Das süße Jenseits

The Sweet Hereafter

Kanada 1997 · 112 min. · FSK: ab 12
Regie: Atom Egoyan
Drehbuch: ,
Kamera: Paul Sarossy
Darsteller: Ian Holm, Sarah Polley, Bruce Greenwood, Arsinée Khanjian u.a.
Sarah Polley

Dies ist die Geschichte einer jungen Frau, die bemer­kens­werten Mut besitzt. Sie wird mit einem Mann konfron­tiert, der alle Antworten, aber nicht genügend Fragen hat. Es ist eine Geschichte über das Heilen tiefer seeli­scher Wunden und die mora­li­schen Entschei­dungen, die bei diesem Heilungs­prozeß getroffen werden müssen. Atom Egoyan

Der Mann, der schein­bare alle Antworten hat ist der Rechts­an­walt Mitchell Stephens. Er kommt in die kleine Stadt Sam Dent. Hier hat sich vor kurzem eine große Tragödie abge­spielt: Der Schulbus ist verun­glückt und dabei sind 14 Kinder gestorben. Stephens versucht nun die Eltern der Kinder von Scha­dens­er­satz­klagen zu über­zeugen. Er redet ihnen ein, daß so ein Unglück kein Unfall sei, daß es immer einen Schul­digen gibt. Die Trau­ernden lassen sich jedoch nicht alle von ihm überreden und so entsteht eine Atmo­s­phäre von Mißtrauen und Zweifel in dem Ort. Die zweite tragende Figur des Films ist Nicole Burnell, ein junges Mädchen, daß en Unfall quer­schnitts­gelähmt überlebt. Sie steht genau zwischen den klage­wil­ligen und den klage­un­wil­ligen Eltern. Nach dem die Busfah­rerin von Stephens Kampagne abspringt ist sie die einzige über­le­bende Zeugin, und ihre Aussage ist somit ungeheuer wichtig.

Das Leitmotiv des Films ist der Ratten­fänger von Hameln, das Nicole den Kindern, die sie hütet vorliest und das dann immer wieder aus dem off ange­stimmt wird. Der Anwalt benimmt sich wie der Ratten­fänger wenn er versucht alle Angehö­rigen auf seine Seite zu bekommen. Und Nicole muß sich vorkommen wie das lahme Kind, das seinen Freunden nicht folgen kann und plötzlich ganz allein dasteht. Schließ­lich haben die sie nicht mitge­nommen in das süße Jenseits.

Der Film läuft nicht chro­no­lo­gisch ab. Nach und nach entblät­tert Atom Egoyan die Bilder des Busun­glücks, dazu die Versuche Stephens Klienten für den scheinbar ertrag­rei­chen Fall zu gewinnen. Eine weiter Erzäh­le­bene, die ebenfalls häpp­chen­weise einge­schoben wird ist die Vorge­schichte des Rechts­an­walts. Auch er hat seine Tochter verloren, sie ist seit Jahren drogen­ab­hängig und meldet sich nur, per Handy, bei ihm wenn sie Geld braucht. Diese Erzähl­weise ist also ähnlich wie in den voran­ge­gan­genen Egoyan Filmen. Die Handlung ist aller­dings leicht zu verstehen. Die Charak­tere offen­baren nach und nach ihre Facetten und das ganze fügt sich am Ende zu einem Ganzen zusammen.

Perfekt beob­achtet Atom Egoyan die Trauer. Die Unter­schiede, wie die Eltern mit ihren Gefühlen umgehen, ihre Reak­tionen auf den Anwalt mit seinen ganzen Verspre­chungen. Trotz der tragi­schen Handlung und der Schwere des Films wird dieser glück­li­cher­weise nicht senti­mental. Die Personen werden nur darge­stellt, es gibt kein gut und kein böse, keine richtige oder falsche Entschei­dung.

Atom Egoyan spielt mal wieder mit unseren Grun­dängsten. War es in Der Schätzer noch der Verlust der Existenz durch das Abbrennen der Häuser, in Calendar das Verlieren der Partnerin an einen anderen Mann und dessen Kultur und in Exotica der Verlust der Tochter durch ein Gewalt­ver­bre­chen, so ist es in Das Süße Jenseits der Verlust der Kinder. Das Schicksal ist also sehr grausam zu den Prot­ago­nisten in seinen Filmen und mit uns als Zuschauer. Denn einfach ist es nicht, sich das alles mitan­zu­sehen, gerade weil es so perfekt insze­niert ist. Am Ende des Films sitzt man erstmal in den Kino­sessel gepresst da und hat einiges zum Nach­denken. Und genauso sollte Kino ja auch funk­tio­nieren.