

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Das Kino kann nicht nur irgend­etwas, sondern eine ganze Menge lernen von anderen Künsten – so wie diese vom Kino.

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Es gibt auch andere. Til Schweiger zum Beispiel. Ich kann nicht behaupten, dass ich zu seinen Fans gehöre. Und wahr­schein­lich gibt es hier bald wieder einen guten Grund, über Schweiger zu schimpfen. Aber jetzt und hier loben wir Til Schweiger von ganzem Herzen.
Schweiger hat, man muss das so fest­stellen, einfach nur recht mit dem was er sagt.
Schweiger hat einfach recht, wenn er der deutschen Öffent­lich­keit vorrechnet, dass hier mehr Geld für Tier­schutz ausge­geben wird als für Menschen­schutz, dass den Leuten Kröten wichtiger sind, als Flücht­linge.
Schweiger hat recht, wenn er die obszönen Beträge, die für Stadt­schloss, Phil­har­monie und Berliner Flughäfen und für hunderte ähnlicher Pres­ti­ge­pro­jekte, kleiner gerne­großer Poli­ti­ker­pro­vinz­fürsten und Wirt­schafts­kö­nige einmal in ein Verhältnis setzt mit dem Geld, das Flücht­linge kosten.
Schweiger hat recht, wenn er CSU-Poli­ti­kern ihre Doppel­moral vorhält, wie dem CSU-Gene­ral­se­kretär Andreas Scheuer am Dienstag in der ARD-Talkshow »Menschen bei Maisch­berger«.
Schweiger hat recht, wenn er sagt: »In Deutsch­land gibt es zu wenig Mitgefühl mit Asyl­be­wer­bern.«
Schweiger hat recht, wenn er sagt: Gegen Frem­den­hass-Demos »sollte man zwei Hundert­schaften Polizei hinschi­cken, die einkas­sieren.« Schweiger hat recht, wenn er sagt, die bestehenden Gesetze seien völlig ausrei­chend, sie müssten nur ange­wendet werden.

Natürlich ist Schweiger Medi­en­profi, und er weiß, wie man öffent­lich gut aussieht. Schweiger ist auch ein begna­deter Populist. Viel­leicht müsste er einmal reflek­tieren, dass er für die, die er jetzt zu recht beschimpft, seine Filme macht.

Schweiger hat trotzdem voll­kommen recht, wenn er sagt: »Da sind offen­sicht­lich mehr Menschen mit sehr rechtem Gedan­kengut, als uns lieb ist. Aber es gibt ja wahn­sinnig viele Menschen, die helfen. Es gibt ja nicht nur die, die rumpöbeln und sagen, die sollen wegbleiben, und so und überhaupt keine Phantasie haben, was das bedeutet, Flücht­ling zu sein. Und dann haben wir natürlich eine Menge Leute, die nicht nach­denken, weil sie wie gesagt keine Phantasie haben und weil sie den ganzen Tag vorm Fernseher sitzen und in irgend­wel­chen Reality-Shows sehen, wie sich irgendwie stumpfe Leute gegen­seitig belei­digen, runter­ma­chen, dissen, und das prallt nicht an einem ab.«

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Lange habe ich nicht so viel Bullshit auf einmal gehört, wie neulich im Radio. Von Katja Schneidt, angeblich Best­sel­ler­au­torin, habe ich noch keine Zeile gelesen. Und nach diesem Interview werde ich das auch ganz bestimmt nicht tun.
Unnötig genug, dass die sonst so groß­ar­tige Sendung »Infor­ma­tionen am Morgen« im Deutsch­land­funk ausge­rechnet dieser Frau überhaupt ein Forum gibt. Leider war der Moderator voll­kommen über­for­dert, er begann bereits mit einer voll­kommen verwor­renen, sinnlosen Frage: »Warum sind Til Schwei­gers Fans Ihrer Meinung nach keine Nazis?«

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Jetzt nochmal lesen, bitte. Dann wird wider­spruchslos zuge­lassen, dass die Autorin (die übrigens aus aus der südhes­si­schen Dschi­had­disten-Hochburg Hanau kommt) alles über einen Kamm schert, mal über »Asyl­su­chende« redet, mal über Flücht­linge, mal über »Wirt­schafts­flücht­linge aus den Balkan­län­dern«, ohne das ihr auch nur einmal wider­spro­chen wird, ohne dass die Dinge für die Hörer ein bisschen zurecht­gerückt werden. Scheidt stellt den Rechts­staat infrage, übt die konven­tio­nelle Kritik an angeblich zu lange Verfahren, plädiert für kurzen Prozess, nimmt »die Menschen« in Schutz gegen Schwei­gers Nazi-Vorwürfe, – »die Menschen haben auch Sorgen, die haben auch Nöte.«, »die Menschen fühlen sich von unserer Regierung im Stich gelassen. Die fühlen sich mit ihren Sorgen und Nöten alleine gelassen.«, »dass wir hier sehr wohl eine Zwei­klas­sen­ge­sell­schaft haben, denn die Menschen wären auch froh, wenn man ihre Sorgen und Nöte und Frust sich einfach mal anhören würde.« –, sie rechnet die Renten­er­höhung gegen das Geld, das die Flücht­linge kosten, behauptet »fast 40 Prozent Wirt­schafts­flücht­linge« und Milli­ar­den­kosten – »wissen Sie, das ist ja ein Fass ohne Boden«. »Nicht jeder, der einfach mal Ängste äußert oder sich Sorgen macht über die Zukunft von Deutsch­land, ist gleich ein Nazi.«
Und dann noch einer drauf: »Natürlich haben wir hier Nazis, natürlich haben wir hier Menschen mit einer rechten Gesinnung, das ist gar keine Frage. Wir haben auch extreme Gutmen­schen, die eigent­lich schon Anti-Deutsch­land einge­stellt sind.«

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Mit alldem bietet Schneidt ein ideal­ty­pi­sches Panop­tikum reak­ti­onärer Stamm­tisch­pa­rolen und rechten Dumpf­sinns. Bis auf Ausfälle gegen »Lügen­presse« ist auch fast alles drin, was PEGIDA so heraus­brüllte.
Die richtigen Nazis sind gar nicht das Problem, sondern Menschen wie Schneidt, die dieserart das ach so gesunde Volks­emp­finden arti­ku­lieren.

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Natürlich kann man an Schwei­gers Aktion auch eine ganze Menge kriti­sieren. Aber am Ende muss man ihm zuge­stehen: Er tut wenigs­tens etwas.

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Glück­li­cher­weise ist Til Schweiger nicht allein. Trotz großer Ferien regen sich in der Filmwelt andere Initia­tiven. Bestimmt gibt es auch in München, Köln, Stuttgart und Hamburg ähnliches – ich kann hier jetzt nur über das schreiben, was Gian Piero Ringel von der »Neue Road Movies« dieser Tage gemacht hat:
Unter der Über­schrift »Catering für Kriegs­flücht­linge in Berlin« schreibt er da über seine Scham gegenüber den Attacken auf Flücht­lings­heime »in ganz Deutsch­land, aber speziell bei uns im Osten«, und antwortet darauf mit einer sehr konreten Aktion: Essens­ver­sor­gung mit mindes­tens 500 Halal-Mahl­zeiten durch das Film­ca­te­ring von Caterer André Ambach.
Berechnet werden nur Einkauf und Personal, trotzdem bittet Ringel um Spenden. Viel­leicht bringt dieser Aufruf ja auch andere auf gute Ideen.

(To be continued)