Woody Allen – A Documentary

USA 2012 · 117 min. · FSK: ab 0
Regie: Robert B. Weide
Drehbuch:
Kamera: Buddy Squires, Bill Sheehy, Anthony Savini, Neve Cunningham, Nancy Schreiber
Schnitt: Robert B. Weide, Karoliina Tuovinen
Ein freundliches, facettenreiches Porträt

Witz, Stadtneurose und tiefere Bedeutung

Ein Doku­men­tar­film über den genialen Komiker Woody Allen, sein Leben und die Elefanten in seinem Wohn­zimmer

Es gibt viele Geschichten über Woody Allen. Komische und weniger komische. Bei der neuesten weiß man noch nicht, zu welcher Sorte sie gehört: Nach 45 Jahren hat Kontroll­freak Allen seinen deutschen Synchron­spre­cher, den 83-jährigen Wolfgang Draeger, der seit Mitte der sechziger Jahre Allen in 34 Filmen synchro­ni­sierte, raus­ge­worfen. Der Grund: Eine Kiefer­ope­ra­tion, die dessen Stimme altern ließ. Ist das nun gnadenlos, oder profes­sio­nell?
»Über mich werden so viele Märchen erzählt, es hat schon fast mytho­lo­gi­schen Charakter. Vieles ist über­trieben, einiges schlicht unwahr. Manches stimmt natürlich auch.« – so spricht der Meister selbst in diesem Film. 48 Filme hat er bislang als Regisseur gedreht, zu 70 Titeln das Drehbuch geschrieben und allein 14 Oscar­no­mi­nie­rungen bekam er in der Kategorie für das »Beste Drehbuch«. Der inzwi­schen 76-Jährige schreibt diese Scrips übrigens bis heute auf einer alten mecha­ni­schen Olympia-Schreib­ma­schine, die er mit 16 Jahren in Brooklyn gekauft hat, und die bis heute funk­tio­niert.

Woody Allen, keine Frage, ist auf seine Art ebenso ein absurder Kauz wie ein Genie, eine hoch­in­ter­es­sante Persön­lich­keit, mit einigen Abgründen, und es war höchste Zeit, das er einmal zum Objekt eines Doku­men­tar­films werden würde. Es ist nicht leicht, Woody Allen zu sein, das ist eines der Ergeb­nisse von Robert B. Weides zweis­tün­digem Doku­men­tar­film, die Kino­ver­sion einer Drei­stun­den­fas­sung, die für die ameri­ka­ni­sche Doku­mentar-Fern­seh­reihe »American Masters« entstanden ist, in der Filme­ma­cher porträ­tiert werden.

Dieser Film, der unter anderem von Allen Schwester Letty Aronson kopro­du­ziert wurde, ist ein freund­li­ches, gleich­wohl facet­ten­rei­ches Porträt, und ein großes Zuschauer-Vergnügen – und auch wenn wir kaum je wirklich unter die Ober­fläche dieses Charak­ters, hinter das Bild des öffent­li­chen Woody Allen kommen, dürfte es der Film sein, der uns die bisher intimsten Einsichten in Allen Person und sein Werk beschert. Denn wenn man sich auf der einen Seite – in mühe­voller Arbeit, wie der Regisseur inzwi­schen erklärt hat – die Mitarbeit Allens mit thema­ti­schen Kompro­missen und einer unkri­ti­schen Grund­hal­tung erkaufte, hat das ande­rer­seits eben den Effekt, dass Allen viel im Film zu sehen ist, fort­wäh­rend bestimmte Dinge und Ereig­nisse kommen­tiert – was für den Betrachter ein überaus großes Vergnügen ist.

