The Wrestler

USA 2008 · 105 min. · FSK: ab 12
Regie: Darren Aronofsky
Drehbuch:
Kamera: Maryse Alberti
Darsteller: Mickey Rourke, Marisa Tomei, Evan Rachel Wood, Mark Margolis, Todd Barry u.a.
I'm still standing: Randy »The Ram« (Mickey Rourke)

Einsame Entscheidung

Selbst die virtu­ellen Körper altern. Wenn schon sein geschun­dener realer Leib dem Vergehen der Jahre immer mehr Tribut zollen muss, so hätte doch Randy »The Ram« Robinson wohl gehofft, dass dessen Abbilder ein Ding für die Ewigkeit seien. Aber wenn auch sein Pixel-Alter Ego völlig uner­müd­lich auf Knopf­druck genauso munter, hoch und schnell hüpft, so kräftig tritt und schlägt wie eh und je – was hilft das, wenn dieser Bild­röhren-Body auf 8-Bit Tech­no­logie basiert? Die Tage von Randys Ruhm waren noch die Tage des Nintendo Enter­tain­ment System. Das Wrestling-Game, das ihn da schein-verewigt hat, ist so hoff­nungslos veraltet wie die Konsole, auf der es lief. Den Nach­bars­jungen, den Randy immer wieder zum Spielen überredet, lockt er damit nicht mehr wirklich hinter dem Ofen hervor. Der würde lieber »Call of Duty 4« auf der aktuellen Xbox zocken. Für den ist die Blöck­chen­grafik nicht weniger Zeichen von Alter, als es Falten, Narben und müde Muskeln sind.
Ein ander Mal sitzen Randy und ein paar Wrestler-Kollegen von damals, ein paar nicht minder abge­half­terte, ange­schrammte Ex-Stars, in einer Turnhalle und halten Hof für die letzten Treuen der Fans, die sich dorthin verirren, um sich Auto­gramme und Fotos mit ihren Idolen zu holen – gegen Geld, versteht sich. Ein lächer­lich geringes Zubrot für die einstigen Groß­ver­diener der Szene. Sie verkaufen dort auch Filme von ihren einstigen Erfolgen, Helden­taten. Diese Filme sind auf VHS-Kassetten. Auch hier ist die Zeit gnadenlos – ist die Tech­no­logie kein Verbün­deter im Ringen gegen den Verfall.

Wenn aber schon die virtu­ellen Körper von der Zeit so wenig verschont bleiben – wie ungleich unbarm­her­ziger ist sie dann erst zum realen mensch­li­chen Fleisch.
The Wrestler ist zual­ler­erst ein Film über Narben. Über die sicht­baren und die unsicht­baren, wie könnte es anders sein – aber zunächst einmal konse­quent über die sicht­baren. Es ist ein Film von atem­be­rau­bender, scho­nungs­loser Körper­lich­keit – voller Schweiß und Blut, ein Film, den man so sehr zu spüren und zu riechen scheint wie zu sehen.
Lange darf man erstmal miter­leben, was Randys Körper so kaputt gemacht hat: Einer­seits das knochen­harte Wrestling an sich – und weil er in der Topliga schon lange nicht mehr mithalten kann, weil es dort jüngere und fittere Performer braucht, mit einem frischeren, zeit­ge­mäßeren Image, deshalb ist Randy inzwi­schen in den Niede­rungen des Extreme Wrestling ange­kommen, wo echtes Blut zur Show, wo zu den Requi­siten Stachel­draht und Tacker­pis­tolen gehören. Ande­rer­seits setzt Randy der in diesem Business gängige Gebrauch zu von Steroiden und anderen Phar­ma­er­zeug­nissen, die nicht aus der Apotheke auf Rezept besorgt werden. Was ihn einst fitter machen sollte, als die Natur es ohne Nachhilfe erlaubte, verlangt jetzt zunehmend seinen Tribut.
The Wrestler, wie gesagt, behauptet diesen Körper­stress nicht nur, er macht ihn fühlbar – genauso wie den Adrenalin-Kick, den diese atavis­ti­schen Kampf­spek­takel verur­sa­chen. Schmerz und Faszi­na­tion sind da untrennbar mitein­ander verbunden. Und als Randy schließ­lich an dem Punkt ist, da er erfährt, dass er seinem Leib endgültig zulange zuviel zugemutet hat, da ist das für den Zuschauer nicht einfach nur eine Dreh­buch­si­tua­tion, ein drama­tur­gi­scher Ausgangs­punkt. Da fühlt man längst in jeder Hinsicht mit ihm, da kann man die Schmerzen und die Müdigkeit der Glieder so stark nach­voll­ziehen wie Randys Sucht nach seinem Sport. Denn nicht, dass er zu alt wird für seinen Beruf ist Randys Problem. Sein Problem ist, dass er nichts anderes kann, dass er nicht anders kann. Das Wrestling ist seine Berufung.

