Das Versprechen

The Pledge

USA 2001 · 125 min. · FSK: ab 12
Regie: Sean Penn
Drehbuch: ,
Kamera: Chris Menges
Darsteller: Jack Nicholson, Robin Wright Penn, Pauline Roberts, Aaron Eckhart u.a.
Jack und die Truthähne

Der Raum und die Unklar­heit

Memento Mori: Jack Nicholson zwischen Wahnsinn und Seelen­heil

Es schneit. Eine Leinwand, die weiß ist, aber nicht von der Unschuld des Anfangs vor dem Film, sondern von dichtem Schnee­ge­stöber. Undurch­schaubar ist dieses Bild, aus dem sche­men­haft immer wieder etwas aufzu­tau­chen scheint, man glaubt, dass die Dinge klarer werden. Doch es dauert lange, bis man erkennt, dass da ein Auto heran­fährt, und klarer wird damit auch nichts.

The Pledge, die dritte Regie­ar­beit des Schau­spie­lers Sean Penn, ist ein Film über die Unklar­heit. Penn hat seine Vorlage, Friedrich Dürren­matts Roman Das Verspre­chen (eine weiter­ge­dachte Version seines Drehbuchs zu Es geschah am hellichten Tag) in die USA versetzt, und wiederum deutlich bear­beitet. Aber der Kern der Geschichte, eine exis­ten­tia­lis­tisch ange­hauchte bittere Fahrt in Wahnsinn und Hölle, kaum weniger düster, nur privater als Coppolas Conrad-Variation Apoca­lypse Now, blieb.

Der beschrie­bene Anfang erinnert an den von Fargo, und wie dort handelt es sich auch hier um einen Thriller, bei dem der Thrill nicht im Zentrum steht. Jerry Black, ein alter Detektiv der Mord­kom­mis­sion von Nevada (Jack Nicholson) erlebt seinen letzten Arbeitstag. Eine Party wird ausge­richtet. Zuvor schon hat man ihn eine Weile beob­achtet, ist seinen Blicken gefolgt, zum Beispiel auf die Foto­gra­fien, die seine Karriere illus­trieren, zum Beispiel aus dem Fenster, aus dem er wohl schon seit 30 Jahren tagtäg­lich geblickt hat. Dort war ein Alter zu sehen, der auf zwei Krücken die Gasse entlang­schlurft -alles steht in diesem Augen­blick in Nichol­sons Blick auf dieses memento mori geschrieben: Das Altern, das auch das Altern des Schau­spie­lers Nicholson ist. Später am Tag wird eine Kinder­leiche gefunden. Jerry über­bringt den Eltern die Nachricht, und wie aus einer Laune heraus wagt er der verzwei­felten Mutter gegenüber das Verspre­chen, den wahren Mörder zu finden – »bei meinem Seelen­heil.«

Mit viel Ruhe, Liebe zur Lang­sam­keit und zum Detail erzählt Penn nun das Folgende: Schnell wird ein Verdäch­tiger gefunden, der bringt sich um, und der Fall gilt als gelöst.
Doch Jerry hat Zweifel, und macht sich mit der Hart­nä­ckig­keit des Profis und dem Starrsinn des Rentners, der nichts mehr zu tun hat, auf die Suche. Er sammelt Spuren, entwi­ckelt Hypo­thesen und pachtet eine Tank­stelle, wo der Hobby­angler seine Köder auslegt, und mit viel Geduld wartet, überzeugt, eines Tages werde der Mörder vorbei­kommen.
Die Monate vergehen, eine Frau ist mit ihrem Kind einge­zogen, aus dem unwei­ger­lich eine Art Köder wird. Und zugleich mehrt sich die Zahl der Verdäch­tigen rasant. Zunächst zeigt Penn, wie das Verspre­chen etwas mit dem macht, der es gibt; dass, wer sich verpflichtet, auch selbst woan­dershin geführt wird.
Doch am Ende hat Jerry alles noch schlimmer gemacht, als es schon war. Der gute Wille des Anfangs endet im Wahnsinn, und sein Seelen­heil hat der Detektiv endgültig verloren.

Das Beste an diesem unge­wöhn­li­chen, in vieler Hinsicht aus dem Rahmen fallenden Film sind aber die atem­be­rau­benden, alptraum­haften Bilder, die Penn gelingen. Oft ganz nah auch an den toten Dingen, manchmal ganz aus der Distanz: Etwa wie Nicholson durch hunderte von Trut­hähnen schreitet, wie er dort im riesigen Stall die Todes­nach­richt über­bringt – gefilmt in der Totale. Oder später, wie er im Wald wartet, voller Gewißheit: Irgendwo draußen ist er. Der Mörder.
Dem Zuschauer wird die letzte Sicher­heit vorent­halten. Aber der Raum, erfahren wir hier, Schicksal und Reichtum Amerikas, ist auch Bedrohung. Und die Welt ist eine Hölle.