Dabei ist es nicht so, dass nicht etwa auch Themen ange­spro­chen würden, die für Allen unbequem sind, etwa das weltweit publi­zierte Ende seiner Ehe mit Mia Farrow und die folgende Schei­dungs­schlamm­schlacht inklusive dem Vorwurf des Kindes­miss­brauchs seiner Adop­tiv­tochter Soon-Yi, die heute seine dritte Frau ist. Nur geht es nicht tiefer, wird die Frage nicht aufge­worfen, welche Folgen, unab­hängig von Schuld­fragen, der Skandal gehabt hat, inwiefern er Allen trau­ma­ti­siert und sein Werk dauerhaft beschä­digt hat. Der Soon-Yi-Skandal ist das, was man in Amerika den »elephant in the living room« nennt – das was alle sehen und worüber keiner spricht.

Wide gelang es daneben vor allem, wichtige Mitar­beiter Allens zur Mitarbeit zu gewinnen: Von Diane Keaton, seiner ersten Ehefrau und Darstel­lerin in vielen Filmen, über Sean Penn und Mira Sorvino bis hin zu Scarlett Johansson und Naomi Watts reicht die Palette der Prominenz. Watts hebt einen ganz entschei­denden Punkt hervor: Allen ist ein Schau­spieler-Regisseur. »Der beste mit dem ich je gear­beitet habe.« kommen­tiert sie.
Aber auch Martin Scorsese, Kollege, New Yorker Mitbürger und Beob­achter aus der Distanz ist voll des Lobes: »Nicht viele haben den Biss, und nicht viele haben so viel zu sagen.« sagt Scorsese im Filmin­ter­view.

Der Film geht weit­ge­hend chro­no­lo­gisch vor und ist insofern konven­tio­nell. Es geht los mit den Jugend­jahren in Brooklyn in beschei­denen Verhält­nissen. Bereits mit 16 schrieb er, geboren als Allen Stewart Konigs­berg, erste Gags, und gab sich den Künst­ler­namen Woody, weil er in der Schule nicht auf seine Veröf­fent­li­chungen ange­spro­chen werden wollte. Allen war sehr schüch­tern, kompen­sierte das aber mit großem Witz. Aus dieser Kombi­na­tion von Schlag­fer­tig­keit und Verklemmt­heit entwi­ckelte er seine Bühnen­figur Woody Allen, den schrägen Stadt­neu­ro­tiker und intel­lek­tu­ellen Toll­patsch. Er trat im Fernsehen auf, boxte mit Kängurus und drehte nach Auftritten in 60er-Jahre-Komödien seinen ersten Film: Woody – Der Unglücks­rabe. Von da an ging es bergauf, bis zum heutigen unan­ge­foch­tenen Weltruhm. Der scheint ihm wenig zu bedeuten: »Ich will nicht durch meine Filme unsterb­lich werden, sondern dadurch, dass ich nicht sterbe.« sagte er einmal.

Es geht auch um Allens einmalige, sehr eigen­sin­nige Arbeits­me­thode: »Gib uns zwei Millionen Dollar in einer Papier­tüte und dann geh weg. Nach einer Weile bekommst Du einen Film.«, Das sei, so der Komiker, die ideale Methode, einen Film zu produ­zieren.

Es gibt andere »Elephanten im Wohnzimer« im Woody-Allen-Universum: Allen ist paranoid, ein Hypo­chonder, es heißt er sei nicht immer nett zu seinen Mitmen­schen. Warum sollte er auch? Aber man würde zu gern mehr darüber erfahren, was hier wahr ist und was Erfindung seiner Feinde. Der zurück­ge­zo­gene Filme­ma­cher hat es immer verstanden, sich aus dem Blick der Öffent­lich­keit heraus­zu­halten
Genauso wüsste man natürlich gern, ob Allen wirklich so bescheiden ist, oder es nur eine Pose ist, wenn er die Bedeutung seiner Arbeit konse­quent herun­ter­spielt. Kann es wirklich sein, dass Allen nicht weiß, dass er die dunkelsten und die absur­desten Seiten der mensch­li­chen Existenz ausleuchtet? Dass er gar nicht begreift, was er dem Kino der Gegenwart gegeben hat?