Die weiße Massai

Deutschland 2005 · 131 min. · FSK: ab 12
Regie: Hermine Huntgeburth
Drehbuchvorlage: Corinne Hofmann
Drehbuch:
Kamera: Martin Langer
Darsteller: Nina Hoss, Jacky Ido, Katja Flint, Nino Prester, Janek Rieke u.a.
Nina Hoss als Die weiße Massai

Kulturhoheit

Es gibt die Tage, an denen sich ein Menschen­leben komplett umkrem­pelt, und es gibt die Tage, an denen man fest­stellt, dass es sich keines­wegs umge­krem­pelt hat, dass besten­falls und großzügig betrachtet die Bettdecke ein bisschen zerwühlt ist. Carola ist mit ihrem Freund beim letzten Tag ihres gemein­samen Kenia-Urlaubs, sieht zufällig einen hünen­haften Massai ihren gemein­samen Weg kreuzen und weiß schnell, dass ihr Leben fortan in den Armen dieses dunklen Fremden liegen wird. Sie lässt alles Schwei­ze­ri­sche hinter sich und verzieht sich ins kenia­ni­sche Bergland, in die Stroh­hütte ihres Mannes fürs Leben, obwohl alle sie warnen, das werde schwer, da habe sie sich einen Blödsinn in den Kopf setzen lassen, das sei doch eine ganz andere Kultur, in der die Frauen nichts zählten, da werde sie nicht viel zu lachen haben.

Aber es kommt alles ganz anders: Schwer hat sie es freilich, doch die andere Kultur ist nicht so roh, dass sie nicht bezwungen werden kann. Das fängt im Kleinen an, damit, dass sie ihrem wilden Liebhaber das Anima­li­sche austreibt und ihm das zärtliche Küssen beibringt, und das endet im Großen damit, dass inmitten dieser Ödnis einen Schweizer Gemischt­wa­ren­laden eröffnet. Dabei bricht sie ständig Tabus, revo­lu­tio­niert die primitive Ziegen­hü­ter­dorf­ge­mein­schaft regel­recht. Bei den Massai ist es zum Beispiel unüblich als Frau einem anderen Mann als dem eigenen in die Augen zu blicken, weil der eigene daraufhin vor Eifer­sucht beinahe explo­diert. Carola macht es trotzdem, und Jacky Ido, der ihren Mann spielt, reagiert zunächst, seiner Natur entspre­chend, wütend, doch schließ­lich lächelt er immer gewinnend und versöhnt, nachdem sie ihr »Stop it«- respek­tive »I’m sorry«-Geheule an seiner Schulter abge­lassen hat.

Die weiße Massai erzählt von einem miss­glückten Inte­gra­ti­ons­ver­such, der vor allem daran scheitert, dass die Weiße ihre Zivi­li­sa­tion für überlegen hält, indem sie alle Schwie­rig­keiten auf sich nimmt, um den Einge­bo­renen zu zeigen, wie viel besser sie es haben könnten. Es gibt nichts über­trieben Edles in der Zeichnung dieser Menschen, aber sie sind offen für das Fremde, lassen es exis­tieren, ohne dafür etwas zu fordern. Ein italie­ni­scher Pater Bernardo lebt seit 15 Jahren ebenfalls im Dorf. Er wirkt anfangs sehr abweisend zu der jungen Frau, die auch hier eindringen will, doch später sagt er: »Ich würde Ihnen gern helfen, aber ich weiß nicht, wie ich es kann.« Er weiß, dass er immer der Fremd­körper bleiben wird und dennoch leben darf. Die Versuche, etwas zu ändern, hat er einge­stellt. Er ist gelassen, wenn ein Mädchen kurz vor ihrer Hochzeit beschnitten wird und dabei fast verblutet. Einer­seits sind das traurige Momente in dem Film, andrer­seits ist es seine Qualität, dass er sich nicht einmischt, seine Prot­ago­nisten machen lässt, ohne sich auf eine Seite zu schlagen. Es ist alles wirklich passiert und zwar Corinne Kaufmann, die darüber ein Buch geschrieben hat. Nina Hoss spielt Carola, sie spielt keine Heldin, sie spielt eine Frau, die zu klein ist für ihren Traum, die aber dennoch an seinem Zerbre­chen wächst, weil sie einsieht – und mit ihr viel­leicht die Zuschauer des Films –, dass sie nicht das Maß der Welt ist.