Tron: Legacy

USA 2010 · 125 min. · FSK: ab 12
Regie: Joseph Kosinski
Drehbuch: ,
Kamera: Claudio Miranda
Darsteller: Olivia Wilde, Jeff Bridges, Michael Sheen, Garrett Hedlund, James Frain u.a.
Irre verirrt

Scheiß auf die User

Es ist manchmal gar nicht einfach mit 28 Jahren alten Bildern im Kopf, Erin­ne­rungen überhaupt. War es wirklich so oder ist da wieder etwas im eigenen Hirn umge­schrieben worden, so wie alle zehn Jahre auch die Welt­ge­schichte immer neuen Para­digmen und Umschrei­bungen unter­liegt? War Tron damals tatsäch­lich so gut, so visionär, dass nur die wirklich einge­fleischten Nerds begreifen konnten, was eigent­lich gemeint war? In einer Zeit, als der Commodore 64 einge­führt wurde, noch Jahre bevor Windows und Apple in Gara­gen­vor­ver­sionen exis­tierten, als erstmals Video­spiele Popu­la­rität erlangten, wurde in Tron bereits über die negative Macht der Konstel­la­tion User/Computer sinniert. Programme, die den User sprich­wört­lich verein­nahmen, über­nehmen und löschen, wenn notwendig. Nichts Neues in der heutigen Gaming-Kultur, in der nicht nur das vernetzte Spielen Lebens­li­nien ins Schlin­gern bringt und im Grid verenden lässt und Jeff Bridges 1982 in TRON wie einen visi­onären Frei­heits­kämpfer unserer Gegenwart erscheinen lässt.

Dass Jeff Bridges sich auch für die Fort­set­zung des ersten Tron hat gewinnen lassen, macht den Abgleich der Zeiten zu einem noch größeren Genuss, zeigt aber gleich­zeitig, dass eine Fort­set­zung über einen Zeitraum von 28 Jahren nicht an ihren visi­onären Charakter anknüpfen kann. Wie auch, wenn die eigent­liche Vision inzwi­schen banale Realität geworden ist?

Dennoch ist Tron: Legacy mehr als ein irrer, visi­ons­loser Cyberpunk-Trip. Schon der Haupt­hand­lungs­strang – eine Art Subkom­mentar zur Sequel an sich – deutet darauf hin: Der inzwi­schen erwach­sene Sohn Sam (Garrett Hedlund) des Spiele-Program­mie­rers Kevin Flynn (Jeff Bridges), innerlich zerris­sener Erbe des Spie­le­im­pe­riums seines Vaters, macht sich auf die Suche nach dem im Cyber­space verschol­lenen Vater – und verliert sich selbst darin. Wie sich auch die Fort­set­zung immer wieder in den Netzen der eigenen Ursprungs­ver­sion zitiert=verliert: seien es die vor 28 Jahren vom Comic-Groß­meister Moebius entwor­fenen Hauptsets und Kostüme als auch das Szenario für die Action-Sequenzen oder die damals wie heute außer­or­dent­li­chen Rechen­leis­tungen, die notwendig waren, um den Cyber­space dezent, aber atem­be­rau­bend zu animieren. Doch statt sich zu ergeben und ganz zum Klon des ersten Teils zu werden, gelingt es Legacy sich gegen das eigene Erbe, das eigene Spiel aufzu­lehnen, nicht anders als Dosto­je­wski es in einer analogen Version dieser Thematik, in seinem Spieler versucht hat: »Nun hätte ich weggehen sollen; aber es war in mir eine seltsame Empfin­dung rege geworden, der Wunsch, gewis­ser­maßen das Schicksal heraus­zu­for­dern, ein Verlangen, ihm sozusagen einen Nasen­s­tüber zu geben und die Zunge heraus­zu­stre­cken.«

Als Nasen­s­tüber fungiert bei Legacy die getackert-gebro­chene Sogwir­kung der fran­zö­si­schen House­for­ma­tion Daft Punk, als Zunge wird eine subkutane Ironie instru­men­ta­li­siert, eine sich manchmal bis ins pseu­do­phi­lo­so­phi­sche gerie­rende abstruse Moralität, die weder unserem gegen­wär­tigen Umgang mit virtu­eller Realität als auch Dosto­je­w­skis Spieler fremd ist: »Da kam ich auf den seltsamen, sinnlosen Gedanken, ich würde hier am Spiel­tisch sicher gewinnen. Woher ich das dachte, das begreife ich selbst nicht; aber ich glaubte es fest«.

Letztlich kann sowas nur im Film gut ausgehen. Legacy kriti­siert mit modernster (Film-) Tech­no­logie die Gefahr der Tech­no­lo­gien, mit denen der Film überhaupt erst reali­siert werden konnte und trägt zumindest auf der Hand­lungs­ebene einen Teilsieg davon – die User kommen noch einmal davon, auch wenn dafür der eigene Vater, die eigene Vergan­gen­heit geopfert werden muss. Doch immerhin gelingt es Sam eine digitale Kopie des Vaters und die Liebe zu einer real gewor­denen künst­li­chen Intel­li­genz auf sein Motorrad zu retten und entspannt einem grandios-kitschigen Sonnen­auf­gang entge­gen­zu­fahren.

