Dänemark 2015 · 120 min. · FSK: ab 12 Regie: Tobias Lindholm Drehbuch: Tobias Lindholm Kamera: Magnus Nordenhof Jønck Darsteller: Pilou Asbæk, Tuva Novotny, Søren Malling, Charlotte Munck, Dar Salim u.a. |
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Intensives Pulsieren |
»When Charona was trying to explain it to me, she asked me what the most important thing there was. [...]«
»Very good. Anyone who can give a nonrelative answer to that question is simplex.«
– Empire Star, Samuel R. Delany
Die Welt wird kleiner und enger, undurchsichtiger und komplizierter. Das liegt neben unzähligen, undurchsichtigen und komplizierten anderen Gründen auch daran, dass regionale Moralvorstellungen nicht mehr auf ihre Regionen begrenzt sind und die westliche Welt wie in den besten Kolonialzeiten versucht zu retten, was zu retten ist, vor allem sich selbst. Dazu gehören sowohl die Abwehrmechanismen gegen terroristische Aggression im Inneren des Systems als auch die zahlreichen Auslandseinsätze, die den Terror schon im Keim ersticken sollen, indem sie so genannten terror-afinen »failed States« zivilgesellschaftliche Strukturen implementieren helfen. Die damit einhergehenden moralischen Dilemmata dieser Aktionen sind inzwischen fast genauso kompliziert wie ihr Überbau. Kein Wunder also, dass die Versuche, das alles noch zu verstehen, umso verzweifelter und ideenreicher ausfallen.
Ein gutes Beispiel dafür ist Ferdinand von Schirachs Theaterstück »Terror«, das seit Herbst 2015 deutschlandweit, auch im Metropol- Theater in München, mit großem Erfolg gespielt wird. Die Zuschauer verfolgen dort einen Gerichtsprozess um einen Bundeswehrpiloten, der eigenmächtig gegen das Gesetz gehandelt hat, indem er eine von Terroristen gekaperte Maschine abgeschossen hat, um noch mehr Opfer durch den geplanten Absturz auf die Allianz-Arena während eines Fußballspiels zu verhindern. Am Ende dürfen die Zuschauer über eine Abstimmung am Urteil mitwirken, bei dem deutschlandweit bislang der Freispruch dominiert (Stand April 2016).
Ein besseres Beispiel als Ferdinand von Schirachs Theaterstück »Terror« in der Inszenierung von Jochen Schölch ist jedoch Tobias Lindholms Film A War. Viel mehr als Schirach versteht es Lindholm, der auch das Drehbuch schrieb, ein sehr ähnliches Dilemma nicht auf einen dann doch recht statischen „Versuchsaufbau“ und eine simplexe Verfahrenslösung zu reduzieren, sondern die Komplexität von moralischen Prinzipien in Zeiten des Krieges und ihre Auswirkungen auf verschiedene Schichten der Gesellschaft zu verdeutlichen. Lindholm benötigt dazu allerdings neben dem auch bei ihm wichtigen „Gerichtsraum“ zwei weitere Orte. Zum einen Afghanistan, wo sich Kommandant Claus M. Pederson (Pilou Asbæk) zwischen Taliban-Eingrenzung, Zivilschutz und dem Wohl seiner eigenen Männer entscheiden muss, zum anderen den Alltag von Pedersons Frau Maria (Tuva Novotny) mit ihren drei Kindern, die versucht die instabile Familiensituation aufzufangen, mehr noch als ihr Mann angeklagt wird, ein Kriegsverbrechen begangen zu haben, weil er im Versuch seine eigenen Männer zu retten, einen Luftangriff auf die angreifenden Taliban befohlen hat, der seine Männer zwar rettete, aber auch Zivilopfer forderte.
Hiermit verlegt Lindholm den Abschluss seiner Handlung in einen unspektakulären, dänischen Gerichtssaal. Wie Schirach, versucht auch Lindholm über das Gericht, der Frage nachzugehen, was richtig und was falsch ist. Statt jedoch eine wie auch immer geartete populistische Entscheidung – über immer wieder stereotype Handlungselemente – zu erzwingen, vertraut Lindholm der multiplexen Sachlage. Statt zu vereinfachen, wagt er differenzierte Einblicke in die Befindlichkeit (fast) aller Beteiligten und veranschaulicht ein moralisches Dilemma, dass unlösbarer nicht sein könnte und dennoch gelöst werden muss. Lundholm kommt hier seine Erfahrung mit ähnlichen moralischen Pattsituationen zu Gute – etwas seiner Drehbuchmitarbeit an Thomas Vinterbergs Die Jagd – wird aber zudem durch ein großartiges Ensemble an Schauspielern gestützt, die dieser Gratwanderung tatsächlich Leben einhauchen. Ein Leben, dass in seiner Verzweiflung, Unerträglichkeit und Authenzität so intensiv pulsiert, dass einem angst und bange wird. Allerdings nicht nur um die Protagonisten und ihre Lebenslinien, sondern auch um unsere Zukunft und nicht zuletzt um uns selbst.