Wir sind die Neuen

Deutschland 2014 · 92 min. · FSK: ab 0
Regie: Ralf Westhoff
Drehbuch:
Kamera: Ian Blumers
Darsteller: Gisela Schneeberger, Heiner Lauterbach, Michael Wittenborn, Claudia Eisinger, Karoline Schuch u.a.
Überraschende Konfrontation

Platzende Luft­bal­lons

Seit einigen Jahren verdichten sich die Anzeichen, dass Kino-Trailer einer gefähr­li­chen Trans­for­ma­tion ausge­setzt sind. Waren sie früher von erzäh­le­ri­schen Teaser-Elementen und radikalen Leer­stellen dominiert, kommt es heute immer häufiger vor, dass die Leer­stellen wie Schlaglöcher einer Straße mit zusätz­li­chen Plot-Elementen des neuen Films geflickt werden und die Teaser – nun ja – ihre Ecken und Kanten verloren haben. Das Fahr­ge­fühl ist dennoch atem­be­rau­bend, zumindest im Trailer. Sitzt man dann jedoch im eigent­li­chen Film, wird schnell klar, wie hoch der Preis für den Quickie gewesen ist. Handlung, Höhe­punkte, alles schon gewesen – was bleibt, ist ein schales, etwas leeres Gefühl, mal besser, mal schlechter, mal einfach nur ernüch­ternd.

Viel­leicht sollte man sich deshalb gerade den Trailer von Ralf Westhoffs Wir sind die Neuen nicht ansehen. Er ist atem­be­rau­bend, spritzig und erzählt eine Nach­bar­schafts­ge­schichte, die sogar Nicholas Stollers noch laufenden Bad Neighbors in den Schatten zu stellen scheint. Denn anders als in Bad Neighbors, wo die älteren (wenn auch nicht wirklich alten) Nachbarn von einer jüngeren Studenten-WG als Spießer geoutet werden, ist bei Ralf Westhoff alles ein wenig anders, nicht nur weil Wir sind die Neuen in München ange­sie­delt ist. Denn Westhoff inter­es­siert weniger der Standard, der schon immer war, er beob­achtet vielmehr wie schon in seinem Debüt Shoppen die neuen, etwas anderen Verwer­fungen unserer Gesell­schaft. Zu denen auch gehört, dass die junge Gene­ra­tion spießiger als die alte Gene­ra­tion sein kann.

Seine Versuchs­an­ord­nung platziert Westhoff in ein klas­si­sches Münchner Mietshaus, in der eine Studenten-WG mit dem Einzug einer Alten-WG konfron­tiert wird, die leben­diger, spontaner und vor allem lauter ist, als das, was die junge Gene­ra­tion ertragen kann und will. Westhoff arbeitet diesen Über­ra­schungs-Effekt vor allem über konzen­triert komö­di­an­ti­sche Dialoge ab, die im Trailer platzen wir bunte Luft­bal­lons. Das dem Film damit selbst ein wenig die Luft ausgeht, zeigt sich dann erst in der Lang­fas­sung. Denn Westhoffs Vorliebe für knallige, immer witzige Dialoge zehrt den Raum für einen tiefer­ge­henden, unter die Ober­fläche blickenden Diskurs auf. Statt­dessen werden die zu Recht thema­ti­sierten Probleme Alters­armut, auslau­fende Sozi­al­ver­träge, hohe Mieten und kata­stro­phale Studi­en­be­din­gungen einem recht einfachen Kalauer-Feuerwerk geopfert, das im Grunde so schnell abge­brannt wie der Trailer abge­laufen ist. Auch Bad Neighbors hat dieses Problem, doch Stoller nimmt sich mehr Zeit. Nicht nur für einen aufwen­di­geren Plot, sondern auch die radi­ka­leren, viel­sei­ti­geren komö­di­an­ti­schen Elemente und eine letztlich über­zeu­gen­dere Gesell­schafts­kritik.

Dass Wir sind die Neuen dennoch sehens­wert ist und viel­leicht noch sehens­werter sein kann, hat man den Trailer vorab nicht gesehen, liegt neben seiner über­ra­schenden und intel­li­genten Grundidee auch an dem hohen schau­spie­le­ri­schen Niveau und dessen Insze­nie­rung, für die Westhoff zu Recht mit dem Förder­preis des Neuen Deutschen Kinos des Münchner Filmfests 2014 ausge­zeichnet worden ist. Vor allem die »Alten« (Gisela Schnee­berger, Heiner Lauter­bach und Michael Witten­born) bril­lieren und lösen an sich schon ein wunder­bares, längeres Gedan­ken­spiel darüber aus, wie anders die Präsenz von Schau­spie­lern ist, die neben ihrer filmi­schen Arbeit auch am Theater spielen.