Lamento auf eine trostlose Welt

Fremd ist er einge­zogen, fremd zieht er wieder aus. Winter­reise der Seele. Jerry Black, der pensio­nierte Cop, der sich zu verab­schieden hat von seinem Job und seinen Kollegen. Der entlassen wird in den Tag und die Freiheit, um sich in Zukunft ganz seiner großen, seiner einzigen Leiden­schaft zu widmen, dem Angeln. Seine Sekre­tärin im Poli­zei­prä­si­dium jeden­falls hat sich einen großen weißen Hai ausge­sucht als Bild­schirm­schoner. Die gefähr­lichsten Fische, die grau­samsten, das sehen wir hier schon, sind uns näher als wir meinen. Wenn sie auch schöntun und vertrau­lich.

Draußen liegen die Strassen tief verschneit, drinnen Orchideen und Alo-ha. Ausge­rechnet in einer Hawaii Bar gibt man Jerry den Ausstand. Die Kollegen haben zusam­men­ge­legt und Jerry ein Flug­ti­cket spendiert, damit er endlich den Marlin fangen kann, den großen Fisch von dem er so lange schon träumt. »GO FISHING JERRY« steht auf dem Spruch­band über der Bühne. Und erst allmäh­lich wird uns unbarm­herzig klar, was wirklich gemeint ist mit diesen Abschieds­worten: »Go fuck off, Jerry. We don’t want you here.« Amerika, ein Winter­mär­chen.

Einmal wird Jerry Black, der pensio­nierte Cop, noch ausziehen, noch dienst­lich werden. Wird seine eigene Party verlassen – niemand würde ihm das verdenken können – um einen Tatort aufzu­su­chen. Eine Kinder­leiche ist gefunden. Ein kleines Mädchen mit durch­schnit­tener Kehle und grässlich vers­tüm­melt. Im Schnee ein Kind im roten Kleid. Weil keiner den Mumm hat unter den örtlichen Cops, kommt Jerry die Aufgabe zu, die Eltern zu unter­richten über den grau­en­vollen Tod der Tochter. Die Mutter wird zu dem Kreuz greifen, das das Kind einst gebastelt hat und Jerry schwören lassen – bei seinem Seelen­heil – den Mörder zu finden. Jerry wird den Schwur leisten, das Verspre­chen geben. Bei seinem Seelen­heil. Bei einem Kreuz gebastelt aus lauter Streich­höl­zern. Die roten Schwe­fel­köpfe sind wie eine Vorahnung vom Höllen­feuer.

Jerry ist, wie gesagt, ein Angler und er hat die große Tugend gepachtet, die es braucht dazu: die Geduld. Er wird sich einnisten in dem Städtchen, in dem die Tote gelebt hat, seinen Köder wählen und seine Angel auswerfen und warten, dass der Mörder anbeißt. Viel­leicht um den Preis seines Seelen­heils. Bestimmt aber – und das ist so unendlich viel schlimmer – um den Preis des Glückes mit einer Frau und einem Kind, das er eine Zeitlang genießen darf. Es braucht nicht viel zum Glück­lich­sein und umso grausamer die Tatsache, wenn diese Hoffnung dann zerbricht.

Ständig findet Sean Penn (ein großer Schau­spieler allemal aber als Regisseur ein wahres Ausnah­me­ta­lent) die Menschen in totaler Isolation vor. Close-ups wechseln mit dem Blick aus der Vogel­per­spek­tive. Die Menschen sind ganz allein gefangen in ihrem frame oder winzig klein, kaum wahr­zu­nehmen aus der Höhe. Fremde sich selbst und ihrer Umwelt, ihren Mitmen­schen. In der Regel arran­gieren sie sich und dann bekommen Gesichter, Gesten, Habitus mit der Zeit etwas Resi­gna­tives. Eine tiefe, endgül­tige Müdigkeit, wie sie sich über die Züge des Tank­stel­len­be­sit­zers legt, dem Jerry sein Anwesen abkauft. Dessen Tochter ande­rer­seits hat sich einen Winter­speck zugelegt zum notdürf­tigen Schutz vor der Kälte der Welt und der Menschen. Ein bisschen opti­mis­tisch, neugierig ist sie noch auf das Neue, die Verän­de­rung. Man möchte gar nicht weiter darüber nach­denken, was werden wird aus diesen Hoff­nungen.

