Der seltsame Fall des Benjamin Button

The Curious Case of Benjamin Button

USA 2008 · 166 min. · FSK: ab 12
Regie: David Fincher
Drehbuch:
Kamera: Claudio Miranda
Darsteller: Brad Pitt, Cate Blanchett, Taraji P. Henson, Julia Ormond, Jason Flemyng u.a.
Mehr Schiwago als Fincher

Rückwärts in die Zukunft

Brad Pitt sieht hier aus wie eine Kreuzung aus Yoda und Gollum, Cate Blanchett wie ein porentief reines Morphing aus Meryl Streep und Nicole Kidman, und auch sonst ähnelt der Der seltsame Fall des Benjamin Button weitaus mehr einem Kurio­sitä­ten­ka­bi­nett als die Story, die er erzählt: Ein Märchen über einen Greis, in dem die Seele eines Kindes schlum­mert, die dann, während er körper­lich jünger wird, altert. Dieses bleibt auch in sich unlogisch, sei es weil der frisch­ge­bo­rene Benjamin zwar wie ein Baby mit alten Gesicht­zügen aussieht, der Sterbende dann aber keines­wegs wie ein Alter mit jungem Gesicht, sondern einfach wie ein Baby. Schlimmer wiegen die Volks­hoch­schulp­hi­lo­so­phie, die völlig leere, weil immer nur behaup­tete Liebes­ge­schichte im Zentrum des Films. Und die Moral von der Geschicht': Da gibt es Kräfte in der Natur, die man nicht kontrol­lieren kann. Kein Wunder bei alldem, dass der Film 13 Mal, ein Mal mehr als Ben Hur, für einen Oscar nominiert wurde. Nicht, dass solche Zahlen je etwas über Qualität ausgesagt hätten. Aber man muss nach Ansicht des Films dann schon sagen, dass die Akade­mie­mit­glieder von allen, aber auch wirklich allen guten Geistern verlassen sind.

Es war einmal... Da gab es einen Uhrmacher, der baute für den Bahnhof von New Orleans eine große neue Uhr. Die war die schönste und beste Uhr von allen, nur dass ihr Zeiger rückwärts ging. Denn der Uhrmacher trauerte um seinen Sohn, der im Ersten Weltkrieg in den fernen Schüt­zen­gräben Europas sein Leben gelassen hatte. Und darum wünschte sich der Uhrmacher insgeheim nichts mehr, als das die Zeit rückwärts laufen und sein Sohn wieder heim­kehren möge... So ungefähr beginnt dieser Film, und die Leinwand zeigt zu dieser Erzählung zunächst das, was erzählt wird, dann aber quasi die Konse­quenzen: Einen sepia­ge­tränkten Infan­terie-Sturm­an­griff, der in Zeitlupe rückwärts abläuft, von rechts nach links fährt die Kamera in einer einzigen Einstel­lung, die Soldaten laufen rückwärts, vor allem aber entsteigen sie dem Boden, und irgend­wann steht ein junger Mann im Bahnhof von New Orleans am Bahnsteig vor seinem Eltern, nachdem er gerade rückwärts dem Zug entstiegen ist. Dies ist eine der besseren Bild-Sequenzen dieses Films, ebenso inter­es­sant, technisch wie inhalt­lich kompli­ziert, wie verrä­te­risch für diesen Film. Unnötig zu sagen, dass sie in der Vorlage nicht vorkommt, auch kein Pendant findet, sie ist wie fast alles hier ein Einfall der Filme­ma­cher und bietet sozusagen den Exkurs in der ersten von zwei Rahmen­hand­lungs­kor­setten, die in einer gewöh­nungs­be­dürf­tigen Konstruk­tion die eigent­liche, tatsäch­lich sehr seltsame Geschichte des Benjamin Button fest­zurren.

