Der Weg nach El Dorado

The Road to El Dorado

USA 2000 · 90 min. · FSK: ab 6
Regie: Eric Bibo Bergeron
Drehbuch: ,
Darsteller: Kenneth Branagh, Kevin Kline, Rosie Perez, Armand Assante u.a.

Es könnte ein Genre der unbe­grenzten Möglich­keiten sein: Volle Kontrolle über jedes Einzel­bild; keinerlei Grenzen als die der Vorstel­lungs­kraft. Es ist eines der am strengsten kodi­fi­zierten Genres überhaupt: Zeichen­trick in Spiel­film­länge, das heißt heute Befolgen der Disney-Formel.
Anders­ge­ar­tete Anima­tions-Expe­ri­mente gibt’s höchstens noch im Kurzfilm, in Puppen- oder Compu­ter­trick (und selbst­ver­s­tänd­lich im japa­ni­schen Anime) – wer mag, soll mein­ent­wegen auch noch die Werner-Filme dazu­zählen. Aber die Zeiten, als sich in Amerika noch beispiels­weise ein Ralph Bakshi gegen die Macht der Maus behaupten konnte, sind vorbei.
Und das, obwohl (oder gerade weil?) noch nie zuvor so viele finanz­kräf­tige Studios um den Zeichen­trick-Markt gekämpft haben: Neben dem Behemoth Disney mitt­ler­weile Warner, 20th Century Fox und Dream­works. Die scheinen sich aber alle arg davor zu scheuen, durch einen allzu eigen­s­tän­digen Stil aufzu­fallen und sind fleissig bemüht, ein bisschen am Detail zu pfrimeln, den ein oder anderen Parameter ein wengerl zu variieren, ansonsten aber brav im Rahmen dessen zu bleiben, was Onkel Walts Erbwalter dem Publikum mitt­ler­weile als allein­se­lig­ma­chendes Anima­tions-Paradigma einge­bleut haben.

Auch bei Road to El Dorado, dem neuesten Dream­works-Produkt (nach The Prince of Egypt), kann die Frage leider nicht sein, was er grund­le­gend Neues zu bieten hat, sondern wie befrie­di­gend er die allbe­kannten Erwar­tungen erfüllt und mit den Regeln spielt. Da, immerhin, ist Erfolg zu vermelden.
Stilis­tisch bleibt alles beim alten – kein Wunder, sind die meisten Chef-Zeichner direkt von Disney abge­worben. Und das Team für die Musik hat man sich gleich von The Lion King geborgt.
Aber in optischer Hinsicht bedeutet das immerhin ein sehr hohes hand­werk­li­ches Niveau. Und akustisch kann man sich damit trösten, dass einem im Gegensatz zu Disneys Tarzan wenigs­tens das zum Sozi­al­päd­agogen-Pop geronnene Böse in Gestalt von Phil Collins erspart bleibt und dass Hans Zimmer, Elton John und Tim Rice auch durchaus Hörba­reres hervor­bringen als einst beim wider­lichsten Disney-Film überhaupt.
Wer mit Disneys Kultur­im­pe­ria­lismus im Schafs­pelz der Political Correct­ness Probleme hat, wird sie auch bei Road to El Dorado haben. Der Titel lässt’s ahnen – es geht um ein Abenteuer im Reich der Majas, um den Wettlauf zweier tolpat­schiger Schwindler gegen die spani­schen Eroberer unter Cortez' Führung zur sagen­um­wo­benen Gold-Stadt. Und wie bei Disneys Ausflügen in nicht­west­liche Kulturen ist man auch hier sehr bemüht, niemandem auf die Zehen zu treten, reichlich Respekt vor der fremden Kultur zu heucheln – und nutzt letztlich alles, was man an ihr nicht ins abend­län­di­sche Schema pressen kann, doch nur als exoti­schen Reiz.

In einigen Bereichen hat Road to El Dorado aber die Nase vorn vor den letzten Produkten aus dem Haus der Maus: Bis vor kurzem war der Zeichen­trick­film das letzte unan­ge­fochten Refugium des Musicals im ameri­ka­ni­schen Kino. Aber nach dem Zenith, den Disney da mit The Little Mermaid und Beauty and the Beast erreicht hatte, geriet diese Stellung immer mehr ins Wanken. Die (wenigen) Musik-Nummern in Mulan schienen schon wie nach­träg­liche Drein­gaben, und in Tarzan hat man sie gleich den Charak­teren aus dem Mund genommen und in die Begleit­musik verbannt. Was dabei mit zum Opfer fiel: Die großar­tigen Produc­tion-Numbers (»Be Our Guest« in Beauty and the Beast, z.B.), in denen sich das Potential von Animation noch verhält­nis­mäßig unge­bremst entfal­tete, in denen sich das Lein­wand­ge­schehen in pure Form, Farbe und Bewegung auflösen durfte. The Road to El Dorado hat sie wieder, und die Welt ist schöner und glück­li­cher darob.

Und schließ­lich gelingt es Road to El Dorado, zumindest über den größten Teil der Zeit, die über­bor­dende Energie, die Frisch­heit, dieses sense of wonder einzu­fangen, die den zunehmend glatt und kalku­liert wirkenden Disney-Filmen langsam abhanden kommt. Was der Film einer­seits einem cleveren, poin­ten­rei­chen Buch verdankt, das sich und uns dauernd Zuge­ständ­nisse ans jüngere Publikum erspart. Zum anderen seinen Sprechern (jeden­falls was die nach­drück­lich empfoh­lene Origi­nal­fas­sung angeht): Dass man bei Disney da für gewöhn­lich weniger auf bekannte Namen setzt, hat seinen guten Grund – berühmte Hollywood-Schau­spieler sind nicht immer auch begnadete Stimm-Geber für Zeichen­trick­fi­guren. Mit Road to El Dorado ist es Dream­works aber gelungen, eine Besetzung zu finden, die beides vereint. Kenneth Branagh und Kevin Kline liefern sich verbales Sparring auf höchstem komö­di­an­ti­schem Niveau – ein Schlag­ab­tausch, der der Anspie­lung im Titel auf die Road To...-Serie von Bob Hope/Bing Crosby-Komödien mehr als gerecht wird. Und wie bei der da munter mitmi­schenden, gewohnt großar­tigen Rosie Perez haben die Zeichner die Charak­te­ris­tika der Schau­spieler mit hohem Wieder­er­ken­nungs­wert einge­fangen, ohne sklavisch und leblos am lebenden Vorbild kleben zu bleiben.
Da blitzt oft eine sophis­ti­ca­tion auf, die Disney in letzter Zeit nur noch selten gelungen ist.
Beweis? Meine Lieb­lings­szene: Die beiden Helden treiben seit Tagen im Rettungs­boot in bren­nender Sonne auf dem Meer; mit im Boot sitzt ihr treues Pferd. Es geht offenbar dem Ende zu, das letzte Fünklein Hoffnung ist verlo­schen, man bereitet sich aufs vermeint­lich Unver­meid­liche vor. Mit schwacher Stimme redet Miguel (Kenneth Branagh) vom nahenden Ende und fragt seinen Freund Tulio (Kevin Kline): »Did you ever think it would end like this?«
Der darauf ernst und trocken antwortet:
»The horse comes as a surprise.«