Ein ruhiges Leben

Una vita tranquilla

Italien/F/D 2010 · 105 min. · FSK: ab 12
Regie: Claudio Cupellini
Drehbuch: , ,
Kamera: Gergely Pohárnok
Darsteller: Toni Servillo, Marco D'Amore, Francesco Di Leva, Juliane Köhler, Leonardo Sprengler u.a.
Die Sehnsucht des Mafiosi nach Geborgenheit

Vom Leben und Sterben in Biebesheim

Die Mafia ist einer der Mythen, die das Kino so sehr liebt. Jede Menge schänd­liche Verwick­lungen gibt es da zu enthüllen, zahllose Netze aus Familie, Verbre­chen und Politik, die sich nie in ihrer Gänze offen­legen mögen. Das eine oder andere Stück im Puzzle wird immer fehlen – was für eine wunder­bare Projek­ti­ons­fläche für die Wunsch­ma­schine Kino, wie viel Platz für tragische Helden und heroische Gangster! Kein Wunder, dass die meisten Filme, die sich mit dem Thema befassen, episch angelegt sind. Vermut­lich führt ein sehr direkter Weg vom Fami­li­en­fest in Der Pate zum seriellen Erzählen der »Sopranos«, beides sehr gelungene Versuche, ein großes Bild aus vielen einzelnen Mosa­ik­stein­chen zusam­men­zu­setzen.

Claudio Cupellini verzichtet in seinem Genre­bei­trag auf die große Oper, er erzählt in sehr wohl gesetzten leisen Tönen von der umfas­senden Verderbnis, die das orga­ni­sierte Verbre­chen denen zufügt, die an ihm teil hatten. Ein ruhiges Leben, was für ein tragi­scher Witz, will Rosario führen, er hat Renate gehei­ratet und ein italie­ni­sches Restau­rant mit einer kleinen Pension aufge­macht in Biebes­heim, einem rhein­hes­si­schen Kaff, nicht weit von Worms, Darmstadt, Wiesbaden, aber auch nicht wirklich nahe. Toni Servillo, der als »Il Divo« in Paolo Sorren­tinos Andreotti-Film alle Mafia-Vorwürfe noch mit einer Art gelang­weiltem Stoi­zismus an sich abprallen ließ, das zerfurchte Gesicht ein einziger, fleisch­ge­wor­dener Seufzer, strahlt eine kraft­volle Ruhe aus, die man wohl auch braucht in einer Restau­rant­küche, im Auge des Sturms. Oder als eiskalter Killer.

Nie in der ganzen Geschichte werden alle Details seiner Vergan­gen­heit offen gelegt, die ihn heim­su­chen kommt in der Gestalt zweier junger Kerle, des grüble­ri­schen Diego und des impul­siven Edoardo. Für die Kellnerin Doris hat Edoardo den anzie­henden Ruch der Fremde, die Ahnung der weiten Welt, der Rosario für immer entfliehen wollte. Diego ist sein Sohn.

Mit großer Präzision füllen die Darsteller den Raum, den ihnen das behutsam erzäh­lende Drehbuch lässt. Diego trifft Mathias, den Sohn von Rosario und Renate, er braucht den Unter­schlupf, den ihm sein Vater bieten kann, aber er will die Nähe nicht, die Rosario ihm aufzwingen will. Hinter Marco D’Amores glattem, abwei­senden Gesicht tobt ein Kampf aus wider­sprüch­li­chen Emotionen, aus Hass, tief verschüt­teter Liebe – und Angst. Denn Diego ist in der Gegend, um einen Job zu erledigen.

Cupellini erzählt, meis­ter­haft unauf­dring­lich inein­ander verwoben, zwei Geschichten gleich­zeitig: Die einer Familie, die kaum weiß, dass sie eine ist und erst recht nicht, was ihre Mitglieder vonein­ander trennt. Einmal, als sie alle zum Tierheim fahren, um einen Hund für Mathias auszu­su­chen, trennen die spitz zulau­fenden Wände der Käfi­g­reihe Renate und ihren Sohn von Rosario und Diego wie ein riesiger, tödlicher Keil.

Und er liefert eine Studie des orga­ni­sierten Verbre­chens ab, seiner unteren Chargen zumindest, die von unsicht­baren Kräften gezwungen werden, von Stimmen am Handy oder vom über allem liegenden Schatten der Vergan­gen­heit, der sie aus ihrem biederen Alltag zwingt. In Biebes­heim am Rhein, da kann man nur dem Geschäfts­führer einer Müll­ver­bren­nungs­an­lage auflauern, irgendwo unter einer schäbigen Eisen­bahn­brücke, wo er jeden Tag mit dem Fahrrad vorbei­fährt. Neapel oder New York liegen von hier aus auf einem anderen Planeten.

Natürlich kennt Cupellini sich aus mit den Standards des Mafia­films, und als alle Fronten geklärt scheinen, lädt er jedes Bild mit einer unter­schwel­ligen Bedrohung auf, die eine große Spannung schafft in der schlichten Umgebung, in Klein­fa­milie und länd­li­cher Gegend. Viel­leicht war es sogar so etwas wie ein Idyll – aber auf jeden Fall ist das, was Rosario hatte, unrettbar zerstört durch die beiden Gäste.

Sicher, der Film verschenkt die eine oder andere Möglich­keit, seine Geschichte zu einem zügigeren und dennoch nicht weniger kraft­vollen Ende zu bringen, und die Frau­en­fi­guren, allen voran Juliane Köhlers Renate, drängt er immer wieder arg an den Rand – aber, wir wissen es nicht erst seit Scorsese, die ehren­werte Familie ist eben doch eine ziemliche Männer­ge­sell­schaft. Und in den stärksten Momenten erzählt Cupellini von den Menschen in diesen Mördern.