There Will Be Blood

USA 2007 · 156 min. · FSK: ab 12
Regie: Paul Thomas Anderson
Drehbuch:
Kamera: Robert Elswit
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Paul Franklin Dano, Kevin J. O'Connor, Ciarán Hinds, Dillon Freasier u.a.
Selbst sitzend ein Getriebener

Im Rausch

Wer mal wieder exem­pla­risch vorge­führt bekommen will, nach welchen Mecha­nismen Kino im Span­nungs­ver­hältnis von Qualität, kommer­zi­ellen Erfolg und Kritik funk­tio­niert bzw. gerade nicht funk­tio­niert, der kann dies anhand von Paul Thomas Andersons There Will Be Blood erleben.

Durch die Auffüh­rung auf der Berlinale, dem regulären Start in Deutsch­land und der Oscar-Verlei­hung (bzw. den zahl­rei­chen Nomi­nie­rungen im Vorfeld) innerhalb weniger Wochen, hat der Film eine enorme öffent­liche Aufmerk­sam­keit erregt, die in einer selten gesehenen Einigkeit darin überein kommt, es hier mit einem außer­ge­wöhn­lich guten, faszi­nie­renden und sehens­werten Film zu tun zu haben.
Dass die Besu­cher­zahlen von There Will Be Blood trotzdem weit hinter denen von vielen (in jeder Hinsicht) durch­schnitt­li­chen Main­stream­pro­duk­tionen liegen, ist weniger über­ra­schend, als vielmehr sympto­ma­tisch für die aktuellen Gesetz­mäßig­keiten des Kinos in seiner Gesamt­heit aus Kunstform, Wirt­schafts­zweig, Medi­en­in­halt, gesell­schaft­li­cher Insti­tu­tion, etc.

Eines der Phänomen, das There Will Be Blood augen­fällig macht, ist etwa das Miss­ver­hältnis zwischen der enormen Menge von Kritiken und Bespre­chungen, die ein solcher Film verur­sacht, und der geringen Wirkung (einer­seits auf die Besu­cher­zahlen, ande­rer­seits auf den kriti­schen Diskurs um den Film), die sie letzt­end­lich haben.

Da eben schon so viel (wohl­ge­merkt auch sehr viel Kluges und Inter­es­santes) zu There Will Be Blood gesagt, geschrieben und gesendet wurde, folgen hier anstelle einer weiteren (Voll)Kritik nur einige zusätz­liche Über­le­gungen zu diesem bemer­kens­werten Film und zu seiner Rezeption.

I. Panta rhei

Dass es in There Will Be Blood um die beiden Flüs­sig­keiten Blut und Öl und ihr (bis zu den heutigen Kriegen aktuelles) Verhältnis geht, hat wohl jeder verstanden. Dass zusätz­lich die klas­si­sche Troika aus »blood, sweat and tears« den Film prägt, erschloss sich auch noch manchem Rezen­senten und führte zu sinnigen Über­schriften wie »Blood, Sweat and Oil«.

Genau betrachtet dreht sich There Will Be Blood aber nicht nur um diese vier, sondern auch um zahl­reiche andere, oft weniger auffäl­lige, doch meist genau so bedeu­tungs­volle Flüs­sig­keiten. Neben dem Blut, dem Öl, dem Schweiß und den Tränen gibt es da etwa den Schnaps, nach dem die Haupt­figur Plainview ein ähnlich maßloses Verlangen wie nach Öl hat. Da gibt es die schnee­weiße Milch, die gegen den allge­gen­wär­tigen Dreck anleuchtet. Da gibt es die Spucke, die aus dem Mund des erregten Plainview schießt, da ist der Schlamm, in dem Menschen arbeiten und sterben, da ist die Pfütze, in die der Priester getaucht wird, da ist das klare Wasser des Ozeans, das scheinbar selbst jemanden wie Plainview reinigen kann.

Ob bzw. was P.T. Anderson mit all diesen Flüs­sig­keiten wirklich aussagen oder andeuten will, sei einmal dahin­ge­stellt. Für die Viel­schich­tig­keit des Films spricht alleine die Tatsache, dass man sich selbst über so profane Dinge plötzlich Gedanken macht.

II. Citizen Kane Begins

Allge­gen­wärtig ist der Bezug auf Citizen Kane in den Bespre­chungen von There Will Be Blood, wenn auch mit sehr unter­schied­li­chen Ergeb­nissen.