Es ist keine geringe Über­ra­schung, dass The Wrestler ein Film von Darren Aronovsky ist. Der hat sich als Regisseur ja bisher durch extrem stili­sierte, arti­fi­zi­elle Filmen wie Pi, Requiem for a Dream und The Fountain hervor­getan – Filme, in denen die Regie, die Bilder und der Schnitt die wahre Haupt­rolle spielten. Umso erstaun­li­cher nicht nur, dass er sich nun eines Stoffs mit solch starker Boden­haf­tung annimmt. Sondern vor allem, dass er es mit solcher von ihm ganz unge­wohnter stilis­ti­scher Zurück­hal­tung tut.
Aronovsky hat exakt begriffen, was dieser Film braucht: Das Gefühl von Wahr­haf­tig­keit. Und das gibt er ihm in jedem Moment. Da mieft nichts nach Studio, Filmset oder gar Hollywood. Da scheint alles so in der tristen Wirk­lich­keit des Suburbias von New Jersey ange­kommen wie sein Prot­ago­nist. Da atmet jedes Detail Authen­ti­zität, hängt in jeder Tapete, in jedem Mehr­zweck­hal­len­fußboden das echte Gefühl von Versagen und stiller Verzweif­lung.
Und die Zurück­hal­tung, die Aronofsky Kamera und Schnitt auferlegt, die verlangt er auch seinen Darstel­lern ab: Er weiß immer genau, wo ein Wort mehr, eine etwas größere Geste zuviel gewesen wäre. Da stimmt jede halber­haschte Berührung auf den Milli­meter.

