Deutschland 2009 · 96 min. · FSK: ab 0 Regie: Thomas Kronthaler Drehbuch: Stefanie Kremser Kamera: Christof Oefelein Darsteller: Júlia Hernández, Friedrich Mücke, Carla Ortiz, Agar Delos, Florian Brückner, Luis Bredow u.a. |
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Mei, is des schee! |
Eine Unterwasserreise von Bayern nach Bolivien: Begleitet von bayerischer Blasmusik taucht Alois ab in einen dampfenden, blauen See und durchschreitet langsam die Welt der Fische und Wasserpflanzen, bis er im Titicaca-See an dem kleinen, bolivianischen Ort Copacabana wieder auftaucht. »Passt scho!« ruft der lächelnde Jüngling in Lederhosen und macht sich auf in sein neues Leben in den Anden.
In seinem zweiten Kinofilm nimmt Thomas Kronthaler uns mit in die Welt der 14-jährigen Alfonsina (Júlia Hernández Fortunato), der Enkelin des Wasserläufers Alois, die mit ihrer Mutter und der inzwischen verwitweten Großmutter Elena in Copacabana lebt. Gemeinsam mit ihrer Freundin Teresa (Camila Andrea Guzmán Arteaga) träumt Alfonsina davon, aus der Enge der dörflichen Gemeinschaft auszubrechen und wie ihr Großvater die Welt zu entdecken. Bis es soweit ist, sammeln die beiden Mädchen Postkarten, die ihnen Touristen aus ihren Heimatländern schicken.
Die Geschichte ist dem bayerischen Dorfleben – der bisherigen Spezialität Kronthalers (Die Scheinheiligen) – nicht so fern, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Jeder, der in der Provinz aufgewachsen ist, kennt das Gefühl, wegzuwollen, sich der sozialen Kontrolle und der Gleichförmigkeit des Landlebens zu entziehen. Die Sehnsucht nach der ersten Liebe und das Gefühl, von den eigenen Eltern nicht verstanden zu werden, verstärken diesen Unternehmungsdrang. So geht es auch Alfonsina, als sie auf den Münchner Rucksacktouristen Daniel (Friedrich Mücke) trifft.
Der Ornithologie-Student Daniel ist nach Copacabana gekommen, um den Titicaca-Taucher zu sehen, einen Vogel, der nicht fliegen kann und damit für immer am Titicaca-See bleiben muss. Er ist die Metapher für die Mehrheit der Bewohner Copacabanas, die ihre Heimatstadt nie verlassen. Alfonsina möchte anders sein, sie möchte »wegfliegen« und etwas erleben. Ihre Großmutter versteht sie und tröstet nach dem Abschied von Daniel: »In Wirklichkeit war dein Daniel ein Engel und mir scheint, er hat dir Flügel geschenkt.« Die Vogelsymbolik wird immer wieder aufgenommen und kommt ein wenig platt daher. Ein bisschen subtilere und weniger aufdringliche Anspielungen hätten die Zuschauer auch verstanden.
Doch Kronthaler hat Freude an symbolischer Verdichtung und bedient sich schamanischer Rituale, christlicher Segnungen und verschiedener Heiligenfiguren; um die mystisch-märchenhafte Seite seiner Geschichte zu unterstreichen. So wacht der Glücksgottt Ekeko über das Wohl von Alfonsinas Mutter Rosa, welche ihrem Beschützer allabendlich eine Zigarette zu rauchen gibt. Großmutter Elena unterhält sich regelmäßig mit ihrem verstorbenen Gatten Alois, der als munterer Geist in Lederhosen durch die Szenerie spaziert. Und Daniel verliebt sich doch tatsächlich ein bisschen in Alfonsina, nachdem der dafür zuständige Heilige auf den Kopf gestellt worden ist.