Aber was sagt uns dieser Rahmen eigent­lich, was will er uns sagen? Er hat nicht nur nicht das Geringste mit der lite­ra­ri­schen Vorlage zu tun, sondern auch nichts mit der folgenden Film­hand­lung, außer, dass wir bald erfahren, dass dessen Haupt­figur Benjamin Button mögli­cher­weise am gleichen Tag der Einwei­hung der Uhr, jeden­falls aber auch gegen Ende des Ersten Welt­kriegs geboren wurde. Ist also dieser Benjamin Button gerade in seinem sonder­baren Schicksal womöglich die Wieder­ge­burt des Sohnes des Uhrma­chers?
Ansonsten aber wäre der Bezug nicht nur inhalt­lich, sondern auch als Metapher falsch: Denn die Vorstel­lung, dass die Zeit rückwärts laufen könnte, ist so alt, wie die Idee der Zeit selbst. Sie ist faszi­nie­rend, indi­vi­dual­ge­schicht­lich, wenn ein Mensch dann als Alter beginnen würde, wie mensch­heits­ge­schicht­lich. Der fran­zö­si­sche Philosoph Jean Baudril­lard hat mit solchen Gedanken einmal gespielt – »Das Jahr 2000 findet nicht statt« – und mitunter hat man als Beob­achter unserer Zeiten ja tatsäch­lich den Eindruck, der Fort­schritt habe inzwi­schen seine Richtung verändert – nach ganz persön­li­cher Schätzung bewegt sich die Mensch­heit etwa seit dem Jahr 1973 rückwärts und in Lebens­ver­hält­nisse, denen man für immer hoffte, entkommen zu sein. Aber auch das hat mit dem Film wenig zu tun. Genau dies aber macht den Anfang dann doch verrä­te­risch für ein Kinowerk, dessen Machern es vor allem darum zu gehen schien, zu posen, darum eindrucks­volle Bilder und bedeu­tungs­volle Zusam­men­hänge zu konstru­ieren, mögen sie auch noch so hohl sein.

Das gilt auch für den zweiten Erzähl­rahmen, der immer wieder in den Fluß der Handlung einbricht, ihn in kleine Skizzen zerhackt, die recht beliebig austauschbar, auch ganz verzichtbar sind: Erzählt ist der Film nämlich im Rückblick, als im August 2005 am Totenbett einer alten Frau deren Tochter alte Tage­buch­auf­zeich­nungen eines Fremden liest, der sich dann als ihr Vater und Benjamin Button entpuppt – und dies, als ob alles andere nicht genug wäre, ausge­rechnet während der Hurrikan Katrina über New Orleans tobt. Schon der Übrige Rahme wäre eigent­lich nicht nötig gewesen, entspricht nur den konven­tio­nellsten Konven­tionen des Hollywood-Dramas. Dieser Hurrikan aber ist nicht Drama, sondern gerade in seiner offen­kun­digen »drama­ti­schen« Funktion, übelste Kolpor­tage.

»My name is Benjamin Button, and I was born under unusual circum­stances. While everyone else was agin', I was gettin' younger... all alone.« – mit Brad Pitt als allwis­send weiser Erzähler aus dem Off und auch sonst fast wie ein Mons­ter­film beginnt das alles: Es ist dunkel, eine besondere Nacht in New Orleans, wo Schwarz­afrika näher liegt als sonst irgendwo in den USA und der Voodoo-Zauber schon immer und nicht nur im Kino besondere Geschöpfe hervor­ge­bracht hat. Ein Baby wird geboren; die Mutter stirbt im Kindbett, und als der Vater seinen Sohn zum ersten Mal sieht, ist die spontane Reaktion: Töten! Wie eine Katze will er das Kind im nahen Hafen im Missis­sippi ertränken. Kurz darauf überlegt er es sich jedoch anders, und legt es bei fremden Leuten ab, mit ein wenig Geld versehen, vor der Treppe eines Alters­heimes. In dieser Szene, und noch zwei- dreimal, da kurz blitzt einmal etwas auf von Finchers Talent, den Horror in unserer Gegenwart zu finden. Ansonsten ist der Horror aus diesem ersten echten Kostüm­film des Regis­seurs sorgsam getilgt.

Sehr bald darauf erst begreift der Zuschauer den Grund des väter­li­chen Entset­zens. Denn erst jetzt fällt der Blick der Kamera auf das Neuge­bo­rene: Der kleine Junge ist hässlich wie die Nacht, verschrum­pelt und faltig sein Antlitz. Der erste Arzt, der ihn unter­sucht, stellt fest: Er hat Gicht, und viele weitere körper­liche Krank­heiten des hohen Alters, überhaupt den Leib eines fast 90-jährigen, und erscheint dem Sterben nahe. Queenie die junge – und schwarze! – Pflegerin des Alten­heims, die ihn an Kindes statt annimmt, glaubt, er werde wie die meisten Bewohner dieses Ortes nur kurze Zeit Gast im Haus sein. Doch Benjamin lebt und lebt, und wächst und wächst, und wird äußerlich jünger und jünger...