Wäre das nicht so, wäre The Wrestler in die falschen Hände gefallen, hätte das Drehbuch vermut­lich auch das Zeug gehabt zu einem unüber­zeu­genden, süßlichen, manchmal etwas klischee­haften TV-Movie der Woche. Dass er davon meilen­weit entfernt ist, liegt freilich nicht nur an Aron­ofskys Regie: Es liegt an Mickey Rourke.
Man kann sich nurmehr schwer vorstellen, dass überhaupt je jemand an eine andere Besetzung von Randy »The Ram« auch nur denken konnte. Jeder andere hätte diese Rolle nur gespielt. Mickey Rourke ist Randy.
Das ist wie beim Wrestling, das ja auch eine eigent­lich gar nicht so unkom­plexe Melange aus Fiktion und Realität ist: Freilich ist der Ausgang des Matches abge­spro­chen, oft bis in die einzelnen Moves hinein choreo­gra­phiert, freilich spielen die Akteure im Ring nur ihre Charak­tere. Aber die Akrobatik ist deswegen nicht minder beein­dru­ckend, ein Sprung aus mehreren Metern Höhe bleibt ein Sprung aus mehreren Metern Höhe.
Und freilich hat sich Mickey Rourke nicht einfach so, wie er ist, vor die Kamera gestellt. Aber Film ist eben immer zu einem gewissen Anteil auch ein doku­men­ta­ri­sches, weil foto­gra­fi­sches Medium, und Rourke war schon immer durch und durch ein FILM­schau­spieler: Einer, der wirkt über das, was er aus seinem Leben, aus seiner Persön­lich­keit ins Gesicht und auf den Leib geschrieben mitbringt. Er war schon in Adrian Lynes konser­va­tivem, asep­ti­schen »Konsum ist geil«-Porno 9 1/2 Weeks das eine bisschen wahre, dreckige Körper­lich­keit. Und mit jedem Exzess und jedem Rück­schlag, mit jeder bizarren Volte, die er seiner Karriere und seiner Biografie gab, hat sich nur noch mehr Erfahrung, noch mehr Geschichte abge­la­gert.
Seine Muskeln sind nicht die eines Hollywood-Stars, der sie sich mal eben für den Part antrai­niert hat. Seine Muskeln sind die von einem, der immer wieder geschwankt hat zwischen einer Karriere im Kino oder als Boxer, der selbst als er schon viel zu alt dafür war nochmal meinte, in den Ring steigen zu müssen.
Man kann nur hoffen, dass The Wrestler nun wirklich das Comeback für Rourke ist, von dem seit dem Sieg des Films in Venedig alle sprechen. Sollte dabei aber nicht vergessen, dass Rourke die letzten Jahre nie wirklich weg war, dass er so viele Filme mit teils bizarren (Double Team, ohnehin ein bizarrer Film), teils großar­tigen (The Rainmaker, Get Carter, The Pledge) Gast­auf­tritten veredelt hat, und dass es schon bei Spun hieß: Das ist das Comeback eines geläu­terten Mickey Rourkes.
Denn, ja, Rourke ist selbst­ver­s­tänd­lich auch wie Randy »The Ram« Robinson eine ehemalige Ikon der ‘80er, die in Ungnade gefallen ist, die von den höchsten Höhen des Ruhms sich nach ziemlich weit unten gear­beitet hat und um ihren beschei­denen Platz im Show­busi­ness kämpfen muss.
(Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass The Wrestler – durch den Guns'n'Roses irgendwie unter­schwellig wie ein unsicht­barer Schutz­pa­tron des unver­bes­ser­li­chen Hairmetal-Fans Randys schwur­beln – fast zeit­gleich mit Axl Roses kurioser Selbst­de­mon­tage »Chineses Democracy« erschienen ist; noch so einer aus der Ära Hulk Hogans, der nicht aufhören kann...)
Mickey Rourke verkör­pert im wahrsten Sinne des Wortes Randy »The Ram«. Die Schrammen der beiden, äußerlich wie innerlich, sind über weite Strecken deckungs­gleich, und der Film ist sich voll dessen bewusst, dass dies zu den wich­tigsten Posten auf seiner Haben-Seite gehört.

The Wrestler wäre durch all das schon alleine ein großar­tiger Film, selbst wenn er narrativ einfach nur jenen Weg gehen würde, der ihm, von Anfang an, von den vertrauten Hollywood-Mustern her, vorge­zeichnet scheint: Wenn er eine jener üblichen Geschichten erzählen würde von einem Mensch, der durch eine Krise zu sich und seiner entfrem­deten Familie, der durch die Liebe zu einem neuen Sinn findet.
Doch The Wrestler hat ein anderes Ziel vor Augen, The Wrestler glaubt letzten Endes nicht an diese Patent­lö­sung. Das Angebot dazu aller­dings scheint offen­sicht­lich genug: Da ist die Strip­perin Cassidy (die wunder­bare Marisa Tomei), mit der Randy offen­sicht­lich schon lange eine etwas kompli­zierte halb geschäft­liche, halb freund­schaft­liche Beziehung verbindet. Auch sie ist in einem Geschäft, das wenig Mitleid hat für alternde Körper, auch sie ist an dem Punkt, wo das unver­meid­liche Ende ihres Berufs abzusehen ist – aber nicht das Leben danach. Da wären zwei, die wüssten wie das ist, wenn der eigene Leib in jeglicher, auch finan­zi­eller Hinsicht die Exis­tenz­grund­lage ist, und wenn deren Verfall, wie man’s nimmt, zu schnell oder zu langsam geht: Zu schnell, weil er das Bedürfnis überholt, seiner Tätigkeit weiter nach­zu­gehen. Zu langsam, weil sich dennoch Jahre an weiterer Lebens­er­war­tung auftun, die mit irgend­etwas gefüllt sein wollen. Es scheinen die beiden eigent­lich eine ideale Kombi­na­tion, um – wie man so sagt – gemeinsam alt zu werden.
Und da ist Randys entfrem­dete Tochter Stephanie (Evan Rachel Wood), die einer­seits froh ist, dass sie sich endlich ein Leben geschaffen hat, aus dem die Existenz ihres Vaters schlichtweg getilgt ist. Die aber ande­rer­seits insgeheim, ganz tief drinnen, noch immer darauf wartet und hofft, dass er wieder auftaucht darin und endlich die Rolle spielt, die ihm eigent­lich zugedacht wäre. Randys Versuche, genau das zu tun, sind freilich so unbe­holfen, so rührend und brutal daneben zugleich, wie die Bemühungen eines Elefanten, dem Besitzer eines von ihm unab­sicht­lich zertram­pelten Porzel­lan­la­dens beim Wieder­aufbau zu helfen.
Aber The Wrestler traut sich zu sagen: Es gibt Dinge, die können manche Menschen, und Dinge, die können sie nicht. Die sind ihnen nicht gegeben. Auch zu Liebe und Familie gehört ein Talent – das sind nicht die magischen Alles(wieder)gutmacher für jeden.
Es gibt für manche Menschen andere Leiden­schaften, andere Bega­bungen. Und es kann sein, dass diese sie einsam machen. Dass sie nicht in ihre Zeit und Welt passen. Und dass sie nicht gesund für sie sind.
Aber wenn man schon nicht wirklich die Wahl hat, dann soll man, verdammt noch mal, das tun, was man kann und was einen so glücklich macht, wie’s halt nunmal geht.
Und dass The Wrestler dazu den Mut hat, das macht ihn von einem großar­tigen Film zu einem wahrhaft großen.

