Ruhm

Deutschland/Ö/CH 2011 · 103 min. · FSK: ab 12
Regie: Isabel Kleefeld
Drehbuch:
Kamera: Rainer Klausmann
Darsteller: Senta Berger, Heino Ferch, Julia Koschitz, Stefan Kurt, Thorsten Merten u.a.
Senta Berger rettet, was sie retten kann

Die Nabelschau der Kreativen

Wenn ich eine Figur erschaffe, bin ich dann für sie verant­wort­lich? Darf ich, als Erzähler, gegen ihren mutmaß­li­chen Willen extreme Dinge mit ihr anstellen? Diese Fragen hat sich ja sicher­lich jeder von uns schon einmal gestellt. Nein? Na gut, dann aber wenigs­tens die: Ist es das wahre, echte, wirkliche Leben, das mir hier wider­fährt, oder lüge ich mir nur eine Fiktion zurecht?

Isabel Kleefelds Ruhm nach dem gleich­na­migen Roman »in neun Geschichten« von Daniel Kehlmann verwebt viele große Fragen, manches exis­ten­zi­elle Unbehagen und eine statt­liche Menge guter Ideen zu einem erzäh­le­risch und alle­go­risch letztlich sehr unbe­frie­di­genden Netz.

Wobei ein Netz wohl gar nicht das richtige Bild ist für die narrative Struktur des Films, in der sich die Lebens­wege der Haupt­fi­guren mal nur kurz, mal länger berühren und manche von ihnen im Vagen enden, während andere, wenige zu einem zumindest vorläu­figen Ende kommen dürfen. Und vieles davon ist, davon kann sich der Film nicht frei machen, dann eben doch nur eine eini­ger­maßen eitle Selbst­spie­ge­lung des kreativen Bürger­tums, das es sich leisten kann, solche Fragen wie die oben erwähnten zu stellen, weil man halt sonst keine Probleme hat.

Wobei fairer­weise erwähnt werden muss, dass der Schrift­steller Leo Richter in einigen seiner Szenen als rechter Wasch­lappen hinge­stellt wird. Während seine Freundin um das Leben zweier entführter Kollegen von »Ärzte ohne Grenzen« bangt, denkt Leo nur darüber nach, wie er das Erlebte in eine neue Geschichte verwan­deln kann. Irgend­wann hat sie ihn dann soweit, er sagt eine Pres­se­reise ihr zuliebe ab. Eine befreun­dete Krimi­au­torin muss nun für Leo durch ein ex-sowje­ti­sches Absur­distan reisen, einen fiktio­nalen Mix aus stali­nis­ti­schem Pomp und bitterem Elend, in dem der Regis­seurin einige höchst absurd komische Momente gelingen. Doch am Ende der Odyssee dieser Maria Rubin­stein, die Gabriela Maria Schmeide sehr liebens­wert mit Schüch­tern­heit, Naivität und einem großen Gefühl der Einsam­keit ausstattet, steht der Absturz in tiefe Not und Unge­wiss­heit. Kleefeld balan­ciert diese wider­strei­tenden Emotionen nicht aus, sie lässt sie in ihrer Insze­nie­rung sehr wider­sprüch­lich im Raume stehen.

Dieser Leo Richter jeden­falls hatte ein Projekt mit dem Filmstar Ralf Tanner angedacht, das nun aber ins Wasser fällt, weil der Nobody Joachim Ebling, sei’s durch ein Versehen, sei’s durch Bösar­tig­keit – die Geschichte wird dies gegen Ende aufklären – Tanners Handy­nummer zugeteilt bekommen hat. Den biederen Elek­tro­in­ge­nieur rufen nun zahllose Damen an, und gegen eine besonders verruchte Stimme gibt er bald den Wider­stand auf. Tanner kommt derweil auf den Geschmack des einfachen Lebens und gibt sich als Double seiner selbst aus.

