03.09.2009
66. Filmfestspiele von Venedig 2009

Gefühl, Erdbeben, Kühe und eine grüne Revo­lu­tion

Baarìa - La porta del vento
Eröffnungsfilm als Heimspiel: Baarìa – La porta del vento
(Foto: Tobis Film)

Die Filmfestspiele von Venedig eröffnen mit Tornatore und bieten viel Politik

Von Rüdiger Suchsland

Die Film­fest­spiele von Venedig eröffnen mit Tornatore und bieten viel Politik

Gold­gelbes Licht, viel gefühl­volle Musik und ein nied­li­cher Junge, der mit großen Augen auf die Welt blickt – das muss wohl ein Film von Guiseppe Tornatore sein. An Cinema Paradiso, den berühm­testen Film von Tornatore und einen der letzten Welt­erfolge des so tradi­ti­ons­rei­chen italie­ni­schen Kinos erinnert auch Baarìa, Torna­tores neuestes Werk, mit dem am Mitt­woch­abend die 66. Ausgabe der Film­fest­spiele von Venedig eröffnet wurde.
Mit überaus viel Senti­men­ta­lität erzählt Tornatore darin die Geschichte eines sizi­alia­ni­schen Jungen und seiner Familie zwischen den 1930er und 1980er Jahren – ein Panorama des 20. Jahr­hun­derts, zugleich aber auch die sehr persön­liche Geschichte von Torna­tores Vater. Die Wahl dieses Eröff­nungs­films für den Wett­be­werb um den Goldenen Löwen, des ersten italie­ni­schen seit vielen Jahren, ist auch eine Verbeu­gung des Festi­val­di­rek­tors Marco Mueller vor dem italie­ni­schen Kino, das zuletzt – wenn überhaupt – eher in Cannes Triumphe feierte: 2008 gewannen dort Gomorra und Il divo bedeu­tende Preise.

Im Programm zwischen Bauzäunen und Werks­con­tai­nern finden sich die neuen Filme von – unter anderem – Oliver Stone, Patrice Chereau, Claire Denis, Michael Moore, Michele Placido, Jacques Rivette, George Romero, Abel Ferrara und Todd Solondz. Preis­chancen im Wett­be­werb dürften dennoch andere Filme haben. Zum heutigen Auftakt wird The Road vom Austra­lier John Hillcoat besonders gespannt erwartet: Der Regisseur ist in der Filmszene zwar noch ein unbe­schrie­benes Blatt, beim Stoff handelt es sich aber um die Verfil­mung des neuesten – und mit dem Pulitzer-Preis ausge­zeich­neten – Romans von US-Autor Cormac McCarthy, der bereits den Oscar-Erfolg No Country for Old Men von den Coen-Brüdern schrieb. Charlize Theron, bekannt für ihre kluge Rollen­wahl abseits des Main­stream, spielt hier eine der Haupt­rollen.

Gleich zwei Beiträge aus Deutsch­land konkur­rieren unter 21 Filmen um den Goldenen Löwen: Soul Kitchen von Fatih Akin, in dem Moritz Bleibtreu einen Restau­rant­be­sitzer in Schwie­rig­keiten spielt, und Bad Lieu­tenant von Werner Herzog – das Remake des gleich­na­migen Abel-Ferrara-Films, mit Nicholas Cage in der Haupt­rolle. Bereits im Vorfeld hatten sich Herzog und der über das Remake offenbar wenig glück­liche Ferrara über die Medien heftige Wort­du­elle geliefert.

Darüber hinaus bietet das Festival auch abseits des Wett­be­werbs, in dem die Jury unter Vorsitz von Ang Lee am Ende die Preise vergibt, zwei unaus­ge­spro­chene – und sehr poli­ti­sche – Schwer­punkte: Gleich vier Filme kommen aus dem Iran. Im Wett­be­werb läuft Women Without Men, der erste Kinofilm der Video-Künst­lerin Shirin Neshat, der 1953 in Teheran während des von der CIA orches­trierten Mili­tär­put­sches spielt. Noch brisanter dürfte Green Days von der erst 21-jährigen Hana Makhmalbaf werden. Die Regis­seurin, jüngstes Mitglied der im Pariser Exil lebenden bekannten Film­fa­milie, hatte während der Unruhen im Juni, der »Grünen Revo­lu­tion« spontan diesen semi­do­ku­men­ta­ri­schen Film gedreht.

Der zweite Schwer­punkt gilt China: Gleich sieben Filme kommen von dort. Auch hier ist vieles halb­do­ku­men­ta­risch, bietet Bilder aus der chine­si­schen Wirk­lich­keit in oft neuen Bild­spra­chen. Junge chine­si­sche Regis­seure – manche sprechen hier bereits von der »Siebten Gene­ra­tion« – entdecken das Privat­leben und ihre Indi­vi­dua­lität – ein Novum in einem Land, indem »Familie« und »Gemein­schaft« immer wichtiger genommen wurden als der einzelne. Dafür steht zum Beispiel Guo Xiaolu, die erst vor vier Wochen mit ihren Spielfilm She, a Chinese den Wett­be­werb von Locarno gewann. Guo ist ein Multi­ta­lent, sie schreibt auch Romane – allein drei wurden bereits ins Deutsche übersetzt. Der neue Film dieser unab­hän­gigen Künst­lerin heißt Once Upon A Prole­ta­rian (»Es war einmal ein Prole­ta­rier«) und ist eine Doku­men­ta­tion – eine Anatomie des zeit­genös­si­schen China.

Eine andere, in China verbotene, Doku­men­ta­tion ist 1428. Hier erzählt Haibin Du vom Rettungs­chaos und nach­fol­genden Vertu­schungen rund um das große Erdbeben von »Sichuan« im Juni 2008. Eine histo­ri­sche Parabel bietet Hu Guan in Cow. Der Regisseur erzählt vom Schicksal einer Kuh inmitten der chine­sisch-japa­ni­schen Front des Zweiten Welt­kriegs. In Judge von Jie Lou steht ein Richter im Zentrum, dessen Entschei­dung für einen von zwei Menschen den sicheren Tod bedeutet.
Ein politisch span­nendes Werk erwartet man besonders von Lei Wang-zis Film Yonfan, der von den taiwa­ne­sisch-chine­si­schen Bezie­hungen handelt, und vom »weißen Terror« chine­si­scher Faschisten im Taiwan der 50er Jahre. Große Erwar­tungen auf eine künst­le­risch wie politisch spannende Mostra – in zwölf Tagen weiß man, ob sie sich erfüllt haben.