Schläfer

Ö/D 2005 · 105 min. · FSK: ab 12
Regie: Benjamin Heisenberg
Drehbuch:
Kamera: Reinhold Vorschneider
Darsteller: Bastian Trost, Mehdi Nebbou, Loretta Pflaum, Gundi Ellert, Wolfgang Pregler u.a.
Paranoia und Bedrohung

Protokoll einer Verunsicherung

Die neue Mode des Verrats

Ein Gespräch in einem sonnen­durch­flu­teten Park steht am Anfang: Johannes, Doktorand für Virologie an der TU München soll dem deutschen Geheim­dienst einen kleinen Gefallen tun, und seinen neuen, aus Arabien stam­menden Kollegen Farid (Mehdi Nebbou) bespit­zeln. Farid könnte, so wird ihm gesagt, ein terro­ris­ti­scher »Schläfer« sein. Er lehnt zunächst ab. Aber das Gift, das die Frage in sein Gemüt injiziert hat, wirkt bereits: Johannes, von Bastian Trost wunderbar verstockt gespielt, hat sich ködern lassen, und hängt nun wie ein Fisch am Haken. Und irgend­wann willigt er schließ­lich in das unmo­ra­li­sche Angebot ein. Denn Farid wird im mehr­fa­chen Sinn für ihn zum Konkur­renten: Um die Gunst des gemein­samen Profes­sors, wie auch der spröd-verfüh­re­ri­schen Kellnerin Beate.

Die beiden recht verschie­denen jungen Männer freunden sich an, verbringen auch privat Zeit mitein­ander, doch zumindest für den Betrachter hat alles, was geschieht eine doppelte Bedeutung. Wir sehen Farid auch mit Johannes' Augen, mit seinem Verdacht im Hinter­kopf werden auch uns manche seiner Hand­lungen rätsel­haft. Viel­leicht ist er ja wirklich ein gefähr­li­cher Mann?

Schläfer ist somit das Protokoll einer Verun­si­che­rung. Subtil weckt es ein Gefühl der Paranoia und Bedrohung auch beim Zuschauer. Er zeigt, dass Beob­ach­tung ein Prozeß ist, in dem sich das Bild aus vielen einzelnen Frag­menten entwi­ckelt und nie völlig fertig­ge­stellt ist, sondern kalei­do­sko­pisch immer neu zusam­men­setzt. Man darf sich dabei an Blow Up von Antonioni erinnern, auch schon ein Film, der zeigt, wie ein kleiner Impuls die Wahr­neh­mung unseren ganzen Lebens auf den Kopf stellen kann.
Verun­si­chert sind die Figuren, die versuchen, die Zeichen der Wirk­lich­keit zu lesen, aber auch die Zuschauer, weil sie nur selten mehr wissen, als die Charak­tere. Sein frag­men­ta­ri­scher Charakter macht Schläfer auch zu einem Paranoia-Thriller a la Coppolas Conver­sa­tion. Es geht hier also weniger um modisch-aktuelle Themen wie »Die Folgen des 11.September«, sondern um die Verfasst­heit sozialer Bezie­hungen.

Unsere von Lausch­an­griff, Aushöh­lung des Daten­schutz' und der Einschrän­kung der Freiheit zugunsten »innerer Sicher­heit« geprägte Gesell­schaft ist für derlei eher unsen­sibel. Doch längst hat der Wahn der »homeland security« auch uns ergriffen, werden in manchen Bereichen die Bürger unter Gene­ral­ver­dacht gestellt. Und der Film zeigt recht gut, wie beiläufig sich Denun­zi­an­tentum im Alltag ereignet.

Als sich Beate irgend­wann offen­kundig mehr für Farid inter­es­siert, verrät Johannes ihn an den Geheim­dienst. So entpuppt er sich als der wahre Schläfer: Ein indif­fe­renter junger Mann, der still und schwei­gend einen zunächst diffusen Zorn in sich hinein­frisst. Voller Ehrgeiz, aber fast ein Loser, spießig und autoritär. Denn die Norma­lität ist dämonisch, viel mehr als alle Geister und Zombies und Wieder­gänger, die uns derzeit aus Amerika heim­su­chen. Mit kühler Konse­quenz wächst das Portrait dieses langsamen Alltags­le­bens zum Drama, das seine Figuren zur Katharsis zwingt.

Verrat, Eifer­sucht, das Beob­achten eines Beob­ach­ters, die allmäh­lich wach­senden Haarrisse in einem »normalen« Alltag Beim dies­jäh­rigen Max-Ophüls-Preis in Saar­brü­cken gewann das fulmi­nante, vom Genre­ty­pi­schen weit entfernte Regie-Debüt des Münchner HFF-Absol­venten Benjamin Heisen­berg gleich drei Auszeich­nungen (Haupt­preis, Dreh­buch­preis und Musik­preis). Heisen­berg ist auch Gründer von revolver, einer der besten deutschen Film­zeit­schriften. Ähnlich wie Michael Haneke zuletzt in Caché erzählt auch dieser Psycho­thriller von der Mitte unserer Gesell­schaft und von der Rückkehr der Repres­sion in sie hinter der Maske der »Sicher­heit«. Zugleich handelt dieser kluge, genau beob­ach­tete Film aber auch von den Folgen – und wird so zum sensiblen, ganz gegen­wär­tigen Portrait einer Welt, in der jeder jeden betrügt.