Storm und der verbotene Brief

Storm: Letters van Vuur

Niederlande 2017 · 106 min. · FSK: ab 6
Regie: Dennis Bots
Drehbuch:
Kamera: Rolf Dekens
Darsteller: Davy Gomez, Juna de Leeuw, Yorick van Wageningen, Angela Schijf, Maarten Heijmans u.a.
Reformationsabenteuer für die ganze Familie

Die Feinde der Obrigkeit sind manchmal die Freunde der Freiheit

Bedroh­lich sehen sie aus, die schwarz­ge­klei­deten Reiter, die zu Beginn des Films durch den Wald galop­pieren. Es sind die Häscher der Inqui­si­tion.
Wir befinden uns im frühen 16. Jahr­hun­dert. Alles spielt in Antwerpen, zur jener Zeit eine der wirt­schaft­li­chen und kultu­rellen Metro­polen Europas. Antwerpen war nicht nur ein Ort des freien Geistes, sondern auch des tech­ni­schen Fort­schritts. Dort befanden sich die neuen Medien des damaligen Zeit­al­ters: Drucke­reien, die aus einzelnen Buch­staben Druck-Platten herge­stellten, um auf schweren Holz­pressen Bücher und Flug­blätter zu drucken. In einer solchen Druckerei, bei seinem Vater arbeitet auch Storm, der zwölf­jäh­rige Held dieses Films.

Eines Tages taucht dort ein Mönch aus Sachsen auf – seine Verfolger sind die schwarzen Ritter vom Anfang, losge­hetzt vom grausamen Groß-Inqui­sitor Frans van der Hulst. Bei sich hat dieser Mönch einen Brief – und dieser Brief ist der »McGuffin«, die leere Mitte dieses Films, der Gegen­stand, den alle haben wollen. Für die einen bedroht er angeblich die Einheit von Kaiser und Kirche, bringt die Menschen von dem einen wahren Glauben ab und verführt sie zur Ketzerei, aus Sicht der anderen gibt er ihnen Stärke beim Wider­stand gegen das Unrecht.
Der junge Storm gerät mitten in diese drama­ti­schen Umbrüche. Um was es sich handelt, erfährt er und wir mit ihm erst spät: Ein Brief von Martin Luther: »Von der Freyheith eines Chris­ten­men­schen«.

»Wenn der letzte Brief Luthers gedruckt wird und seine Anhänger ihn lesen...« – »Dann gibt es einen Aufstand gegen den Inqui­sitor.«
Das wurde aber auch aller­höchste Zeit: Gute drei Monate alt ist schon das 500. Jubiläum der Refor­ma­tion, und noch immer gibt es im Kino keinen Film zu diesem welt­um­wäl­zenden Ereignis. Jetzt kommt ein Film aus den Nieder­lande in die Kinos, der diesem Mangel zumindest ein bisschen abhilft: Storm und der verbotene Brief des nieder­län­di­schen Regis­seurs Dennis Bots verpackt die Geschichte um die Veröf­fent­li­chung der kirchen­kri­ti­schen Thesen von Martin Luther in eine jugend­ge­rechte Aben­teu­er­ge­schichte.

Bald wird die Druckerei gestürmt und der Vater verhaftet. Auf der Flucht durch die Kata­komben der Stadt lernt Storm dann das gleich­alt­rige Waisen­mäd­chen Marieke kennen. Die Renais­sance-Stadt ist düster und schmutzig, in der Atmo­s­phäre von Angst und Schrecken finden dann Verfol­gungs­jagden statt und Storm rettet nicht nur die Druck­platte, sondern auch den Vater vor dem Schei­ter­haufen.

Die Feinde der Obrigkeit sind manchmal die Freunde der Freiheit – dies ist eine der zentralen Lektionen, die man aus diesem angenehm anti­au­to­ritären Film lernen kann.
Weniger angenehm ist die mitunter etwas einsei­tige und konven­tio­nelle Sicht auf die Refor­ma­tion, die auch dieser Film bedient – wie so viele Produkte der bisher überaus einsei­tigen Jubiläums­feiern: »Wer ist Martin Luther?« »Ein großer Denker.« Aha!

Obwohl der Konflikt zwischen Kirche und Reform auch in Storms Familie ausge­tragen wird, in der die Mutter katho­lisch lebt, aber eben auch eine puri­ta­ni­sche Nerven­säge ist, der Vater aber auf Erneue­rung hofft, wird hier alles in allem die Refor­ma­tion schon pauschal als etwas Gutes darge­stellt, Martin Luther und der Protes­tan­tismus als Agenten des Fort­schritts und der Katho­li­zismus als rück­s­tändig, und wahlweise dekadent oder brutal und totalitär. Die Katho­liken erscheinen fast sämtlich als humorlose Anhänger der Inqui­si­tion, sie stehen für Säube­rungen, Bücher­ver­bren­nungen, Terror und das Foltern von Refor­ma­ti­ons­be­für­wor­tern per Water-Boarding. Eine solche unhis­to­ri­sche Sicht­weise ist wissen­schaft­lich längst überholt, nur in Produkten der Popu­lär­kultur wie diesem scheinen sie auf ewig fort­zu­e­xis­tieren.

Immerhin ist Storm und der verbotene Brief Main­stream der besseren Sorte, ein solide insze­nierter Histo­ri­en­film, der die Gedan­ken­frei­heit des Einzelnen vertei­digt.