Bei gemeinsamen Ausflügen in die Natur freunden sich der bayerische Tourist und das junge Mädchen ein wenig an. Für Daniels Freunde an der Landschaft hat Alfonsina jedoch nur wenig übrig: »Wir sind doch hier am Arsch der Welt.« – »Wenn nur der Rest der Welt so schön wäre wir ihr Arsch.« Solche Dialoge können keine Stimmung entfalten und wirken äußerst holprig. Auch Kronthalers Bemühen, immer wieder bayerische Mundart in die Gespräche einzuflechten, ist etwas anstrengend. Auf Alfonsinas Frage, ob er denn auf dieser Höhe Rad fahren könne (der Titicaca-See liegt auf 4000m), antwortet Daniel mit »Si, passt scho!« An anderer Stelle versucht er, ihr die Namen seiner Leibgerichte beizubringen: »Apfelkiacha, Reiberdatschi, Semmelknödel.« Großmutter Elena, die gerne im Dirndl ihre Wäsche wäscht und ein bayerisches Alpenpanorama über ihrer Sitzecke hängen hat, lässt ebenfalls das eine oder andere »Passt scho!« einfließen – so wie es ihr Alois immer gesagt hat, wenn ihm etwas gefiel.
In kitschigen Rückblenden erfahren wir Details aus der Liebesgeschichte von Elena und Alois, die Elena bis heute mit Glückseligkeit erfüllt. Sie ist es auch, die Alfonsina in Lebens- und Liebessorgen zur Seite steht. Ihre schöne Mutter Rosa, ebenfalls verwitwet, ist hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt, vor allem als sie sich in den Geschäftmann Felipe (Salvador del Solar) aus La Paz verliebt. Das Zentrum der Frauenfamilie ist daher Elena, eine indianische Schönheit, die zumeist Pfeife rauchend in ihrer Hängematte im Innenhof schaukelt. Männer spielen in Schreibe Mir – Postkarten Nach Copacabana nur Nebenrollen. Vor allem die bolivianischen kommen gar nicht gut weg. Sie werden als egoistische Machos dargestellt, denen es nur um ihr eigenes Glück geht. Ganz anders die bayerischen Männer – liebevoll und einfühlsam sind sowohl Großvater Alois als auch der Student Daniel. Hier hätte man sich eine differenziertere Sicht auf die bolivianischen Gesellschaftsstrukturen gewünscht.
Yolanda (Teresa Gutiérrez) und Felicia (Rosa Ríos), alte Freundinnen von Elena, lassen ebenfalls kein gutes Haar an ihren Ehemännern – und diese sind schon tot. Die betagten Damen sind die Tratschtanten von Copacabana. Ihre Charaktere können als augenzwinkernde Kritik einer Dorfgemeinschaft betrachtet werden, die jedes Mitglied auf Schritt und Tritt verfolgt, und sobald eines aus der Reihe tanzt, hart bestraft.
Stilistisch betrachtet ist der Film noch dazu ziemlich überfrachtet. So fliegen am Anfang Margeriten durch die Luft und man glaubt sich in einem Trailer des Musikantenstadls. Traumsequenzen sind in leuchtend, knalligen Tönen eingefärbt. Die Handlung, eigentlich für sich spannend genug, wird nahezu ständig mit dramatisierender Musik untermalt, die manchmal klingt wie bayerische Hausmusik, manchmal wie die südamerikanischen Musiktrupps, die in bunten Ponchos in Deutschlands Fußgängerzonen auftreten. Ein bisschen weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen.
Eigentlich ist Schreibe Mir – Postkarten Nach Copacabana eine universelle Geschichte eines jungen Mädchens, das flügge wird und die Welt entdecken möchte. Vor der Kulisse Copacabanas und mit den bayerisch-bolivianischen Kuriositäten erhält der Film jedoch einen spezielleren Charme, den er bestimmt der Drehbuchautorin Stefanie Kremser zu verdanken hat. Sie hat ihren gleichnamigen Roman, in den auch Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend in Brasilien eingeflossen sind, zur Filmvorlage umgearbeitet. Eine schlichtere Bildsprache und ein paar Lederhosen weniger hätten dem Film jedoch gut getan.