Kurios, kurios... Es ist schon eine überaus merk­wür­dige Geschichte, die David Fincher hier auf über zwei­ein­halb Stunden behäbig und oft langatmig, in spät­ba­ro­cker Ausführ­lich­keit erzählt. Von einem Menschen, der mit den Jahren immer jünger wird. Das Grund­motiv zu The Curious Case of Benjamin Button (Der seltsame Fall des Benjamin Button) ist der gleich­na­migen Kurz­ge­schichte von F. Scott Fitz­ge­rald entlehnt, dem Autor des Großen Gatsby und einem der bedeu­tendsten US-Schrift­steller des 20. Jahr­hun­derts. Eine Lite­ra­tur­ver­fil­mung kann man diesen Film aber deshalb trotzdem keines­wegs nennen, denn mit der Vorlage hat er außer der Ausgangs­idee, dem Namen der Haupt­figur und seinem Titel nicht mehr das Geringste zu tun: Fitz­ge­ralds Story ist nur 25 Seiten lang, sehr launig und charming, eine sarkas­ti­sche Groteske über Jugend­wahn und die Dummheit des Amerika seiner Zeit.
Regisseur Fincher und seine Dreh­buch­au­toren Eric Roth und Robin Swicord erzählen eine bizarre, private Geschichte der letzten 90 Jahre Amerikas. Man kann jetzt die Magischer Realismus-Karte aus der Tasche ziehen, und tatsäch­lich wirkt Button tatsäch­lich anfangs so wie eine Art Oskar Mazerath Amerikas, ein weiser, alters­loser Zwerg im Kinder­körper, aber natürlich ist Magischer Realismus auch nur wieder so eine Floskel, mit denen man jeden Auto­ren­wahn­sinn und Kitsch noch mit der Weihe des Poeti­schen versehen kann. In vielem erinnert die Story eher an Forrest Gump, zu dem ebenfalls Eric Roth das Drehbuch lieferte: Eine Haupt­figur, ein sonder­barer und etwas einfäl­tiger Provinzler, führt ein recht belie­biges Leben, reist durch die Zeiten, begegnet histo­ri­schen Großer­eig­nissen, wie dem Zweiten Weltkrieg, Mondra­ke­ten­starts, ohne aber so richtig an ihnen teil­zu­haben.

An Doktor Schiwago erinnert dann der Einfall, diesen Mann, von Zieh­mutter Queenie (Taraji P. Henson) abgesehen, emotional zwischen zwei recht gleich­ran­gige Frauen zu stellen: Die Diplo­ma­ten­gattin Elizabeth, die erste große Liebe seines Lebens während einiger Tage in einem Hotel in Murmansk, und Daisy, seine nie verges­sene Jugend­liebe, die er für Jahr­zehnte aus den Augen verliert, um dann schließ­lich mit ihr zusam­men­zu­leben, und eine Tochter namens Caroline (Julia Ormond) zu bekommen. Daran ist aller­dings auch alles nur behauptet und ausge­dacht: Keiner ist hier fürein­ander bestimmt, wie der Film sugge­rieren möchte.

Auch gerade diese zwei Darstel­le­rinnen, die immer ein wenig zu sture, zu verstockte, aber darin geniale Swinton und die hier einmal mehr unglaub­lich manie­riert und nerv­tö­tend spielende Blanchett, sind Signaldar­stel­le­rinnen, mit denen der Film allein schon durch ihre Besetzung um Oscar­würden bettelt: Will­kommen in der Meryl-Streep-Liga der äthe­ri­schen »starken« Frauen mit weißer Haut und roten Haaren, nicht zu schön, schon gar nicht zu sexy, aber »wie gemalt«.