Großer Abgang

Nach einem Vorspann, der ganz im Stil der 80er Jahre gehalten ist, bei dem zu völlig veral­teter Rockmusik Fotos und Poster aus Randy 'The Ram' Robinsons Wrestler-Karriere dem Zuschauer gezeigt werden, ist eigent­lich alles schon vorbei. Das Bild bleibt einen Moment lang schwarz und man hört ein röchelndes Husten kurz bevor man sich auch visuell in einer völlig zerstörten Welt eines um 20 Jahre älteren Mannes wieder­findet. Die großen Hallen der Vergan­gen­heit sind zu schäbigen Provinz-Turn­hallen geworden. Der einstige Star wohnt nun in einem winzigen Trailer und lebt nur noch in der Vergan­gen­heit der 80er Jahre. Er hat eine künst­liche, grell­blond gefärbte Matte auf dem Kopf, unter seinem Fernseher steht ein uralter Nintendo, er legt scheinbar nur fürch­ter­lichste Hair-Metal-Bands auf, trägt ein Hörgerät, das er bei seinen Auftritten ablegt, als würde das etwas an seiner Situation verändern. Mit der Gegenwart hat dieser Mann schon lange nichts mehr zu tun.

Vieles wurde bereits geschrieben über Darren Aron­ofskys vierten Kinofilm und vor allem über den Haupt­dar­steller Mickey Rourke, dessen Leistung als Wieder­auf­er­ste­hung gefeiert wurde. Aus der Geschichte hätte problemlos ein ziemlich klischee­haftes Sport­ler­drama der Marke »Rocky« werden können. Zwar weicht hier die naive Helden­ge­schichte dem scho­nungs­losen Sezieren des körper­li­chen Verfalls des einstigen Helden, auch wird das Leben an der Grenze zur Armut thema­ti­siert und nicht zuletzt der routi­nierte Kauf und die Einnahme von Steroiden und sonstigen Doping­mit­teln. Dennoch ist das Drehbuch keines­wegs die Stärke des Films, was sich vor allem gegen Ende von The Wrestler bemerkbar macht: Hier ist der Film schon nahe am Kitsch und wird haupt­säch­lich durch Mickey Rourke gerettet.

Überhaupt: Wer inter­es­siert sich heut­zu­tage noch für Wrestling, diese seltsame Mischung aus Sport und Show, die vor Ewig­keiten sogar in Europa mehr oder weniger populär gewesen ist? Aber darum geht es eigent­lich nicht. Der Film zeigt zwar in einigen Szenen den Alltag von eher erfolg­losen Berufs­w­rest­lern, zeigt sie in der Umklei­de­ka­bine und präsen­tiert ihre Abspra­chen vor den Kämpfen, die wiederum trotz aller Gefälscht­heit äußerst anstren­gend und stel­len­weise sehr brutal darge­stellt werden. Selbst eher unbe­kannte Einzel­heiten werden dem Zuschauer präsen­tiert, wie beispiels­weise sich im Ring heimlich selbst zu verletzen, um den Kampf realis­ti­scher werden zu lassen mittels versteckten Rasier­klingen. Aber das, was den Film letzten Endes ausmacht, geht über eine Milieu­studie weit hinaus.