In mini­ma­lis­ti­schen Gesten erzählt Penn so unendlich viel über die Menschen und ihr Verhältnis zu einander: Wie Jerry einmal, in seinem Boot auf dem See, die Mütze abnimmt und sein Gesicht zum Himmel wendet in den sanften Regen und ganz leise lächelt dabei, da möchte man weinen, so schön und so traurig ist das. Möchte man Jerry diesen kleinen Glücks­mo­ment um jeden Preis bewahren und weiß doch wie fragil dieser Augen­blick ist, wie schnell er sich verflüch­tigen wird. Wenn man beob­achtet, wie Jerry seinen ehema­ligen Kollegen, diesen jungen arro­ganten Schnösel, ein letztes Mal aufsucht um Unter­s­tüt­zung zu erbitten in der Mörder­jagd und wie der Kollege ihm in ein Stück Oran­gen­schale als Aschen­be­cher gnädig verächt­lich zugesteht und zusieht, wie Jerry darauf sitzen bleibt, kann man sich nicht vorstellen, wie man unauf­dring­lich eindring­li­cher zeigen könnte, was Demü­ti­gung bedeutet.

Sean Penn erweist sich, nach Crossing Guard, ein weiteres Mal als Virtuose der Einsam­keit, der Isolation. Lamento auf eine trostlose Welt. Gott ist ein unge­stümes, grausames Kind, das sich eine Spaß macht mit den Menschen. Da wartet einer, bei seinem Seelen­heil, und am Ende weiß er, er spürt, der Moment ist da, der Fisch beißt an, weiß das mit der untrüg­li­chen Sicher­heit des gedul­digen Anglers. Und da tritt das Gottkind auf den Plan und kickt den Wagen des Mörders von der Straße, einfach so, mit einem diabo­li­schen Grinsen im Gesicht wahr­schein­lich. Der Killer verbrennt. Ein Höllen­feuer aber keine Gerech­tig­keit. Zufall nur, grausames Spiel ist das. Und Jerry wartet und wartet und verliert fast den Verstand über das Warten. Am Ende wird er verwahr­lost und vor sich hin stammelnd vor seiner Tank­stelle hocken, die Benzin­säulen sind über­wu­chert, verfallen ist das Anwesen und heiß ist es jetzt, staubig und trocken, der Schnee geschmolzen. Auch das ein Höllen­feuer. SAVE steht in blauer Farbe an der Bret­ter­wand über seinem Kopf geschrieben aber eine Rettung, ein Seelen­heil gibt es nicht. Es ist nicht Gottes Zorn, der den Versucher straft mit ewiger Verdammnis. Das wäre tröstlich weil sinn­stif­tend. Strafe, auch die drako­nischste, sugge­riert Sinn, Kausal­zu­sam­men­hang. Penn versteht die Welt anders, illu­si­onslos. In der Sinn­lo­sig­keit verbirgt sich der wahre Horror, die totale Fins­terniß. Gott ist ein Kind ohne Mitleid und hat sich längst ein neues Spielzeug gesucht, einen neuen Spiel­ge­fährten, hat Jerry vergessen darüber.

Eine Variation ist das auf die Geschichte des Crossing Guard, die Penn vor gut sechs Jahren erzählt hat. Auch da Jack Nicholson in der Haupt­rolle, dem einer im Suff die Tochter totge­fahren hat nachts auf der Strasse. Nur für die Rache leben, für die Vergel­tung, die nicht heilt, nicht befreit. Am Ende dieses Films sitzen Täter und Opfer, sitzen Opfer und Opfer auf dem Grab des Mädchens. Halten sich an den Händen. Die lebenden Toten haben nach Hause gefunden.

Durch Penns Augen gesehen tut die Einsam­keit weh. Keine großen Gesten verfügbar, keine Flucht möglich in das roman­ti­sche Konzept vom Gigan­tisch-Genia­li­schen, das Nietz­schea­ni­sche Element. Kein Zara­thustra auf dem Berg, kein Wanderer über dem Nebelmeer. Einsam­keit adelt nicht. Nur Schmerz bleibt und eine ganz tiefe, eine exis­ten­zi­elle Trauer. Man kann, wenn man Penn folgt, wenn man den Mut hat dazu, ganz auf den Grund der eigenen Seele vorstoßen. Zugegeben: eine gefähr­liche Reise ist das schon, eine Art Psycho-Bungeejum­ping ohne Seil. Man darf das auch nicht allzu oft tun, nicht mal Penn selbst kann das, und wenn man diese Reise schon mitge­macht hat in seinen Filmen Indian Runner und vor allem Crossing Guard weiß man auch warum: man wird diese Filme, diesen ground-zero-Zustand der Seele, der auf sie folgt, nie vergessen können. Wird sich auch, in einem verbor­genen Winkel seines Selbst, ein Lebtag lang nicht mehr wirklich erholen davon. Und wird diese Erfahrung zugleich niemals missen wollen. Wird sie bei seinem Seelen­heil nicht missen wollen. Das ist ein Verspre­chen.