Aller­dings: Von den Darstel­lern, immerhin Brad Pitt, Cate Blanchett und Tilda Swinton, sieht man meist nicht viel – dafür sorgen finger­di­ckes Makeup und compu­ter­ge­ne­riertes Face­lif­ting. Der Gipfel des Wahnsinns ist dabei in der Figur des Titel­helden erreicht. Es mag gewiss für die Lese­rinnen von Gala und der verbli­chenen Park Avenue seinen diskreten Charme beinhalten, dass Brad Pitt hier noch einmal, so aussieht wie vor 18 Jahren in Thelma & Louise. Aber oft genug sieht er mit Falten­maske und über­großem Kopf digital auf die Körper von Zwergen und Kindern gepflanzt, aus wie das Produkt eines mad scientist, wie die Kreuzung aus Yoda (aus Star Wars) und Gollum (aus Herr der Ringe). Und er spricht auch so: Pseu­do­weise, aber hohl. »Our lives are defined by oppor­tu­nities and the ones, we miss.«
Zurück zu Maske: Blanchett hat über weiteste Strecken des Films ein glatt­ge­schmir­gelt glän­zendes Gesicht aus digitalem Elfenbein, dem man seine Herkunft am Computer in jedem Augen­blick ansieht, und das eher die Grenzen als die Möglich­keiten des Digitalen illus­triert.

Auch stilis­tisch erinnert vieles an Doktor Schiwago: Der Musik­sirup, der ständig zwischen den Bildern herum­tropft und schließ­lich den ganzen Film verklebt; die tech­ni­schen Super­la­tive (Produk­ti­ons­kosten von 150 Millionen Dollar, also fast eine Million pro Minute), die hier aufge­fahren wurden, und »große« oder besser: über­la­dene Bilder in Serie produ­zieren, denen man ihren Aufwand immer ansieht, deren Bedeutung – jenseits von der natürlich legitimen Absicht, den Aufwand und die Mühe der Macher zu bebildern – sich aber oft genug nicht erschließt.
Man kann ja sogar dieses Genre schätzen, jene Filme in denen Amerika sich von sich selbst erzählt, Filme wie George Stevens' Giganten. Aber dies hier ist etwas völlig anderes: Der Fall eines Films, bei dem die Technik den Film kapert, die Handlung usurpiert: Weil man es machen kann, wird es auch gemacht. Eine eitle Fingerübung. Besonders deutlich ist das erkennbar in jener einen, zwei­fellos virtuos insze­nierten Szene in der Mitte, die Daisys Unfall beschreibt – wieder mit fünf-minütiger Ansage. Inhalt­lich ist das verfilmte Chaos-Theorie, die Idee, dass kleinste Gescheh­nisse größte Wirkungen haben können. Gezeigt wird es indem es mit einem gefühlt zwanzig-minütigen Off-Texts des allge­gen­wär­tigen Off-Erzählers Pitt unterlegt wird:

»Sometimes we're on a collision course, and we just don’t know it. Whether it’s by accident or by design, there’s not a thing we can do about it. A woman in Paris was on her way to go shopping, but she had forgotten her coat – went back to get it. When she had gotten her coat, the phone had rung, so she'd stopped to answer it; talked for a couple of minutes. While the woman was on the phone, Daisy was rehear­sing for a perfor­mance at the Paris Opera House. And while she was rehear­sing, the woman, off the phone now, had gone outside to get a taxi. Now a taxi driver had dropped off a fare earlier and had stopped to get a cup of coffee. And all the while, Daisy was rehear­sing. And this cab driver, who dropped off the earlier fare; who'd stopped to get the cup of coffee, had picked up the lady who was going to shopping, and had missed getting an earlier cab. The taxi had to stop for a man crossing the street, who had left for work five minutes later than he normally did, because he forgot to set off his alarm. While that man, late for work, was crossing the street, Daisy had finished rehear­sing, and was taking a shower...«

Und so weiter, und so weiter. Das Problem der Szene ist nun weniger Pitts Text, und schon gar nicht ihre Insze­nie­rung, die fraglos souverän ist, wenn sie auch etwas zu stark an Amelie erinnert, sondern dass sie völlig zusam­men­hanglos zum Rest steht, ein Story-Gimmick, ein Einfall, auf den die Macher wie auf alles andere – daher die 166 Minuten – nicht verzichten wollten, aber auch nicht recht wissen, was es soll.

