The Tree of Life

USA 2011 · 139 min. · FSK: ab 12
Regie: Terrence Malick
Drehbuch:
Kamera: Emmanuel Lubezki
Darsteller: Brad Pitt, Jessica Chastain, Sean Penn, Fiona Shaw, Irene Bedard u.a.
Am Ende ist alles Liebe

Im Gottesdienst

Publi­kums­re­ak­tionen in einem Münchener Kino: Ehrfurcht und gespannte Erwar­tungen aufgrund des Ehren­ti­tels „Goldene Palme“-Sieger am Anfang der Vorstel­lung, erleich­terte Ausrufe und Erschöp­fung am Ende des Films. Dazwi­schen 138 Minuten Bild- und Tongewalt, die dem Zuschauer einiges an Mitdenken, Flexi­bi­lität und Einlassen auf Unbe­kanntes abver­langt. Ein Film, der Rätsel aufgibt und heraus­for­dert.

Mit einem Bibel­zitat aus dem Buch Hiob wird gleich zu Beginn ein Refe­renz­rahmen gesetzt, der zum einen die Schöpfung der Welt durch Gott und zum anderen das exem­pla­ri­sche mensch­liche Leiden in der Person Hiobs thema­ti­siert. Beide Aspekte werden im Film parallel geführt, wobei der Schwer­punkt des Erzählten aller­dings auf einem anderen Thema liegt: dem Aufwachsen und Erwach­sen­werden des Jungen Jack in der weißen Mittel­klasse-Familie O’Brien im Texas der 50er Jahre.

Schwer lastend hängt über dem Film der Tod des 19-Jährigen Sohnes, von dem die Eltern (Brad Pitt und Jessica Chastain) durch ein Telegramm erfahren. Der Zuschauer wird damit gleich zu Beginn mit einer wuchtigen Tragik konfron­tiert, auf die er nicht vorbe­reitet ist, weil er die betei­ligten Personen noch gar nicht kennen gelernt hat. Es fällt schwer, die großen Gefühle mitzu­gehen, die durch die Musik und die leid­vollen Gesichter ausge­drückt werden. So bleibt auch, nach einem großen Erzähl­sprung in die Zukunft, das (inzwi­schen hinrei­chend bekannte) leidende Gesicht Sean Penns, der den älteren Bruder des Verstor­benen im Erwach­se­nen­alter verkör­pert, eine Behaup­tung des Tragi­schen, die drama­tisch nicht entwi­ckelt wurde. Hier ist Geduld gefordert...

Es folgt eine lange Sequenz über die Entste­hung der Welt, ein gewal­tiger Bilder­rausch, der das Geschehen um den Tod des Sohnes/Bruders in einen kosmi­schen Zusam­men­hang stellt. Das Thema der Gnade wird anhand eines Raub­sau­riers ange­spro­chen, welches einen am Boden liegenden Saurier ohne jeden ersicht­li­chen Grund verschont und im Fluss verschwindet. Später im Film wird in einer Paral­lel­se­quenz der Sohn Jack gezeigt, wie er vor dem aufge­bockten Wagen des Vaters steht und überlegt, ob er den unter dem Auto liegenden Vater mit einem Tritt gegen den Wagen­heber töten will. Höhepunkt eines Vater-Sohn-Konfliktes, der mit einem zweiten „Gnadenakt“ endet. Nach der Welt­schöp­fung folgt der Film in einer eher chro­no­lo­gi­schen Struktur dem Entstehen und Wachsen der Familie O‘Brien, ange­fangen mit der Geburt des ersten Kindes und den ersten Jahren eines arche­ty­pi­schen Fami­li­en­glücks. Insgesamt gleiten manche Bilder irri­tie­rend nah am Kitsch vorbei (das süße Baby­füßchen im Sonnen­licht) und über­zeugen von ihrer Machart (Trick­technik bei den Dino­sau­riern) oder Zusam­men­stel­lung (viele Lava­bilder, Wieder­ho­lungen) nicht immer. Bei aller Expe­ri­men­tier­freude und faszi­nie­render Ideen­viel­falt (teilweise gibt es Übergänge zur bildenden Kunst, zu Video­in­stal­la­tionen) fehlt dem Film eine künst­le­ri­sche und ästhe­ti­sche Geschlos­sen­heit, so dass teilweise ein Best-of-Bild- und Best-of-Musik­pot­pourri der Mensch­heits­kultur zu sehen und zu hören ist, bei dem man einen Anspruch auf Allge­mein­gül­tig­keit erkennt, viel­leicht den Anspruch auf ein zusam­men­fas­sendes Lebens­werk: Terrence Malick ist schließ­lich 67 Jahre alt und hat als Regisseur bisher ein sehr schmales Gesamt­werk vorgelegt. Aber wie passt das zusammen: zunächst der kosmische Rahmen, dann die überhöhte, pathe­ti­sche – exem­pla­risch für das Mensch­sein stehende – Darstel­lung des Entste­hens einer Familie, der brutale Einbruch des Todes ins Leben und schließ­lich das doch sehr spezielle ameri­ka­ni­sche Mittel­klassen-Milieu mit seinen spezi­fi­schen mora­li­schen Werten und Rollen­vor­stel­lungen?