Dass der Film funk­tio­niert liegt an Regisseur Darren Aronofsky und natürlich an Mickey Rourke. In der Tat würde der Film ohne seinen aufer­stan­denen Star nicht annähernd so funk­tio­nieren wie mit ihm. Kaum vorstellbar, wie der Film geworden wäre, wenn die Haupt­rolle wie zunächst vorge­sehen von Nicolas Cage über­nommen worden wäre. Dabei geht es zunächst noch nicht mal um die schau­spie­le­ri­sche Leistung Rourkes, sondern um die Paral­lelen zwischen dem Schau­spieler und seiner Figur. Rourkes tiefer Fall Anfang der Neunziger Jahre, seine Alkohol- und Drogen­pro­bleme und seine zum Scheitern verur­teilten Versuche als Boxer führten dazu, dass wohl kaum jemand noch an ihn als Schau­spieler geglaubt hatte. Selbst die stark beachtete Darstel­lung in der Comic-Verfil­mung Sin City hatte nicht die Qualität eines Comebacks, da hier durch zu viel Blue­screen und Make-Up der Schau­spieler verdeckt wurde. Es ist schon traurig, dass jüngere Gene­ra­tionen ihn höchstens als Prolet in B-Movies sehen konnten, dass man ihn im Internet als Para­de­bei­spiel für miss­glückte Schön­heits­ope­ra­tionen fand (und natürlich immer noch findet), dass es zuletzt kaum vorstellbar war, dass dieser Mann mit dem entstellten Gesicht einst als hervor­ra­gender Schau­spieler gefeiert worden ist. Nun, dass Letzteres seine Rich­tig­keit nach wie vor hat, konnte Mickey Rourke in Aron­ofskys Film bewiesen. Und genau wie die Geschichte von Mickey Rourke ist auch die Geschichte von Randy 'The Ram' Robinson eine tragische Ange­le­gen­heit.

Neben Rourke verblasst der Rest des hoch­karä­tigen Schau­spieler-Ensembles völlig. Marisa Tomei spielt zwar nicht in vielen Szenen mit, hat aber doch eine zentrale Rolle. Man könnte sie als das weibliche Pendant zur Haupt­figur sehen, aller­dings ist sie bei weitem nicht so durch­struk­tu­riert. Es wäre leicht, sich über ihre Rolle lustig zu machen, da es in der letzten Zeit kaum einen Film mit ihr zu geben scheint, in dem sie nicht nackt zu sehen ist. Aber die Figur macht im Kontext der Geschichte wieder Sinn, denn es geht hier um alternde Körper mit denen immer weniger und schließ­lich kein Geld mehr zu verdienen ist. Mehrfach wird die Strip­perin im Club bei ihren vergeb­li­chen Versuchen gezeigt, Kunden für einen privaten Tanz zu bekommen. Gleich bei ihrem ersten Auftritt im Film mokieren sich die Teil­nehmer eines Jung­ge­sel­len­ab­schieds über ihr Alter. Ihre eher ableh­nende Reaktion, als Randy von seinem Herz­in­farkt erzählt, ist nur folge­richtig, da beide Charak­tere dieselben Probleme haben, und es ihnen mehr oder weniger unmöglich ist, der Realität ins Gesicht zu sehen. Das erste wirklich ernst­hafte Gespräch endet mit Plat­titüden, die ganz offen­sicht­lich keine der beiden Figuren überzeugt. Dabei spielt Marisa Tomei sehr über­zeu­gend das Schwanken zwischen Empathie und der profes­sio­nellen Freund­lich­keit, die ihr durch den Beruf aufge­zwungen wird. Evan Rachel Wood überzeugt zwar als Tochter Randys, aller­dings drücken die Szenen mit ihr sehr stark auf die Tränen­drüse. Für den Film ist es dadurch vorteil­haft, dass der Hand­lungs­strang zwischen Vater und Tochter nicht ausführ­li­cher geraten ist und diese Geschichte endet, nachdem das Nötige gesagt worden ist.