Arg schlicht etwa ist der Verweis auf Orson Welles' Meis­ter­werk nur aufgrund der äußeren Ähnlich­keiten (Zeit- und Lokal­ko­lorit, etc.). Diese Über­ein­stim­mungen sind nicht zu leugnen, beziehen sich letzt­end­lich aber auf Ober­fläch­lich­keiten und sagen so weder über den einen noch über den anderen Film wirklich etwas aus.

Erstaun­lich ist dagegen der quali­ta­tive Vergleich, der verein­zelt zwischen beiden Filmen gezogen wurde. Das Verwun­der­liche daran ist wohl­ge­merkt, dass ein solcher Vergleich überhaupt ange­stellt wurde. Übli­cher­weise gelten Kritikern Werke wie Citizen Kane als derart sakro­sankt, dass allein die Gegenüber­stel­lung eines aktuellen Films als cine­as­ti­sche Blas­phemie gilt.
Bedenkt man, dass Citizen Kane (wie viele andere Film­klas­siker auch) neben seiner unzwei­fel­haften Genia­lität von einem undurch­dring­li­chen Panzer aus Legenden und kulti­scher Über­höhung geschützt wird, dann kann man in den immerhin wohl­wol­lenden Verglei­chen mit There Will Be Blood die größt­mög­liche Aner­ken­nung für diesen erkennen.

Voll­kommen unzu­tref­fend ist schließ­lich die Ähnlich­keit der Figuren Charles Foster Kane und Daniel Plainview, die mancher Kritiker vorschnell zu erkennen glaubte.
There Will Be Blood ist im Grunde eine Prequel zu Citizen Kane, dessen Schlüs­sel­szene, die gewalt­same Trennung des Kindes von seinen Eltern, hier seine unver­kenn­bare Entspre­chung findet. Nicht Daniel Plainview ist Charles Foster Kane, sondern sein Sohn H.W.

III. Daniel

Einer der meist­be­spro­chenen Aspekte von There Will Be Blood ist zwei­fels­ohne die darstel­le­ri­sche Leistung von Daniel Day-Lewis.

Wichtig ist jedoch die Fest­stel­lung, dass hier nicht das gilt, was ange­sichts ähnlicher schau­spie­le­ri­scher Kraftakte immer wieder behauptet wird:
There Will Be Blood ist also keine One-Man-Show, Daniel Day-Lewis trägt nicht alleine den ganzen Film, die Rolle des Daniel Plainview ist nicht der einzige Grund den Film anzu­schauen.

Daniel Day-Lewis Darstel­lung beein­druckt nicht nur wegen seines Könnens und seiner (auch zeit­li­chen) Präsents, sondern auch durch sein (schau­spie­le­ri­sches wie insze­na­to­ri­sches) Umfeld.
Um das zu erkennen, muss man nur den Vergleich zu Martin Scorseses Gangs of New York (ein Vergleich der sich in vieler Hinsicht lohnt und der durch­ge­hend zu Ungunsten von Scorsese ausgeht) und Daniel Day-Lewis dortiger Rolle als diabo­li­schem Unter­welt­fürst ziehen.

Dass Day-Lewis' Verkör­pe­rung des Bill »The Butcher« nicht die Nach­hal­tig­keit wie die des Plain­views hat, liegt weniger an seinem Können (das in beiden Fällen ähnlich großartig ist), als vielmehr daran, dass in Gangs of New York sein Konter­part nicht adäquat ist, dass insgesamt die Figu­ren­zeich­nung ins Kari­ka­tur­hafte neigt, dass der Film zu scha­blo­nen­haft ist, um einer Figur wie Bill »The Butcher« Tiefe und Ernst­haf­tig­keit zu verleihen.

Was in Gangs of New York zumindest schon erkennbar war (man hat fast den Eindruck, als ob Day-Lewis Scorseses Film als Vorstudie bzw. Trai­nings­ein­heit für There Will Be Blood genutzt hat) und was in Andersons Film nun endgültig über­wäl­tigt, ist die enorme körper­liche Präsenz und Wucht bzw. Gewalt von Day-Lewis.
Wer ihn zu Beginn seiner Karriere in der Rolle des Schüch­ternen, Fein­füh­ligen, Sensiblen, Schwachen, körper­lich Behin­derten und »edlen Wilden« gesehen hat, hätte nie vermuten können, dass er mit 50 Jahren zu solcher »Form« aufläuft.

IV. Patho­lo­gisch

Auch wenn allseits über die Leistung von Day-Lewis geschwärmt wird, bleibt ein ganz wichtiger Aspekt seiner Rolle doch weit­ge­hend ungenannt bzw. unerkannt.
Wenn es um die Moti­va­tion des Daniel Plainview geht, scheint fest­zu­stehen, dass es sich einfach um einen gnadenlos gierigen und verschlagen geschäft­s­tüch­tigen Mann handelt, der wirklich alles (das Glück und Leben anderer, seine eigene Würde, etc.) seinem Streben nach Reichtum unter­ordnet.