Die Austausch­bar­keit der Iden­ti­täten in einem Zeitalter der Ober­fläch­lich­keit, unsere lächer­liche Abhän­gig­keit vom Digitalen, der Rausch des Erfolgs und der Kater danach – der Plot wirft Themen auf, die in ihrem Ehrgeiz durchaus reizvoll sind und in ihrer Komple­xität genug Stoff für einen eigenen Film abgeben würden. Doch bei der Ausge­stal­tung dieser Themen bleibt Kleefeld, die auch für das Drehbuch verant­wort­lich zeichnet, in Ansätzen stecken. Nun mag man es vermessen finden, hätte sie auch noch Antworten gegeben auf die ganz großen Fragen, die sie stellt. Aber dass es ausge­rechnet und nahezu ausschließ­lich die Episode um den Schrift­steller ist, der Lösung und Katharsis spendiert wird – das sieht schon arg nach Nabel­schau aus. Und es zeigt, dass die Offenheit eben nicht das bestim­mende Prinzip der Drama­turgie war.

So ist es an den Schau­spie­lern, ihre Figuren vor der Bedeu­tungs­lo­sig­keit zu retten. Neben Schmeide ragt in einem insgesamt starken Ensemble Senta Berger heraus, die eine Todkranke spielt, die sich in der Schweiz Ster­be­hilfe holen möchte. Die tiefe Ruhe und die mindes­tens so tiefe Verletzt­heit, die Senta Berger aus dieser Rosalie heraus­holt, ist beein­dru­ckend und wird nur noch verstärkt durch die treffend abstoßend in Szene gesetzte, bieder­mei­er­liche Ster­be­büro­kratie um sie herum.

Eingekocht und glattgebügelt

»Klin­ge­lin­ge­ling!« – der Ingenieur Ebling hat sich bisher vehement gegen Mobil­te­le­fone gewehrt. Im Roman heißt es dazu: »Er wusste, wie fragil die kleinen denkenden Scheib­chen waren, wie kompli­ziert und rätsel­haft. Niemand durch­schaute sie ganz; niemand konnte wirklich sagen, warum sie mit einemmal ausfielen oder sonder­bare Dinge taten.« Als er dann doch sein aller­erstes Mobil in Händen hält, löst es schnell Glücks­ge­fühle aus. Plötzlich rufen den Lang­weiler attrak­tive Frauen und reiche Geschäfts­partner an, bis er irgend­wann merkt, dass er aus Versehen Anrufe erhält, die einem berühmten Schau­spieler gelten. Längst süchtig geworden, spielt er das Spiel des Iden­ti­täts­tauschs mit. Oder der berühmte Schrift­steller Leo Richter: Seine Freundin hat Angst, nur bloßes Objekt seiner lite­ra­ri­sche Studien zu sein. Irgend­wann tauchen dann auch seine lite­ra­ri­schen Figuren bei ihm auf und fürchten, von ihm miss­braucht und fallen gelassen zu werden – ein Einfall von Woody-Allen-Format...

Als Anfang 2009 »Ruhm« erschien, war das Erstaunen groß: Nicht nur dass Daniel Kehlmann das Verspre­chen hielt, das er mit seinem Welt­best­seller »Die Vermes­sung der Welt« gegeben hatte, und endgültig die Rolle des Jung­ge­nies der deutschen Gegen­warts­li­te­ratur besetzt hält. »Ruhm« war auch ganz anders, als der erfolg­reiche Histo­ri­en­roman über Alexander von Humboldt und den Mathe­ma­tiker Carl Friedrich Gauß, der übrigens auch noch in diesem Jahr auf die Leinwand kommt, verfilmt vom nord­deut­schen Komö­di­en­re­gis­seur Detlev Buck (Manta Manta; Karniggls): Ein Roman in inhalt­lich lose verbun­denen, stilis­tisch sehr verschie­denen Episoden.

Die Verschie­den­heit und der Einfalls­reichtum des Romans wird in Isabel Kleefelds Verfil­mung einge­kocht und glatt­ge­bü­gelt. Das Traurige ist dabei nicht so sehr, dass die Regis­seurin die neun Geschichten des Buches auf sechs reduziert hat. Obwohl es schade ist, dass nicht nur ein Drittel des Romans einfach ausra­diert oder einge­dampft wurde, dass so wunder­bare Figuren fehlen, wie Miguel Auristos Blancos, ein so seichter wie zynischer Verfasser von Wellness-Best­sel­lern, der in seinem glattem Mix aus Lebens­be­ra­tung und Esoterik als offene Parodie von Paolo Coelho gedacht ist. Aber irgend­etwas fehlt halt immer in einer Lite­ra­tur­ver­fil­mung. Es ist falsch von einer Lite­ra­tur­ver­fil­mung zu erwarten, dass sie »wie« das Buch ist. Aber den Geist des Buches sollte sie bewahren, ein filmi­sches Äqui­va­lent für seine Haltung zur Welt finden.

