05.02.2015
65. Berlinale 2015

»Je ne suis pas Dieter Kosslick!«

Mannomann - nur Dritter!
Mannomann – nur Dritter!

Eine Karte für Frau Meier, Voltaire am Potsdamer Platz und das drittbeste Festival der Welt – zum heutigen Auftakt der Berlinale

Von Rüdiger Suchsland

»Aber sie bekommen doch ihre Karte. Sie können sich ihre Karte an der Kasse abholen.« Dieter Kosslick wollte nett sein. Schließ­lich war da gerade jemand nett zu ihm gewesen. Wobei... das wusste er ja gar nicht. Also der Reihe nach: Meine Tech­ni­kerin neulich beim Radio, eine der vielen netten tollen Kräfte im ARD-Haupt­stadt­studio, ihren Namen möchte ich jetzt trotzdem nicht hinschreiben, erzählte mir, als die Rede auf die Berlinale kam, von einer Sendung letztes Jahr im Deutsch­land­radio Kultur. Da gibt es Samstag morgens immer eine Diskus­si­ons­platt­form, bei der Hörer anrufen können, zwei Stunden lang. Man dachte beim DLR wohl: Kosslick – gute Idee, der redet so viel, dann noch Hörer, ein Selbst­läufer. Pech nur, dass kein Hörer anrief. Keiner. Eine halbe Stunde lang. Berliner gehen ja später ins Bett als Münchner, also war 9.30 Uhr am Samstag viel­leicht noch ein bisschen früh, aber Deutsch­land­radio Kultur läuft ja bundes­weit, sogar in Dresden, und irgend­einer wird doch wohl auch außerhalb der BVG-Ringbahn noch von der Berlinale gehört haben. Inter­es­siert aber offenbar keinen. Jeden­falls Kosslick, allein, ohne Hörer, der Mode­ra­torin gingen spürbar die Fragen aus, Kosslick redete schon längst nicht mehr über Filme, sondern übers Essen, »die Luft war raus, es war zäh und lang­weilig« sagte meine Tech­ni­kerin, so weit, so wenig über­ra­schend. Die Tech­ni­kerin aber, die von zuhause zuhörte, hatte Mitleid. Nicht mit Kosslick, mit der Mode­ra­torin. Also rief sie selber an. Stellte eine Frage zum Karten­kauf, der ja so kompli­ziert geworden sei. Kosslick, wie er so ist, fing die Frage geschickt auf, konterte mit der Fest­stel­lung: »Aber das ist doch ganz einfach.« Sie können ihre Karte einfach unten am roten Teppich abholen. Wie ist ihr Name? Nun hatte die Tech­ni­kerin, weil man sie ja im Hause kennt und womöglich unter ihrem richtigen Namen gar nicht zur Sendung durch­ge­stellt hätte, einen falschen Namen angegeben. Und so sagte sie Kosslick: »Ich bin Frau Meier.« »Ah, Frau Meier...« »Man konnte richtig hören, wie Kosslicks Stimme im Satz innehielt.« erzählte die Tech­ni­kerin, »und er nach­dachte: Wenn jetzt alle Frau Meiers aus Berlin kommen, und eine Karte wollen... Und was wird dann aus den ganzen Frei­karten für die Bundes­tags­ab­ge­ord­neten?«
Jeden­falls liegt da jetzt irgendwo am Roten Teppich, viel­leicht auch darunter oder daneben, jeden­falls »unten«, hautnahe am fetzigen Berlinale-Geschehen, eine Karte für Frau Meier.

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»Ich werde sie mir nicht holen. Ich gehe dieses Jahr nämlich gar nicht auf die Berlinale.« sagte mir die Tech­ni­kerin dann noch. Sie sei nämlich genervt, weil es mit den Karten wirklich immer kompli­zierter werde. »Da muss man drei Tage vorher anstehen, und dann kriegt man nie, was man will, sondern soll irgend­etwas nehmen, was man gar nicht haben wollte. Das ist mir zu blöd.« Außerdem seien die Filme in den letzten Jahren immer schlechter geworden. Recht hat sie.
»Publi­kums­fes­tival«, das klingt halt viel volks­tüm­li­cher, als es ist, fast so wie »Kiezkino.« Der Berlinale-LiLaLau­nebär weiß schon, wie man den Berlinern den Bart krault.