Diese Deutung ist sicher nicht ganz falsch, sie übergeht aber, was Day-Lewis zusammen mit dem Drehbuch und der Regie bei der Rolle des Plainview leisten und das ist nicht weniger, als eine der präzi­sesten und realis­tischsten Schil­de­rungen einer psychi­schen Kran­ken­ge­schichte, die das Kino seit langem gesehen hat.
Entschei­dend ist dabei, dass die hier gezeigte psychi­sche Erkran­kung (bzw. Erkran­kungen) nicht wie im Kino sonst üblich aus dem Lehrbuch abgepaust wurde, sondern als eigene Fall­ge­schichte glaubhaft entwi­ckelt wurde.

Als Folge davon kann man (zur eigenen Beru­hi­gung) die Figur des Plainview eben nicht so einfach als offen­sicht­li­chen Spinner oder Verrückten abtun, wie bei Bill »The Butcher« in Gangs of New York.

V. MythBuil­ders

There Will Be Blood verdeut­licht (ebenso wie im letzten Jahr etwa die Iwo Jima-Filmen von Clint Eastwood oder Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford), wie sehr sich Amerika von Deutsch­land (und anderen Ländern) im Umgang mit neuen Mythen unter­scheidet.
Die Frage, warum Amerika so erfolg­reich in der Mytho­lo­gi­sie­rung von Personen, Ereig­nissen oder Phäno­menen ist, bietet wohl Stoff für mehrere Doktor­ar­beiten. Aus der Betrach­tung von There Will Be Blood (oder auch den anderen genannten Filmen) kann man zumindest folgende Erkennt­nisse ziehen.

1. Mythen­bil­dung in Amerika ist grund­sätz­lich wert­neu­tral, ist also weder per se glori­fi­zie­rend noch verteu­felnd. Ob eine Mythos im einzelnen positiv oder negativ oder dazwi­schen bewertet wird, liegt im Auge des Betrach­ters, bzw. dessen, der einen weiteren Beitrag dazu leistet.

2. Mythen­bil­dung in Amerika hat nichts mit einer verbis­senen Wahr­heits­suche zu tun. »If the legend becomes fact, print the legend«, heißt es bei John Ford und in diesem Prinzip steckt auch die Einsicht, dass ein faktisch unkor­rekter Mythos wahr­haf­tiger und mächtiger sein kann, als eine nach­weis­bare, histo­ri­sche Wahrheit.

3. Mythen­bil­dung in Amerika ist ein paritä­ti­scher Prozess. Mythen entstehen weder im Elfen­bein­turm der Intel­lek­tu­ellen, noch alleine auf der Feld der Massen­kultur, sondern in deren Neben- und Mitein­ander. Künstler, Medien und die Masse haben das gleiche Recht einen Mythos zu gründen, zu beein­flussen, darzu­stellen oder zu deuten und haben dabei keine Scheu vor möglichen »Niveau­un­ter­schieden«.
Es macht keinen Unter­schied, ob man zu einem Mythos ein Groschen­heft, ein Spottlied, einen monu­men­talen Film, einen trivialen Cartoon oder einen blei­schweren Roman vorlegt. Jedes für sich dient letzt­end­lich der Stärkung und Fort­füh­rung des Mythos.

Unter diesen Vorgaben sind ameri­ka­ni­sche Mythen ein lohnens­wertes Objekt auch für anspruchs­volle Filme­ma­cher wie P.T. Anderson, der mit There Will Be Blood einfach dem Mythos des Ölrau­sches nachgeht und keine explizite Wirt­schafts­kritik a la Al Gore vorlegt, keine staubige Film­ar­chäo­logie abliefert und keine Intel­lek­tua­li­sie­rung des Themas betreiben will.

In Deutsch­land dagegen funk­tio­niert eine derartige Mythen­bil­dung nicht, was grund­sätz­lich kein Drama ist (kultu­relle Unter­schiede bestehen nun einmal), was aber ansatz­weise erklärt, warum bei uns Themen wie Stalin­grad, das Wunder von Bern oder Marlene Dietrich dem mehr oder minder gefäl­ligen Kommerz­kino über­lassen werden, während die guten Regis­seure ihre Stoffe ganz wo anders suchen.

Was dem aufge­schlos­senen Kinogeher dadurch entgeht, kann er in There Will Be Blood bewundern.