Roter Satin

Satin rouge

F/Tunesien 2002 · 100 min. · FSK: ab 6
Regie: Raja Amari
Drehbuch:
Kamera: Diane Baratier
Darsteller: Hiyam Abbas, Hend El Fahem, Maher Kamoun u.a.
Frauenbefreiung auf Tunesisch

Lilia lebt mit ihrer halb­er­wach­senen Tochter Selma in Tunis. Sie verbringt den Tag damit, die leere Wohnung in Ordnung zu halten, die Falten in den Gardinen gerade zu zupfen, gedan­ken­ver­loren das Porträt ihres verstor­benen Mannes abzu­stauben. Manchmal verliert sich Lilia vor dem Spiegel, tanzt sich in ihrem Hauskleid ein wenig Leben herbei. Sie hat sich einen Rest von Weib­lich­keit und Erotik bewahrt, war nicht immer so mausgrau.

Lilia, die Witwe, wird sich befreien. Als sie ahnt, daß ihre Tochter eine Beziehung zu einem älteren Mann hat, verläßt sie die Enge ihrer Wohnung und geht in den Nachtclub Satin Rouge, in dem sie diese vermutet. Wie ein farbloser Fremd­körper dringt sie in das erotische Nacht­leben ein. Bauch­tän­ze­rinnen schwingen ihre Hüften, schütteln ihre pail­let­ten­be­stückten Brüste zu Trom­mel­musik. Lilia freundet sich mit einer lebens­lus­tigen Tänzerin an und fängt ein Doppel­leben an: Tagsüber ist sie die häusliche Witwe, nachts geht sie in Stöckel­schuhen durch die ausge­stor­benen Straßen zum Nachtclub, wo sie die Kostüme der Tänze­rinnen ausbes­sert. Bald beginnt sie selbst zu tanzen. Die mausgraue Hausfrau verschwindet. Lilia wird eine attrak­tive Frau, die sich einen Liebhaber nimmt. Der Nacht­club­mu­siker Chokri aber ist dummer­weise auch der Lover ihrer Tochter, und was als Gesell­schafts­kritik begonnen hatte, wendet sich zur privaten Schick­sals­haf­tig­keit.

Satin Rouge aber hat etwas anderes im Blick als den Regel­ver­stoß gegen die Gepflo­gen­heiten des Islam und die Drei­ecks­ge­schichte einer gefähr­li­chen Lieb­schaft. Im Zentrum des Films steht ganz und gar die Frau mit ihrem Körper, der, wenn er aus der lust­feind­li­chen Unter­drü­ckung befreit wird, der Frau neues Selbst­be­wußt­sein verleihen kann. Damit dies geschieht – und hier erhält Satin Rouge eine provo­zie­rende Dialektik, die seinen Reiz ausmacht –, braucht die Frau die begeh­renden Blicke des Mannes, während sich das Begehren der Frau auf das eigene körper­liche Erleben und damit letztlich immer nur auf sich selbst richtet.

Diese Dialektik der Befreiung wird über den Bauchtanz ausge­tragen, der einen eman­zi­pa­to­ri­schen double bind bedeutet. Allein vor dem Spiegel zu Hause getanzt, läuft er in eine mono­lo­gi­sche Leere. Erst unter der Öffent­lich­keit des Nacht­clubs wird er zur Weib­lich­keit, von den Männern mit Geld­scheinen honoriert, und in der Frau­en­gemein­schaft der Tänze­rinnen gefeiert. Die Kamera fängt immer wieder das Gesicht der tanzenden Lilia ein, die sich in Musik und Bewegung verliert, huldigt ihrem weib­li­chem Erleben, ohne die Objekte der männ­li­chen Begierde zu fokus­sieren. Die Kamera ist in Satin Rouge eine inner­liche, eine, die nicht den Blick einer von außen heran­ge­tra­genen Beob­ach­tung wieder­gibt, sondern den Taumel einer Frau trans­fe­riert, die sich entdeckt.

Erstaun­lich ist dennoch, wie glatt die Erzählung über die Selbster­schaf­fung der attrak­tiven und begehrten Lilia verläuft. Ganz auf die persön­liche Geschichte über die Wieder­er­lan­gung von Weib­lich­keit konzen­triert, werden äußere soziale Konflikte, wie der Ausstoß Lilias aus der bürger­li­chen Nach­bar­schaft, nur ange­deutet. Der innere mora­li­sche Konflikt, der ein tragö­di­en­haftes Ende beinhalten könnte mit dem unschul­digen Schul­dig­werden der Mutter gegenüber ihrer Tochter, wird mit der Heirat von Selma und Chokri einfach zum Happy Ending hinge­bogen. Viel­leicht versucht der Film, sich in Märchen­haf­tig­keit zu retten, um der Dramatik seiner eigenen Geschichte zu entgehen. Denn die Selbst­be­stim­mung der Fau ist nicht nur im Islam immer noch keine Komödie.