Wir sind jung. Wir sind stark.

Deutschland 2013 · 128 min. · FSK: ab 12
Regie: Burhan Qurbani
Drehbuch: ,
Kamera: Yoshi Heimrath
Darsteller: Jonas Nay, Trang Le Hong, Devid Striesow, Joel Basman, Saskia Rosendahl u.a.
Wuchtig, aufregend, spannend.

Wir sind das Volk.

Das vorweg: auch wer nicht an dem gegen­wär­tigen scharf geführten Diskurs um Frem­den­feind­lich­keit, Rechts­ex­tre­mismus, Pegida, »Charlie Hebdo« usw. inter­es­siert sein sollte oder den die mediale Aufmerk­sam­keit darum bereits mürbe gemacht hat oder der glaubt, über diesen Themen­kom­plex schon genug gelesen, gesehen und gehört zu haben, der sollte dennoch inne­halten, tief einatmen, neu starten und sich unbedingt Burhan Qurbanis Wir sind jung. Wir sind stark. ansehen. Denn abgesehen von der erstaun­li­chen Koin­zi­denz von Film-Release und gegen­wär­tigen Ereig­nissen – die übrigens auch für die Migra­ti­ons­ge­schichte Paddington gilt – ist Qurbanis Film wuchtig, aufregend, spannend bis zuletzt, innovativ und weit mehr als ein von poli­ti­schem Ethos getra­genes Plädoyer gegen Rechts­ex­tre­mismus und Frem­den­feind­lich­keit.

Das liegt vor allem daran, dass Qurbani, dessen Film die Hofer Filmtage im Oktober eröffnete, nicht nur die äußeren Fakten inter­es­sieren, wenn er sich 22 Jahre in deutscher Geschichte zurück begibt. Vor 22 Jahren – wir erinnern uns – gab es den 24. August 1992, an dem die Proteste gegen die zentrale Aufnah­me­stelle für Asyl­be­werber in Rostock-Lich­ten­hagen eska­lierten: das »Sonnen­blu­men­haus«, in dem viet­na­me­si­sche Asyl­be­werber unter­ge­bracht waren, wurde von rechts­ra­di­kalen Kräften gestürmt und ange­zündet, mehr als 3000 Menschen sahen zu und spendeten Applaus; die Bewohner konnten recht­zeitig fliehen. Der damalige Rostocker Ober­bür­ger­meister beschrieb den Stand der Dinge damals als »Verlust von Alltags­kom­pe­tenz« und ergänzte: »Die Menschen sind seelisch über­an­strengt (...) durch den schnellen gesell­schaft­li­chen Wandel«. Die Anwohner, von einem außer­or­dent­li­chen Trans­for­ma­ti­ons­prozess und einer wirt­schaft­li­chen Rezession tatsäch­lich gezeichnet, sahen es dement­spre­chend persön­li­cher: »Plötzlich sind wir die letzten hier im Osten«, formu­lierte es eine zwanzig Jahre alte Friseuse. Eine 25-jährige Bank­an­ge­stellte meinte: »Wir sind doch die Türken im eigenen Land«. Und ein siebzehn Jahre alter Maurer­lehr­ling sagte: »Wie sind die Scheiße an der Wand.« Dass sich dieses Frus­tra­ti­ons­po­ten­tial in Lich­ten­hagen ohne Todes­opfer entfal­tete, war wohl reiner Zufall – seit der Verei­ni­gung der beiden Deutsch­lande sind immerhin 200 Menschen rechts­ra­di­kaler Gewalt zum Opfer gefallen. Qurbani inter­es­siert sich in Wir sind jung. Wir sind stark. auch für diese Perspek­tive der nackten Verzweif­lung und Gewalt. Seine Schwarz­weiß-Bilder sugge­rieren eine histo­risch beein­dru­ckende, authen­ti­sche »Pogrom«-Atmo­s­phäre, die neben ihrem Histo­ri­zismus aber gleichz­eitig auch das »Geile« und »Festi­val­ar­tige« eines »Protestes« wie diesem vermit­telt. In Ansätzen erinnern diese Bilder an den austra­li­schen Neonazi-Film Romper Stomper (1992), der neben seinen expli­ziten Gewalt­dar­stel­lungen gegen Viet­na­mesen in Austra­lien auch die bedroh­lich erra­ti­sche »Lust an der Sache« verhan­delte.