Viel Zeit nimmt sich der Film für den Lebens­ab­schnitt, in dem der eigent­liche Prot­ago­nist des Films, Jack, der älteste Sohn der Familie, in der Pubertät ist. Das anfäng­liche Fami­li­en­glück gestaltet sich zunehmend dishar­mo­nisch, was vor allem an dem Vater liegt, den Brad Pitt mit kurz­ge­scho­renen Haaren sehr kantig und hart spielt. Seine rigiden Erzie­hungs­re­geln fordern Jacks Wider­stand heraus, bis es zu der bereits erwähnten Szene bei der Auto­re­pa­ratur kommt. Jacks innere mora­li­sche Entwick­lung und Suche wird mit einer Stimme aus dem Off verdeut­licht, die Jacks selbst­zwei­felnde Fragen und Monologe wieder­gibt. Die Fami­li­en­dy­namik (Söhne und Mutter gegen den Vater, tradi­tio­nelle Rolle der Frau in der Familie) und auch die Vater-Sohn-Bezie­hungen sind packend in Szene gesetzt, auch wenn sich der Film viel­leicht nicht ganz entscheiden kann, was sein eigent­li­ches Haupt­thema ist und manche Szenen über­flüssig wirken. Während Jessica Chastain als schöne, die Familie zusam­men­hal­tende, aber meist schweig­same und duldsame Mutter sehr glaub­würdig wirkt, bleibt Brad Pitts Darstel­lung etwas eindi­men­sional, obwohl er einen Mann spielen soll, der auch zärtliche und musische Seiten hat (so intoniert er u. a. die Toccata d-Moll von Bach an der Orgel), es fehlen teilweise die mimischen Nuancen. Hunter McCracken als der junge Jack ist sehr oft sehr groß im Bild, bietet aber mit seinen inten­siven Blicken eine ausdrucks­starke Projek­ti­ons­fläche für seine Gefühls­welt.

Versöhn­lich gibt sich der Film am Ende: der erwach­sene Jack, der immer noch stark unter dem Tod seines Bruders leidet, begegnet in einer surrealen Szenerie, die er durch eine frei­ste­hende Tür betritt, seinem verstor­benen Bruder und seinen anderen Fami­li­en­mit­glie­dern und erlebt das Glück eines Wieder­se­hens. In unserer Erin­ne­rung leben die Toten ewig, sind die alten Bilder und Gefühle abrufbar. Ist das die Haupt­aus­sage des Films, den viele Leit­mo­tive, wie natürlich der titel­ge­bende Lebens­baum oder auch die Lebens­flamme, durch­ziehen? Ein Film über das Leben und den Tod, über Gott und seine zwie­späl­tige Schöpfung, die für uns Menschen Schönheit und Leid bereit hält.

Ein Werk, das nachwirkt, das einen weiter beschäf­tigt, das vieles anstößt. Schön, dass Regis­seure wie Malick sich vier Jahre Zeit nehmen, um etwas zu schaffen, was sich weit aus dem Kino­main­stream erhebt und die Grenzen des Mediums Film neu definiert.