Aber machen wir uns nichts vor. Was schon für den ganz und gar analogen User in Dosto­je­w­skis Spieler schlimm ausge­gangen ist, wird im Grunde auch durch Kosinskis Filmende nur hyper­ven­ti­liert, keines­falls demen­tiert: das Spiel geht weiter und verlieren tut immer der User, mag es nun am Spiel­tisch oder im Cyber­space sein.

Als die Bilder rasen lernten...

Nostalgie 2.0: Vergan­gen­heits­be­wäl­ti­gung für die »Gene­ra­tion Golf«

Heiteres Zitate-Raten, leider ohne Gewinn­chance: Tron: Legacy sieht ganz nett aus, zumindest von den albernen, 3D-Effekte genannten Sche­ren­schnitten abgesehen. Der Film versprüht visuell durchaus den Retro-Charme des ersten Termi­nator. Aber die Geschichte, oh je, ... wenn man sie überhaut so nennen will, ist sie sagenhaft deppert. Und dann hatte, oh je, oh je, Regisseur Joseph Kosinski offen­kundig einen schlimmen Schaden auf seiner externen Fest­platte, auf der er alle seine Lieb­lings­filme abge­spei­chert hat. Viel­leicht war auch das schlechte Ripp-Programm schuld, jeden­falls haben sich die Dateien durch­ein­ander geschoben, haben laufen gelernt und sind ausge­bro­chen: 2001, Matrix, Roller­ball, Die fabel­hafte Welt der Amélie, Blade Runner, Mad Max. Und dann noch ein doppelter Jeff Bridges, oh je, oh je, oh je...

+ + +

Gut, man könnte es jetzt auch so erzählen: Jeffrey Lebowski, der Dude aus The Big Lebowski von den Coen Brüdern hat sich mal wieder ein paar Joints zuviel hinter die Hirn­win­dungen gezogen. Und das, was sich dann vor seinem inneren Auge abspielt, ist dieser Film: Die Geschichte eines Zen-Buddhisten, der in eine Compu­tur­welt einge­sperrt ist, dort in einem Designer-Kimono herum­schlurft, virtuelle Span­ferkel isst, und von alten Zeiten erzählt, von seinem Sohn besucht wird und von seinem jüngeren Selbst, das aller­dings nicht er selbst ist, sondern eine böse Abirrung von sich, und der dann mit Hilfe von Motor­rad­rennen und Duellen mit leuch­tenden Frisbee-Scheiben um sein Überleben kämpfen muss.

Oder versuchen wir die Handlung mithilfe der Pres­se­mit­tei­lung zusam­men­zu­bas­teln: »Sam Flynn (Garrett Hedlund) ist 27« heißt es da, und weiter: »ein Compu­ter­spe­zia­list und char­manter Drauf­gänger wie sein Vater, der vor langer Zeit spurlos aus seinem Leben verschwand. Seit 1989 ist Kevin Flynn (Jeff Bridges), der Schöpfer des revo­lu­ti­onären Compu­ter­spiels Tron, verschollen. Bis Flynns alter Freund Alan Bradley (Bruce Boxleitner) eine Nachricht erhält – aus Flynns früherem Büro in einer aufge­ge­benen Spiel­halle, in der die Zeit stehen geblieben scheint. Was Sam dort findet, über­steigt seine Vorstel­lungs­kraft.« Ja genau!! So ging es uns auch.

Jeff Bridges spielt jeden­falls diesmal nicht Jeff Lebowski, sondern sich gleich doppelt, also einen 61-jährigen mit Guru-Bart und Hippie-Outfit und sein jüngeres Selbst, verstärkt mit Compu­ter­botox. Jeden­falls bewegen sich die Lippen nicht wie die des jüngeren Jeff Bridges, sondern eher wie der der älteren Nicole Kidman – mühsam, starr und unsyn­chron.

Tron: Legacy ist ein futu­ris­ti­scher Thriller wie aus den Neun­zi­ger­jahren, wie Matrix, eXistenZ oder 13th Floor. Kein Wunder, denn er knüpft direkt an an sein Vorbild, Steven Lisber­gers fast 30 Jahre alten Tron, einen revo­lu­ti­onären Compu­ter­thriller von 1982, der seiner­zeit ein Hybrid aus live-Action und Computer-Animation war. In dem Film, an den sich die Eltern mancher Leser aus ihren Kinder­gar­ten­zeiten erinnern werden, geht es um ein Compu­ter­pro­gramm, das macht, was es will. Eine dünne Geschichte und ein Stil der, sieht man alles heute wieder, vor allem unsäglich langsam ist. Um nicht zu sagen: Lahmar­schig.