Dennoch sollte bei dem ganzen Lob auf den Haupt­dar­steller Regie und Kame­ra­ar­beit nicht vergessen werden, denn so zurück­ge­nommen der Film auch insze­niert ist, lebt er doch von den Frei­heiten, die der Haupt­figur hier gegeben werden. Der Erzähl­rhythmus dabei ist sehr durch­dacht und ausge­wogen, fällt nur im letzten Drittel quali­tativ etwas ab. Die Kame­rafüh­rung ist sehr organisch und konzen­triert sich ganz auf den Kern des Films: seine Haupt­figur. Selbst in ruhigen Einstel­lungen bleibt die Kamera leicht in Bewegung, was zur doku­men­ta­ri­schen Wirkung des Films beiträgt. Sehr oft bleibt die Kamera dicht hinter Randy, folgt ihm wie in einem Interview für das Fernsehen. Schwenks sind sehr deutlich sichtbar, an einer Stelle wird sogar ein Zoom verwendet, was in heutigen Produk­tionen eigent­lich überhaupt nicht mehr geschieht. Auch die unge­wöhn­liche Länge der Einstel­lungen entspricht ganz und gar nicht den Konven­tionen einer Hollywood-Produk­tion. Vor allem im Bereich des Doku­men­tar­films bekannt ist die Kame­ra­frau Maryse Alberti und im Rahmen der Produk­ti­ons­be­din­gungen und dem Konzept des Films absolut die richtige Wahl. Es ist schon beein­dru­ckend, mit welchem Mut zur ausge­stellten Häss­lich­keit die Kamera in Detail-Aufnahmen rück­sichtslos über den alternden, verbrauchten Körper Randys fährt – und damit immer auch Mickey Rourke zur Schau gestellt wird. Randy Robinson ist ein aufge­pumptes Wrack, seine Bräune sieht krank aus, seine Muskeln wirken unnatür­lich und überall sind Narben zu sehen.

Obwohl The Wrestler ohne ausgie­bige stilis­ti­sche Spie­le­reien wie in Darren Aron­ofskys Vorgän­ger­filmen Pi – Der Film und Requiem for a Dream auskommt, ist der Film auf den zweiten Blick gar nicht so weit entfernt vom rest­li­chen Oeuvre des Regis­seurs. Auffal­lend und von der Kritik weit­ge­hend unbe­achtet geblieben ist beispiel­weise eine für Aronofsky typische, besonders durch­struk­tu­rierte Soundspur des Films: Leit­mo­ti­visch taucht immer wieder Musik auf, Randys Zusam­men­bruch wird von einem akus­ti­schen Geräusch begleitet, ebenso das Einsetzen des Hörgeräts. Insgesamt pendelt der Film zwischen lauten Geräusch­ku­lissen, die oft von charak­te­ris­ti­scher Musik ausge­füllt sind, und einer eigen­ar­tigen Stille, die durch diese Kontras­tie­rung zusätz­lich hervor­ge­hoben wird. Oft werden Szenen auch über die Akustik einge­leitet und charak­te­ri­siert: Beispiels­weise das Husten zu Beginn des Filmes lässt den Zuschauer noch vor der ersten Einstel­lung bereits ahnen, dass die guten Zeiten für Randy Robinson vorbei sind.

Das Unglaub­liche an dem Film ist, dass es sich hier um eine US-Produk­tion handelt, die mit dem Budget von nur sechs Millionen Dollar etwas geschafft hat, was man von Hollywood nicht wirklich mehr erwartet: Einen Film, der sich ganz auf die Geschichte konzen­triert – auf eine unge­schminkte Verlie­rer­ge­schichte. Darren Aron­ofskys The Wrestler, zwei­fellos schon jetzt einer der besten Filme des Jahres wird getragen von einer gran­diosen schau­spie­le­ri­schen Leistung. Mag sein, dass zu Beginn des Films die Helden­ge­schichte längst vorbei ist. Die inter­es­san­tere Geschichte fängt aber erst an!