Qurbani konz­en­triert sich jedoch mehr als nur auf die Motive der Gewalt. Ähnlich wir in David Wnendts hervor­ra­gender Kriegerin (2011), porträ­tiert auch Qurbani eine rechts­ra­di­kale Szene, die im Kern aus Mitläu­fern getragen wird. Es sind wie die »Charlie Hebdo«-Atten­täter der Gesell­schaft verloren gegangene, verzwei­felte junge Menschen, aber dann auch wieder ganz normale Mädchen, die sich für Jungs und ganz normale Jungs, die sich für Mädchen inter­es­sieren und eher zufällig mit poli­ti­schen Motiven in Berührung kommen – die dann dement­spre­chend plakativ repro­du­ziert werden. Inter­es­sant ist dabei auch, dass Qurbani sich die Zeit nimmt, einem seiner jugend­li­chen Haupt­dar­steller auch einen Politiker-Vater an die Seite zu stellen, dessen Worte und Haltung frap­pie­rend an den damaligen Rostocker Ober­bür­ger­meis­ters Klaus Kiliman erinnern. Der Kontrast zwischen den Gene­ra­tionen und ihre glei­cher­maßen unsäg­liche Verlo­ren­heit ist dabei ebenso eindrück­lich heraus­ge­ar­beitet, wie der zwischen den eigent­li­chen Tätern und ihren Opfern, den in Lich­ten­hagen lebenden Viet­na­mesen, denen Qurbani einen weiteren, überz­eu­genden narra­tiven Raum erar­beitet, der wohl auch der Tatsache geschuldet ist, dass Qurbani mit seinen aus Afgha­nistan einge­wan­derten Eltern die zahl­rei­chen Para­do­xien der zweiten Gene­ra­tion Einge­wan­derter nur allzu gut vertraut sein dürften.

Erzäh­le­ri­sche Wucht, rasante Schnitte und schau­spie­le­ri­sche Glan­z­leis­tungen ergeben dabei eine Einheit, die über die poli­ti­sche Ebene hinaus zutiefst mensch­liche Geschichten erzählt und beängs­ti­gend spie­le­risch in die Gegenwart führt. Auch Lich­ten­hagen war wie heute Pegida offiziell nicht mehr als eine »Protest­ak­tion«. Und was damals bereits eine bizarre Perver­tie­rung der DDR-Bürger­rechts­be­we­gung war, nämlich die Verein­nah­mung des Mottos der DDR-Oppo­si­tion »Wir sind das Volk« durch die Lich­ten­ha­gener Akti­visten, ist es nun erneut durch Pegida geworden.

Diese Belie­big­keit eines sich keines­falls nur in Deutsch­land wieder­ho­lenden Musters deuten aller­dings darauf hin, dass dies erst der Anfang ist. Dass der Kern des Problems wohl weniger deutsch oder fran­zö­sisch, sondern global ist. Dass unsere neue Welt­ge­sell­schaft mit ihren zunehmend trans­na­tio­nalen Prägungen immer häufiger mit Ereig­nissen wie Lich­ten­hagen, Pegida, und »Charlie Hebdo« konfron­tiert werden und erst dann zur Ruhe kommen wird, wenn den Heraus­for­de­rungen durch Globa­li­sie­rung, Flexi­bi­li­sie­rung, zuneh­mende Arbeits­lo­sig­keit und der Erosion natio­naler, sozialer und kultu­reller Systeme alter­na­tive Modelle entge­gen­stellt werden können. Denn ein Zurück gibt es seit der Radi­ka­li­sie­rung unserer Moderne und dem damit einher­ge­henden Schritt in die von Ulrich Beck postu­lierte zweite Moderne nicht mehr.

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Bilder wie aus einem Bürger­krieg – aber doch mitten in Deutsch­land. Ost-Deutsch­land um genau zu sein, denn an diesem Ort, zu dieser Zeit ist das wichtig: Rostock-Lich­ten­hagen in jener inzwi­schen berühmten, verhäng­nis­vollen Nacht im August 1992, als auslän­der­feind­liche Ausschrei­tungen und purer Hass eska­lierten. Ein frus­trierter, aufge­het­zter, aber auch sich selbst an sich selbst berau­schender, im Hass hoch­schau­kelnder Mob stürmt ein Asyl­be­wer­ber­heim, steckt das Gebäude an, ohne Rücksicht darauf, dass dort noch über 150 Menschen Schutz suchen. Nur durch glück­liche Zufälle wird niemand ermordet.