+ + +

Es stimmt natürlich: Ich hatte damals keinen Führer­schein UND keinen Computer, sondern ein Mofa und einen VHS-Recorder und fand den Tron-Film so scheiße wie Costa-Gavras. Heute finde ich ihn besser, nicht nur als Costa-Gavras. War Games, auf den alle Compu­ter­nerds standen, hab ich damals auch geguckt, aber nur weil einem die »Cinema« – die man wegen den Bilder von halb­aus­ge­zo­genen Schau­spie­le­rinnen abonniert hatte – sugge­rierte, man müsse rein gehen. Hab ihn nicht sehr gemocht. Viel lieber mochte ich The Empire Strikes Back. Aber wirklich mochte ich alle Filme von Brian De Palma. Und ein bisschen John Carpenter. Dann natürlich Diva und Es war einmal in Amerika. Und Novecento aus der Videothek, Filme mit Ornella Muti und Sophie Marceau, und irgend­wann fing man an, Truffaut zu mögen, Greenaway, Wilde Erdbeeren im Fernsehen, und dann waren die 80er zur Hälfte vorbei. Und irgend­wann bekam ich dann auch einen Computer. Einen Golf nie.

+ + +

Tron: Legacy ist ungleich schneller. Er könnte auch TRON 2.0 heißen. Zugleich aber ist er auch sehr körper­lich, fast analog. Es geht nicht um Daten­ströme, sondern um virtu­elles Fleisch – »Sweet Dreams Are Made of This«. Und es geht um »Paranoia«: Ein Compu­ter­pro­gramm namens Quorra hat die Gestalt einer Louise Brooks, und auch Fritz Lang stand Pate. So hat manches hier die Qualität eines hypno­ti­schen Horror­trips, bei dem einem die Augen übergehen. In jedem Augen­blick ist das Kitsch, aber dabei immer in dem Bewusst­sein, dass dieser Kitsch der einzige Zufluchtsort der Welt ist. Dennoch ist das alles, die ganze Super-Hyper-Neon-Horror-Picture-Show zusam­men­ge­nommen wie so viele Filme heute, nur eine weitere Übung in Massen-Nostalgie für die Gene­ra­tion Golf – ein Film nur für Leute über 30und unter 55, und kein Film für Cinephile.

Auf der erzäh­le­ri­schen Ebene ist dieser Film eine Enttäu­schung: Weder geht es hier um »klas­si­sche« Geschichten über das Internet, das alle Lebens­be­reiche vernetzt, um außer Kontrolle geratene Compu­ter­pro­gramme, noch um zeit­geis­ti­gere Diskurse wie Über­wa­chung, Zerfall der Privat­sphäre oder gar Soziale Netzwerke. Indem es statt­dessen davon erzählt, wie die digitale Revo­lu­tion ihre Väter frisst, und letztlich sehr brav und konser­vativ um Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung geht, entpuppt sich der Film als Kind eines konser­va­tiven, ängst­li­chen Zeit­al­ters, und einer weich­ge­spülten Massen­in­dus­trie, die sich längst an den beschei­denen poli­ti­schen Rahmen seines Entste­hungs­landes, der USA angepasst hat. Im Zentrum steht ein Sohn, Sam, der am Vater zweifelt, stell­ver­tre­tend für die Skepsis der Heutigen gegenüber der 68er-Gene­ra­tion, und zwar weil der Vater abwesend, verschwunden ist: Mit einer neuen Frau, mit der Armee, als Aussteiger – wer weiß das schon. Und in dem er den verlo­renen Vater wieder­findet, wieder inte­griert, heilt er nicht nur eigene Wunden, er versöhnt sich und den Vater (und dessen Gene­ra­tion) auch mit der Jetztzeit – ziemlich reak­ti­onär insgesamt, oder? Wie Herr der Ringe oder Avatar, ist die Grund­hal­tung völlig ironie­frei, und absolut esote­risch; wie diese ist auch Tron: Legacy eine größen­wahn­sin­nige mono­ma­ni­sche Phantasie, dem Gehirn von Kontroll­freaks entwichen, die nichts dem Zufall über­lassen und noch das kleinste Detail ihrer künst­li­chen Welt ausbuch­sta­bieren wollen.
Stilis­tisch sieht es besser aus: Die zumindest zum Teil revo­lu­ti­onäre Ästhetik widerlegt dieses Konsens­pro­gramm aller­dings wenigs­tens etwas. Der Film ist schnell, langweilt nicht. Vieles funkelt und glänzt und ist zumindest einmal unge­wöhn­lich. Hinzu kommt noch eine weitere Stärke: Die große treibende cyber-roman­ti­sche brausende Trance-Puls-Musik des fran­zö­si­schen House-Duos Daft Punk. Alles zusam­men­ge­nommen ist also absoluter Irrsinn und faszi­nie­render Robo­ter­kitsch – kann man schon ansehen, wenn man nichts erwartet.