Viel schwerer wiegt daher, dass Kleefeld eindeutig ihr Publikum unter­schätzt. Das Geheimnis von Kehlmanns Kunst ist, dass er – ähnlich wie Umberto Eco oder Philip Roth – schwie­rige und ernste Themen in leichter, zugäng­li­cher Form verhan­delt. Der ernste Kern von »Ruhm«, dieses Künst­ler­ro­mans über Hybris und Macht eines Schrift­stel­lers ist zum einen die Iden­ti­täts­frage: Seine Figuren verlieren ihre Identität, oft weil sie sie verändern wollen, oder weil sie sich danach sehnen, sie zu tauschen, oder ein zweites Leben zu leben, das so ganz anders ist als ihr eigenes. Darum schlüpfen sie in Rollen. Und die moderne Kommu­ni­ka­ti­ons­technik – Mobil­te­le­fone und Computer – helfen ihnen dabei. Wenn dann aber irgend­etwas schief­läuft, stürzen sie Menschen auch in einen Abgrund.

»Hallo? Hallo? Hörst Du mich? Hallo? Ich sitze jetzt gerade in der S-Bahn. Kannst du sprechen? Wo bist du gerade? Ach so. Ja. Wie bitte? Ich verstehe dich ganz schlecht! Ich komme jetzt gerade im Bahnhof an. Falls du mich jetzt hörst, ich melde mich später nochmal!«
So geht es zu. Jeder hört so etwas dieser Art, jeden Tag.

Die Verdopp­lung der Welt und ihre Erschüt­te­rung durch das Mitein­ander aus Spiel und Entfrem­dung sind der Kern von Kehlmanns Werk.

Von alldem bleibt nichts in Kleefelds Verfil­mung: Kein Ernst, keine Fallhöhe, nur noch die Ober­fläche, die zwar lackiert ist, aber doch recht banal ausfällt. Und auch die stilis­ti­sche Virtuo­sität und der Facet­ten­reichtum der Vorlage wird bei Kleefeld zum lauwarmen Bilder-Eintopf, in dem alle Figuren und Episoden permanent inein­ander verhakt und mitein­ander verschach­telt werden: Ein gleich­för­miges Einerlei, ohne Rhyth­mus­wechsel, ohne längeren Atem – kleine spießige Bilder auf großer Leinwand; konven­tio­nelle Geschichten, konven­tio­nelle Figuren und biedere Moral.

Dabei sind allein Mobil­te­le­fone im Kino ein drama­tur­gisch überaus dankbarer Gegen­stand. Hier aber macht die Regis­seurin nichts daraus – wohl auch, weil kommer­zi­elles Kalkül hier jede Entschei­dung der Macher bestimmt hat.

Da tun einem dann besonders die Schau­spieler leid: Besonders Stefan Kurt als Autor, Senta Berger als seine Figur, Heino Ferch als Schau­spieler, der mit seinem Double verwech­selt wird, über­zeugen. Schwer erträg­lich ist dagegen besonders Justus von Dohnányi, der als feister Spießer zwischen den Kollegen immer wie ein Fremd­körper wirkt.

Man kann es anders machen, man kann Figuren auch im Kino aus den Angeln heben, Wirk­lich­keit brechen. David Fincher (Fight Club) oder Robert Altman (Short Cuts) haben das beispiel­haft vorge­macht, und damit ein großes Publikum erreicht. Aber dafür ist Ruhm viel zu konven­tio­nell und brav, zu sehr bestimmt von der Angst, etwas falsch zu machen – einfach nur ein nettes Filmchen, statt ein großer Film, Fast-Food, keine Nouvelle Cuisine.