Im Gegensatz zu Leans Russland-Melodram gewinnt der Titelheld hier aber nie Kontur. Nie versteht man, was ihn umtreibt, wie es ihm geht, warum er etwas tut und etwas anderes lässt, warum er Seemann wird, was er über Daisy denkt, über seinen Vater, als er den wieder sieht. Button bleibt ungreifbar, ein Rätsel, ohne Leben, eine kalte Idee in einem kalten Film.
Und oft genug einfach unsym­pa­thisch: Wie beim Besuch bei Daisy in New York. Da ist er ein blöder Provinzler, der seiner Umgebung nicht gewachsen ist, der sich in der sündigen Stadt nicht wohlfühlt, und darum manchen am Ende noch als Inbegriff des »guten Ameri­ka­ners« gilt. Vor allem aber macht der Film so gar nichts aus der Umdrehung des Alters. Eine inter­es­sante Frage wäre ja zum Beispiel, wie das körper­liche Alter Buttons sich aufs Gemüt auswirkt.

Seit Jahren, so liest man, versuchten die Produ­zenten, die die Rechte an Fitz­ge­ralds-Vorlage erworben hatten, die Story zu verfilmen – lange erfolglos. John Travolta sollte Haupt­dar­steller sein, Charlie Kaufman Dreh­buch­autor. Erst waren Ron Howard, Steven Spielberg und Spike Jonze als poten­ti­elle Regis­seure im Gespräch. Das hätte wohl auch weitaus besser gepasst, als David Fincher, jenen Schwarzen Prinz der Film­in­dus­trie, der als Regisseur von Seven, The Game, Fight Club, Panic Room und Zodiac vor allem für dichte, intel­li­gente Thriller, für düstere Neo-Noirs und zeit­ge­mäße Paranoia-Szenarien bekannt und zu recht berühmt wurde. Stilis­tisch gehörte Fincher in den späten 90ern zur Avant­garde des Kinos. Aber mit diesen bishe­rigen Filmen hat Benjamin Button nicht das Geringste zu tun; es handelt sich hier ganz klar um den main­strea­m­igsten Film, den man von diesem Regisseur kennt. Und Der seltsame Fall Des Benjamin Button ist zumindest Finchers erste Regie­ar­beit, die in den USA nicht mit einem R-Rating versehen wurde – ob man darin ein Argument für diesen Film sehen will, muss natürlich jeder selbst entscheiden. Aber es spricht zumindest dafür, dass er hier nicht als Tabu­bre­cher unterwegs ist.

Kälte – diesen Vorwurf hat man Fincher schon oft gemacht. Zu Unrecht, zumal dies per se noch kein Vorwurf ist, und man hier oft Kühle mit Kälte verwech­selt, die Fähigkeit zum nüch­ternen Beob­achten und genauen Hinsehen mit Zynismus. Zum ersten Mal aber stimmen hier alle Argumente, die man gegen Fincher schon immer ins Feld führte. Warum Fincher mit so etwas seine Zeit verschwendet hat, bleibt ein Rätsel. Es sei denn er hat ganz cool, kalt und zynisch kalku­liert: Ich mache einen Hit, mache Oscar-taug­li­chen Kitsch, und darf dann beim nächsten Mal machen, was ich will. Immerhin das Interview, das Harald Pauli mit Fincher im Focus geführt hat, lieferte darauf einen dezenten Hinweis: Da berichtet er von einem Lieblings-Projekt, das »gewalt­tätig und düster« sei. Das habe er nun von Paramount zurück­be­kommen – im Gegenzug für den Deal, 'Button' zu über­nehmen. Viel­leicht also, so die vage Hoffnung all derer, die den alten Fincher liebten, war alles nur Kalkül und Deal. Und der Schwarze Prinz von Hollywood hat doch nicht seine Seele verkauft.

Ebenso ein Rätsel bleibt auch die Frage, warum der Film soeben für 13 Oscars nominiert wurde. Es sei denn, man begnügt sich zur Beant­wor­tung von Letzterem mit dem Hinweis auf teures, technisch aufge­motztes und insofern hoch­gradig perfektes Industrie-Kino-Holly­woods. Und darauf, dass die Mitglieder der acedemy bekannt­lich einen sehr hohen Alters­durch­schnitt haben. Viel­leicht lässt man sich, dem Tode nahe, leichter von einem solchen Alten­drama rühren. Das ist der Film nämlich auch.

Schon jetzt ist absehbar: Trotz aller Ehren wird dieser seltsame Fall eines Films sein Publikum gespalten zurück­lassen – wo die einen sich im Innersten berührt fühlen und mit Benjamin Button iden­ti­fi­zieren, erkennen andere nur eine kalte Fingerübung und einen zu langen, lang­wei­ligen Film.