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An diesem Donnerstag startet in den deutschen Kinos mal wieder ein gutes Dutzend Filme. Unter anderem Blackhat, das neue, im übrigen ganz ausge­zeich­nete Werk von Michael Mann und dann Jupiter Ascending, ein ziemlich vulgärer, aber unter­halt­samer Fantasy-Knaller von den Wachowski-Geschwis­tern. Beides in jedem Fall star­lastig, beides Spek­ta­kel­kino, das auch in Amerika erst jetzt rauskommt, man könnte also wunder­bare Europa-Premieren daraus basteln. Hier zeigt sich ein erstes Problem: Es gelingt der Berlinale einfach nicht mehr, solche Filme und ihre Stars nach Berlin zu holen.

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Aber wenn das mal alles wäre. Die Berlinale behauptet von sich selber gern, sie sei ein wahn­sinnig poli­ti­sches Film­fes­tival, überhaupt eigent­lich das poli­tischste Film­fes­tival der Welt. Man kämpft für die Freiheit von Dissi­denten, gegen Dikta­turen und den Hunger in der Welt... Wobei... Ob die Sektion »Kuli­na­ri­sches Kino« mit ihren First-Class-Köchen und 5-Sterne-Schaum­süpp­chen jetzt ange­sichts des Hungers in der Welt... Aber egal. Weiter. Jeden­falls politisch, Freiheit und Menschen­rechte werden hier groß­ge­schrieben, wie man so sagt, also FREIHEIT und MENSCHENRECHTE. Wie steht es damit aber auf der Berlinale selbst? Die ist mit ihren Absper­rungen und VIP-Bereichen eher eine Variante der post­mo­dernen Kontroll- und Diszi­pli­nar­ge­sell­schaft, aber das gilt irgendwie leider für alle drei A-Film­fes­ti­vals, auch wenn Cannes das immer noch eleganter hinbe­kommt, aber auch nicht besser.
Aber warum dürfen die DFFB-Studenten eigent­lich keinen Stand auf der Berlinale machen, um dort auf ihren Kampf um Mitbe­stim­mung aufmerksam zu machen? Die Studis wollen sich nicht von einer Kommis­sion, die von Björn Böhning, dem Büro­leiter des Regie­renden Bürger­meis­ters moderiert und tenden­ziell mani­pu­liert wird, gegen ihren Willen eine neue Leitung verpassen lassen, nachdem der letzte auf diese Art bestimmte Leiter, Jan Schütte, ein Griff ins Klo war, um es mal freund­lich auszu­drü­cken. Warum also dürfen diese Filme­ma­cher von morgen nicht heute für ihre Rechte kämpfen? Werden sie hoffent­lich trotzdem tun, was kann ihnen denn die Berlinale schon verbieten? Noch haben wir selbst im – theo­re­tisch – Privat­gelände um den Potsdamer Platz, wo die Polizei nur geduldet ist, aber kein Hausherr, keine Putin­schen Verhält­nisse.

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Apropos Putin. »Wenn wir in Russland wären, würdest Du nach Deinen Texten keine Berlinale-Akkre­di­tie­rung bekommen«, sagte mir neulich ein russischs­täm­miger Filme­ma­cher, der meinen Cinema-Moralia-Kommentar gelesen hatte, in der ich das Nicht-Verfahren bei der Vertrags­ver­län­ge­rung des Berlinale-Leiters kommen­tiert habe. Tja, da hab ich ja noch Glück gehabt, das ist mir auch sehr bewusst.
Den schönen Voltaire-Satz »Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst«, würde Dieter Kosslick in Bezug auf die Berlinale dann aber wohl doch nicht formu­lieren. Voltaire kam nicht bis zum Potsdamer Platz.
Da kann ich nur entge­gen­setzen: »Je ne suis pas Dieter Kosslick!«