22 Jahre danach hat Burhan Quarbani, der an der Film­aka­demie in Ludwigs­burg studierte und dem mit Shahada vor ein paar Jahren einen Über­ra­schungs­er­folg gelang, in seinem zweiten Spielfilm diese Ereig­nisse nach­ge­stellt. Wir sind jung. Wir sind stark. erzählt rund um sie eine fiktio­nale Geschichte, die sich trotzdem bemüht, das Lebens­ge­fühl der Betei­ligten authen­tisch zu fassen. Mit viel Unter­s­tüt­zung der Bevöl­ke­rung wurde der Film 2013 in Halle gedreht, jetzt kommt er ins Kino – zu einem Zeitpunkt, wie er besser (oder schlimmer) nicht passen könnte.

Weil sich gerade in Gestalt des Pegida-Mobs Volkes Stimme in ihren ekeligsten Klängen, mit ihren primi­tivsten Ressen­ti­ments die Öffent­lich­keit erobert, und die selbst­er­nannten Qualitäts­me­dien dabei kräftig mitmi­schen, wird dieser Film, der formal fast zum Histo­ri­en­genre gehört, plötzlich politisch brand­ak­tuell und zum Dokument der Gegenwart.

Quarbani erzählt angelehnt ans reale Geschehen, aber fiktional und in meist schwarz­weißen Bildern, die an das Banlieu-Drama La haine erinnern sollen und zusät­z­lich verfremden. Die Stärken des Films liegen in der Erin­ne­rung an die Abläufe jenes verhäng­nis­vollen Woche­n­endes, auch wenn manche offene Frage ungeklärt bleibt. Sie liegen auch im Hand­werk­li­chen, in Schnitt, Kamera und Produk­tion, die ein inten­sives, pulsie­rendes Drama schaffen, das die histo­ri­schen Ereig­nisse nicht verrät, sie aber erweitert.

Das Darsteller-Ensemble mischt Newcomer wie Jonas Nay oder Trang Le Hong mit bekann­teren Namen wie Saskia Rosendahl (Lore) und Devid Striesow, und überzeugt, sieht man einmal von der Ausnahme des über­agie­renden Joel Basman ab, dem sein Regisseur viel zu viel Freiraum gab, mit dem Ergebnis, dass er als knall­char­giger Zappel­philipp zum Klischee eines Schau­spie­lers gerinnt – man atmet immer auf, wenn er endlich wieder nicht mehr im Bild ist.

Die echte Stärke des Films ist die brennende Aktua­lität seiner Handlung. Die rührt nicht vom 25. Jubiläum des Mauer­falls, sondern vom rechten Terror in den ostdeut­schen Bundes­län­dern: Es gibt offene Anspie­lungen auf die Morde der NSU. Es ist kein Zufall, dass Quarbani auch eine Frau zwischen zwei Männern ins Zentrum rückt, und den Faschismus seiner Figuren aus sexuellen Span­nungen ebenso erklärt, wie aus sozialem Frust und destruk­tiver Energie. Jene Jugend­li­chen, die hier im Zentrum stehen demons­trieren zwanzig Jahre später für »Pegida«.

Quarbani bemüht sich, das Lebens­ge­fühl aller Betei­ligten des Sommers ‘92 authen­tisch zu fassen. Die Gründe für das Handeln der Kids liegen auch einfach in fehlenden Perspek­tiven, sozialem Frust und ostdeut­schen Überdruck in der west­deut­schen Konsens­fa­brik.

Man könnte Quarbani aller­dings vorwerfen, dass er bei der Nach­emp­fin­dung etwas zu viel Empathie an den Tag legt. So sind Regie und Drehbuch die Schwächen, weil Quarbani zuviel will, und sich nicht recht entscheidet, ob er nun von rechts­ex­tremen Taten erzählen möchte oder einfach vom Lebens­ge­fühl Jugend­li­cher. Dass beides im Leben mitunter nicht zu trennen ist, ist natürlich die – politisch speku­la­tive – These des Films. Der Film hätte aber besser unter­scheiden müssen – für seine Zuschauer wie auch aus politisch-mora­li­schen Gründen.
Weil dieser starke Film zu nahe dran ist, fehlt ihm Distanz: Aus der Nähe werden Lebens­ge­fühl und Verbre­chen, Maul­hel­dentum und Menschen­ver­ach­tung vermengt, und manchmal ein paar Entschul­di­gungen zuviel angeboten.