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Am Dienstag habe ich eine E-Mail an Frauke Greiner geschrieben, die Pres­se­chefin der Berlinale. Ich schätze Frauke Greiner sehr, sowohl persön­lich und mensch­lich als auch, weil sie ohne Frage ihren Job sehr gut macht. Die Tatsache, dass wir nicht immer einer Meinung sind, das können wir auch gar nicht, und dass wir ganz verschie­dene Inter­essen haben, schlicht gesagt auch an verschie­denen Seiten sitzen, tut meiner Wert­schät­zung und dem Respekt keinen Abbruch. Zudem kann man es ja mal so ausdrü­cken: Wer unter Dieter Kosslick Pres­se­ar­beit machen und zu seinem Film­pro­gramm und den vielen irri­tie­renden Entschei­dungen immer gute Miene machen muss, der hat es auch nicht leicht.
An Frauke Greiner schrieb ich jeden­falls eine E-Mail, in der ich höflich fragte, ob ich denn wie in den letzten mindes­tens zehn Jahren, wieder eine Einla­dungs­karte zur Berlinale-Eröff­nungs­feier bekommen würde?
Ein paar Stunden später kam von Frauke die deutlich, aber auch irgendwie lustig formu­lierte Antwort zurück: »Ich muss Dich leider enttäu­schen.« Kein Satz mehr, keine Begrün­dung. Aber die Botschaft war klar.
Am liebsten hätte ich zurück­ge­schrieben, dass mich das gar nicht so sehr enttäuscht, sondern ich es fast erwartet hatte, und dann auch wieder nicht, weil zu meinem Respekt vor Frauke Greiner ja gehört, dass ich sie ungemein profes­sio­nell finde. Diese Antwort aller­dings finde ich nur profes­sio­nell formu­liert.
Denn eigent­lich vermit­telt sie ja ein Kompli­ment: Deine Texte haben Wirkung! Man muss nicht beim Spiegel ätzen, oder einen FAZ-Leit­ar­tikel schreiben, sondern artechock trifft auch. Hätt' ich mir zwar fast gedacht, aber danke dafür!

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Neulich hat die FAZ etwas überaus Unge­wöhn­li­ches, ja Merk­wür­diges gemacht, etwas was sie noch nie gemacht hat, in den 14 Jahren, in denen Dieter Kosslick Berlinale-Chef ist. Und was sie, wage ich mal zu sagen, auch nicht gemacht hätte, wenn Michael Althen noch leben und das Film-Ressort leiten würde. Jeden­falls nicht in dieser Form. Da kam nämlich im Feuil­leton ein Interview mit Dieter Kosslick. Ziemlich unmo­ti­viert, aus heiterem Himmel, am 14. Januar. Was soll das denn?, fragte man sich als regel­mäßiger FAZ-Leser, am 14. Januar!! Hallo? Drei Wochen vor der Berlinale, einfach so, das macht nicht mal die Berliner Morgen­post. Und dann die Fragen... Hart und kritisch, wie: »Wo steht die Berlinale inter­na­tional?« oder »Sehen Sie ein Thema, das die dies­jäh­rigen Einrei­chungen verbindet?«
Gut, das Interview stammte von Jörg Michael Seewald, der norma­ler­weise nicht im FAZ-Feuil­leton schreibt, sondern auf der Medi­en­seite, und den mit der Berlinale die Vorge­schichte verbindet, dass nach einem seiner Texte vor einein­halb Jahren schon mal eine Rich­tig­stel­lung von Frauke Greiner in Leser­brief­form in der FAZ veröf­fent­licht wurde.
Womöglich wollte da jemand was gutmachen?

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Inter­es­santer aber ist eine der Antworten des Berli­nale­chefs: »Die Berlinale wird 65 Jahre alt. Sie ist das einzige A-Film­fes­tival, das Deutsch­land kreiert hat im Konzert mit Cannes und Venedig.« [Zwischen­be­mer­kung: Mehr als ein A-Festival darf kein Land haben, und »kreieren« schon gar nicht] »Im inter­na­tio­nalen Vergleich sind wir auf dem dritten Platz. Da fühlen wir uns wohl. Die Frage ist: Wer ist Nummer zwei? Nummer eins ist eindeutig, und so schauen wir mal: Man weiß aus der Formel 1, dass es gar nicht dumm ist, ein Stück weiter hinten zu fahren, wenn man überholen möchte.«
Nun gibt’s bei der Formel 1 auch Wind­schatten mit entspre­chender Sogwir­kung, das Bild ist also mal wieder Stuss, aber entschei­dend ist, dass Dieter Kosslick hier sagt: Wir sind nur Dritter. Und das ist auch gut so.
Echt jetzt? Mehr nicht? Mannomann, die Berlinale ist ganz schön bescheiden geworden.